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Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. IV. Band.

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lichkeit, letztere in Folge ihrer Stellung und fast durchgehends von der Bürger¬
schaft ihrer Städte unabhängig.

Eine solche Vertretung ist nichts weniger als eine wahre Landesvertretung,
ist nicht eine solche, welche auf die berechtigten Wünsche des ganzen Volkes
zu hören oder ihnen gar zu entsprechen vermöchte. Sie hat sich, auf dem
Boden des Sondcrintcresses erwachsen, vielmehr im Laufe der Zeit mit den
Wünschen und der Wohlfahrt des gesammten Landes dergestalt in Widerspruch
gestellt, daß sie jegliches zeitgemäße Fortschreiten hindert und daß sie -- dem
Willen einzelner Weniger gegenüber -- selbst die als nothwendig allgemein
anerkannten Reformen im Staatsleben durchzuführen und sicher zu stellen nicht
vermag. Wie die landständische Verfassung auf dem nach allen seinen An-
schaungcn veralteten Landcsgrundgesetzlichen Erbvergleiche beruht, so ist die
Vertretung des Landes immer genöthigt, auf die Bestimmungen desselben zu-
rückzugehn, und sie bleibt selbst in solchen Fällen auf diesen bestehn, wo sie
sehr wol eurer freien Selbstbestimmung Raum geben könnte. Sie wagt das
Letzter? nicht, um nicht von einem Schritte zum andern gedrängt zu werden
und dadurch den Boden unter den Füßen zu verliere". Denn dieser Boden,
auf welchem sie steht, ist ein künstlich untergeschobener, der Landesgruudgesetz-
liche Erbverglcich ist nichts weniger als die in-rAng, eimrw Mecklenburgs, wenn
man ihn auch bis zum Ueberflusse als solche preisen hört; er ist seinem wahren
Wesen nach nichts weiter, als eine zwischen Fürsten und Stünden, als Ver¬
tretern ihrer Güter und Städte, unter kaiserlicher Obwaltnng vollzogene
Friedensacte über streitige Punkte, bei deren Abfassung an eine Berücksichti¬
gung des ganzen Landes so wenig gedacht wurde, daß es in ihm ausdrück¬
lich heißt: "bei solchen Verordiiungen und Gesetzen, welche gleichgiltig (d. i.
allgemein giltig), zur Wohlfahrt des ganzen Landes absichtlich und diensam
sind, braucht nur das rathsame Bedenken der Ritter- und Landschaft (der
Stände) vernommen zu werden, während mit der Publication derselben, et¬
waigen ständischen Dissenses ungeachtet, dennoch verfahren werden soll." Da¬
gegen heißt es andrerseits, daß bei Landesordnungen und Constitutionen,
welche die wohlerworbenen Rechte der Ritter- und Landschaft gesammt oder
besonders berühren und ihnen entgegen laufen oder deren Minderung und
Abänderung zum Zwecke h^ben sollten, ohne der Ritter- und Landschaft aus¬
drückliche Bewilligung nichts verhängt werden dürfe."*) Diese Worte be¬
weisen auf das Klarste, daß der Erbvergleich von vornherein nur den Zweck
hatte. Eigenrechte festzustellen, die zwar die Eigenrechte derjenigen Personen
waren, welche zur Zeit seiner Entstehung die Ritter- und Landschaft bildeten,
wie solche auf dem feudalen und communal-aristokratischen Boden des Patri-
monialwcsens erwachsen waren; daß er zwar diese Personen als natürliche Ver-



") Vrgl. hierüber: von Lützow, Aphorismen philosophisch-Politischen Inhalts. S, 30. ff.

lichkeit, letztere in Folge ihrer Stellung und fast durchgehends von der Bürger¬
schaft ihrer Städte unabhängig.

Eine solche Vertretung ist nichts weniger als eine wahre Landesvertretung,
ist nicht eine solche, welche auf die berechtigten Wünsche des ganzen Volkes
zu hören oder ihnen gar zu entsprechen vermöchte. Sie hat sich, auf dem
Boden des Sondcrintcresses erwachsen, vielmehr im Laufe der Zeit mit den
Wünschen und der Wohlfahrt des gesammten Landes dergestalt in Widerspruch
gestellt, daß sie jegliches zeitgemäße Fortschreiten hindert und daß sie — dem
Willen einzelner Weniger gegenüber — selbst die als nothwendig allgemein
anerkannten Reformen im Staatsleben durchzuführen und sicher zu stellen nicht
vermag. Wie die landständische Verfassung auf dem nach allen seinen An-
schaungcn veralteten Landcsgrundgesetzlichen Erbvergleiche beruht, so ist die
Vertretung des Landes immer genöthigt, auf die Bestimmungen desselben zu-
rückzugehn, und sie bleibt selbst in solchen Fällen auf diesen bestehn, wo sie
sehr wol eurer freien Selbstbestimmung Raum geben könnte. Sie wagt das
Letzter? nicht, um nicht von einem Schritte zum andern gedrängt zu werden
und dadurch den Boden unter den Füßen zu verliere». Denn dieser Boden,
auf welchem sie steht, ist ein künstlich untergeschobener, der Landesgruudgesetz-
liche Erbverglcich ist nichts weniger als die in-rAng, eimrw Mecklenburgs, wenn
man ihn auch bis zum Ueberflusse als solche preisen hört; er ist seinem wahren
Wesen nach nichts weiter, als eine zwischen Fürsten und Stünden, als Ver¬
tretern ihrer Güter und Städte, unter kaiserlicher Obwaltnng vollzogene
Friedensacte über streitige Punkte, bei deren Abfassung an eine Berücksichti¬
gung des ganzen Landes so wenig gedacht wurde, daß es in ihm ausdrück¬
lich heißt: „bei solchen Verordiiungen und Gesetzen, welche gleichgiltig (d. i.
allgemein giltig), zur Wohlfahrt des ganzen Landes absichtlich und diensam
sind, braucht nur das rathsame Bedenken der Ritter- und Landschaft (der
Stände) vernommen zu werden, während mit der Publication derselben, et¬
waigen ständischen Dissenses ungeachtet, dennoch verfahren werden soll." Da¬
gegen heißt es andrerseits, daß bei Landesordnungen und Constitutionen,
welche die wohlerworbenen Rechte der Ritter- und Landschaft gesammt oder
besonders berühren und ihnen entgegen laufen oder deren Minderung und
Abänderung zum Zwecke h^ben sollten, ohne der Ritter- und Landschaft aus¬
drückliche Bewilligung nichts verhängt werden dürfe."*) Diese Worte be¬
weisen auf das Klarste, daß der Erbvergleich von vornherein nur den Zweck
hatte. Eigenrechte festzustellen, die zwar die Eigenrechte derjenigen Personen
waren, welche zur Zeit seiner Entstehung die Ritter- und Landschaft bildeten,
wie solche auf dem feudalen und communal-aristokratischen Boden des Patri-
monialwcsens erwachsen waren; daß er zwar diese Personen als natürliche Ver-



") Vrgl. hierüber: von Lützow, Aphorismen philosophisch-Politischen Inhalts. S, 30. ff.
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[0094] lichkeit, letztere in Folge ihrer Stellung und fast durchgehends von der Bürger¬ schaft ihrer Städte unabhängig. Eine solche Vertretung ist nichts weniger als eine wahre Landesvertretung, ist nicht eine solche, welche auf die berechtigten Wünsche des ganzen Volkes zu hören oder ihnen gar zu entsprechen vermöchte. Sie hat sich, auf dem Boden des Sondcrintcresses erwachsen, vielmehr im Laufe der Zeit mit den Wünschen und der Wohlfahrt des gesammten Landes dergestalt in Widerspruch gestellt, daß sie jegliches zeitgemäße Fortschreiten hindert und daß sie — dem Willen einzelner Weniger gegenüber — selbst die als nothwendig allgemein anerkannten Reformen im Staatsleben durchzuführen und sicher zu stellen nicht vermag. Wie die landständische Verfassung auf dem nach allen seinen An- schaungcn veralteten Landcsgrundgesetzlichen Erbvergleiche beruht, so ist die Vertretung des Landes immer genöthigt, auf die Bestimmungen desselben zu- rückzugehn, und sie bleibt selbst in solchen Fällen auf diesen bestehn, wo sie sehr wol eurer freien Selbstbestimmung Raum geben könnte. Sie wagt das Letzter? nicht, um nicht von einem Schritte zum andern gedrängt zu werden und dadurch den Boden unter den Füßen zu verliere». Denn dieser Boden, auf welchem sie steht, ist ein künstlich untergeschobener, der Landesgruudgesetz- liche Erbverglcich ist nichts weniger als die in-rAng, eimrw Mecklenburgs, wenn man ihn auch bis zum Ueberflusse als solche preisen hört; er ist seinem wahren Wesen nach nichts weiter, als eine zwischen Fürsten und Stünden, als Ver¬ tretern ihrer Güter und Städte, unter kaiserlicher Obwaltnng vollzogene Friedensacte über streitige Punkte, bei deren Abfassung an eine Berücksichti¬ gung des ganzen Landes so wenig gedacht wurde, daß es in ihm ausdrück¬ lich heißt: „bei solchen Verordiiungen und Gesetzen, welche gleichgiltig (d. i. allgemein giltig), zur Wohlfahrt des ganzen Landes absichtlich und diensam sind, braucht nur das rathsame Bedenken der Ritter- und Landschaft (der Stände) vernommen zu werden, während mit der Publication derselben, et¬ waigen ständischen Dissenses ungeachtet, dennoch verfahren werden soll." Da¬ gegen heißt es andrerseits, daß bei Landesordnungen und Constitutionen, welche die wohlerworbenen Rechte der Ritter- und Landschaft gesammt oder besonders berühren und ihnen entgegen laufen oder deren Minderung und Abänderung zum Zwecke h^ben sollten, ohne der Ritter- und Landschaft aus¬ drückliche Bewilligung nichts verhängt werden dürfe."*) Diese Worte be¬ weisen auf das Klarste, daß der Erbvergleich von vornherein nur den Zweck hatte. Eigenrechte festzustellen, die zwar die Eigenrechte derjenigen Personen waren, welche zur Zeit seiner Entstehung die Ritter- und Landschaft bildeten, wie solche auf dem feudalen und communal-aristokratischen Boden des Patri- monialwcsens erwachsen waren; daß er zwar diese Personen als natürliche Ver- ") Vrgl. hierüber: von Lützow, Aphorismen philosophisch-Politischen Inhalts. S, 30. ff.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 19, 1860, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341594_110347/94>, abgerufen am 22.05.2024.