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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. IV. Band.

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Recht und Gerechtigkeit in Italien.

Der "Economist" stellt aus Anlaß der Dazwischenkunft Victor Emanuels im
Kirchenstaate und Neapel über öffentliche Gerechtigkeit und öffentliches Recht
Betrachtungen an, deren Gedankengang in Kürze folgender ist:

Ein Machthaber, welcher seine Truppen in das Land eines Nachbarn, mit dem
er in Frieden lebt, führt, um revolutionäre Bewegungen zu unterstützen, gar wenn
diese zuletzt zu seinem eigenen Vortheil und seiner Vergrößerung ausschlagen sollen, be¬
geht ein schreiendes Unrecht und eine offene Verletzung des europäischen Völkerrechts.
Allein es gibt Fälle, wo der Bruch des öffentlichen Rechts den größten Dienst der
öffentlichen Gerechtigkeit leistet.

Wenn anzunehmen ist, daß in den Streit zwischen Herrscher und Unterthanen
Dritte sich nicht einmischen sollen, so muß dieser Grundsatz ganz und vollständig
gelten. In Italien hat die Einmischung auswärtiger Mächte von 1315 bis auf
die neueste Zeit stattgefunden, aber nur zu Gunsten der Herrscher gegen die unter¬
drückten Unterthanen, und es ist unbestreitbar, daß ohne fremde Hilfe die bekannten
Zustände in Italien nicht hätten besteh" können. -- In diesem Jahre findet zum
erstenmale eine Dcizwischcnkunft statt zu Gunsten des Rechts, der Gesetzlichkeit, der
politischen Einigung, der Befreiung von einem unerträglichen Regiment, welches durch
fremde Söldner allein gestützt wurde. Die Dazwischenkunft geht auch nicht von
einem fremden Fürsten aus; denkt, was auch die Diplomatie dazu sagen mag,
die Italiener fühlen sich als Brüder, die Bewohner des Kirchenstaats und Neapels
halten Victor Emanuel und seine Truppen nicht für Fremdlinge.

Endlich darf das bestehende Recht nicht, wie in Rom und Neapel geschehen,
vorgeschützt werden, um die höher stehenden Gebote der Gerechtigkeit und Mensch¬
lichkeit mit Füßen zu treten. Die solches thun, verwirken den Anspruch auf ein
Recht, welches sie um alle Achtung bringen, und auf Beistand. Bevor man daher
das Einschreiten Victor Emanuels im Kirchenstaat und in Neapel als einen Bruch
des Völkerrechts und einen die Zukunft aller bestehenden Verhältnisse gefährdenden
Vorgang verdammt, möge man die Sünden der gestürzten Regierungen in die
Wagschale legen und angeben, wo ähnliche Sünden zu finden sind, welchen das
Einschreiten Piemonts ein gefährlicher Vorgang werden könnte.




Geographische Literatur.
Bavaria.

Landes- und Volkskunde des Königreichs Bayern bearbeitet von
einem Kreise bayrischer Gelehrter. Erster Band. Erste Abtheilung: Ober- und
Niederbayern. München, 1860. Literarisch-artistische Anstalt der I. G. Cottaschen
Buchhandlung. --


Recht und Gerechtigkeit in Italien.

Der „Economist" stellt aus Anlaß der Dazwischenkunft Victor Emanuels im
Kirchenstaate und Neapel über öffentliche Gerechtigkeit und öffentliches Recht
Betrachtungen an, deren Gedankengang in Kürze folgender ist:

Ein Machthaber, welcher seine Truppen in das Land eines Nachbarn, mit dem
er in Frieden lebt, führt, um revolutionäre Bewegungen zu unterstützen, gar wenn
diese zuletzt zu seinem eigenen Vortheil und seiner Vergrößerung ausschlagen sollen, be¬
geht ein schreiendes Unrecht und eine offene Verletzung des europäischen Völkerrechts.
Allein es gibt Fälle, wo der Bruch des öffentlichen Rechts den größten Dienst der
öffentlichen Gerechtigkeit leistet.

Wenn anzunehmen ist, daß in den Streit zwischen Herrscher und Unterthanen
Dritte sich nicht einmischen sollen, so muß dieser Grundsatz ganz und vollständig
gelten. In Italien hat die Einmischung auswärtiger Mächte von 1315 bis auf
die neueste Zeit stattgefunden, aber nur zu Gunsten der Herrscher gegen die unter¬
drückten Unterthanen, und es ist unbestreitbar, daß ohne fremde Hilfe die bekannten
Zustände in Italien nicht hätten besteh» können. — In diesem Jahre findet zum
erstenmale eine Dcizwischcnkunft statt zu Gunsten des Rechts, der Gesetzlichkeit, der
politischen Einigung, der Befreiung von einem unerträglichen Regiment, welches durch
fremde Söldner allein gestützt wurde. Die Dazwischenkunft geht auch nicht von
einem fremden Fürsten aus; denkt, was auch die Diplomatie dazu sagen mag,
die Italiener fühlen sich als Brüder, die Bewohner des Kirchenstaats und Neapels
halten Victor Emanuel und seine Truppen nicht für Fremdlinge.

Endlich darf das bestehende Recht nicht, wie in Rom und Neapel geschehen,
vorgeschützt werden, um die höher stehenden Gebote der Gerechtigkeit und Mensch¬
lichkeit mit Füßen zu treten. Die solches thun, verwirken den Anspruch auf ein
Recht, welches sie um alle Achtung bringen, und auf Beistand. Bevor man daher
das Einschreiten Victor Emanuels im Kirchenstaat und in Neapel als einen Bruch
des Völkerrechts und einen die Zukunft aller bestehenden Verhältnisse gefährdenden
Vorgang verdammt, möge man die Sünden der gestürzten Regierungen in die
Wagschale legen und angeben, wo ähnliche Sünden zu finden sind, welchen das
Einschreiten Piemonts ein gefährlicher Vorgang werden könnte.




Geographische Literatur.
Bavaria.

Landes- und Volkskunde des Königreichs Bayern bearbeitet von
einem Kreise bayrischer Gelehrter. Erster Band. Erste Abtheilung: Ober- und
Niederbayern. München, 1860. Literarisch-artistische Anstalt der I. G. Cottaschen
Buchhandlung. —


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[0170] Recht und Gerechtigkeit in Italien. Der „Economist" stellt aus Anlaß der Dazwischenkunft Victor Emanuels im Kirchenstaate und Neapel über öffentliche Gerechtigkeit und öffentliches Recht Betrachtungen an, deren Gedankengang in Kürze folgender ist: Ein Machthaber, welcher seine Truppen in das Land eines Nachbarn, mit dem er in Frieden lebt, führt, um revolutionäre Bewegungen zu unterstützen, gar wenn diese zuletzt zu seinem eigenen Vortheil und seiner Vergrößerung ausschlagen sollen, be¬ geht ein schreiendes Unrecht und eine offene Verletzung des europäischen Völkerrechts. Allein es gibt Fälle, wo der Bruch des öffentlichen Rechts den größten Dienst der öffentlichen Gerechtigkeit leistet. Wenn anzunehmen ist, daß in den Streit zwischen Herrscher und Unterthanen Dritte sich nicht einmischen sollen, so muß dieser Grundsatz ganz und vollständig gelten. In Italien hat die Einmischung auswärtiger Mächte von 1315 bis auf die neueste Zeit stattgefunden, aber nur zu Gunsten der Herrscher gegen die unter¬ drückten Unterthanen, und es ist unbestreitbar, daß ohne fremde Hilfe die bekannten Zustände in Italien nicht hätten besteh» können. — In diesem Jahre findet zum erstenmale eine Dcizwischcnkunft statt zu Gunsten des Rechts, der Gesetzlichkeit, der politischen Einigung, der Befreiung von einem unerträglichen Regiment, welches durch fremde Söldner allein gestützt wurde. Die Dazwischenkunft geht auch nicht von einem fremden Fürsten aus; denkt, was auch die Diplomatie dazu sagen mag, die Italiener fühlen sich als Brüder, die Bewohner des Kirchenstaats und Neapels halten Victor Emanuel und seine Truppen nicht für Fremdlinge. Endlich darf das bestehende Recht nicht, wie in Rom und Neapel geschehen, vorgeschützt werden, um die höher stehenden Gebote der Gerechtigkeit und Mensch¬ lichkeit mit Füßen zu treten. Die solches thun, verwirken den Anspruch auf ein Recht, welches sie um alle Achtung bringen, und auf Beistand. Bevor man daher das Einschreiten Victor Emanuels im Kirchenstaat und in Neapel als einen Bruch des Völkerrechts und einen die Zukunft aller bestehenden Verhältnisse gefährdenden Vorgang verdammt, möge man die Sünden der gestürzten Regierungen in die Wagschale legen und angeben, wo ähnliche Sünden zu finden sind, welchen das Einschreiten Piemonts ein gefährlicher Vorgang werden könnte. Geographische Literatur. Bavaria. Landes- und Volkskunde des Königreichs Bayern bearbeitet von einem Kreise bayrischer Gelehrter. Erster Band. Erste Abtheilung: Ober- und Niederbayern. München, 1860. Literarisch-artistische Anstalt der I. G. Cottaschen Buchhandlung. —

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_110347/170>, abgerufen am 21.05.2024.