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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band.

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die Nächstliegende Gefahr, dennoch schien Eile nöthig. Gleich nach Villafranca
hatten süddeutsche Blätter Preußen erklärt, zur Strafe für seine Säumniß
werde man es wol bei einem etwaigen Angriff von Seiten Frankreichs sei¬
nem Schicksale überlassen. Dagegen wurde nun freilich heftiger, als man er¬
wartet hatte, remonstnrt, aber auf alle Fälle beschloß man. fest um einander
zu trete", um für jede Eventualität gerüstet zu sein. Mochte auch Oestreich,
mochte Preußen Schaden erleiden, die "rein deutsche Nation" sollte er¬
halten werden. Man protestirt gegen den Namen Rheinbund -- aber man
lese doch die damaligen Staatsschnsten, z. B. von Johannes v, Müller,
in welchen diese rein germanische Conföderation als die glänzende Erfüllung
des deutschen Einheitsgedankens begrüßt wurde! An Leuten wie Johannes
v. Müller würde es auch heute nicht fehlen.

Die Würzburger Politik hat große Erfolge errungen, aber zwei Umstünde
scheinen jcyt die Sachlage zu ändern, der Abfall Badens und die durch die
Fortdauer des Friedens vorläufig wieder gesicherte Stellung Oestreichs. Das
erste höchst wichtige Ereigniß scheint in Berlin fast ebenso wenig beachtet zu
werden, als die Stimmung in Kurhessen, auch von Seiten der liberalen Blät¬
ter; leicht möglich, daß man sogar in höheren Kreisen über die liberale ba¬
dische Regierung, die den Muth hat sich sür Preußen zu erklären, die Nase
rümpft. Mit Oestreich hat man lange unterhandelt, und das Resultat ist das
formelle Dementi Oestreichs gegen einen von Preußen angeblich im Einver¬
ständnis; mit Oestreich gestellten ganz farblosen Antrag.

Es ist den Würzburgern gelungen, die drohende Einigung Oestreichs mit
Preußen zu hintertreiben; sie haben Oestreich wieder auf ihrer Seite. Leicht
möglich, daß sie noch einen andern Erfolg davon tragen. Wien erschallt wie¬
der von den herrlichsten Reden über "Freiheit und Gleichheit"; die verschie¬
denen Versammlungen, die dort tagen, überbieten einander in der Vorliebe
für Menschenglück im Allgemeinen; die Regierung verspricht Alles, was man
nur haben will, auch das Widersprechendste; sie wird es sortversprechen, bis
das Silberagio aufhört. Wie anziehend für das deutsche Publicum! Nament¬
lich bei dem Ekel, den alle Welt, und zwar mit Recht, über die neuesten ber¬
liner Geschichten empfindet. Herr von Schmerling brauchte nur eine schwarz¬
roth-goldene Fahne aus dem Stephansthurm aufzupflanzen, was doch nur
wenig kosten würde, und der schwarz-roth-goldene Spießbürger würde wieder
nach Wien wallfahrten, wie nach dem Mekka der Freiheit. -- Als Pilgerhut
hoffentlich eine Schellenkappe.

Traurig genug, daß Preußen wieder einmal mit den besten Karten >n
der Hand erbärmlich gespielt hat. Aber dadurch werden die Verhältnisse nicht
anders. Daß wir an Preußen halten, geht nicht aus Bewunderung der preu¬
ßischen Zustände, nicht aus Hochachtung vor den leitenden Persönlichkeiten hervor,


die Nächstliegende Gefahr, dennoch schien Eile nöthig. Gleich nach Villafranca
hatten süddeutsche Blätter Preußen erklärt, zur Strafe für seine Säumniß
werde man es wol bei einem etwaigen Angriff von Seiten Frankreichs sei¬
nem Schicksale überlassen. Dagegen wurde nun freilich heftiger, als man er¬
wartet hatte, remonstnrt, aber auf alle Fälle beschloß man. fest um einander
zu trete», um für jede Eventualität gerüstet zu sein. Mochte auch Oestreich,
mochte Preußen Schaden erleiden, die „rein deutsche Nation" sollte er¬
halten werden. Man protestirt gegen den Namen Rheinbund — aber man
lese doch die damaligen Staatsschnsten, z. B. von Johannes v, Müller,
in welchen diese rein germanische Conföderation als die glänzende Erfüllung
des deutschen Einheitsgedankens begrüßt wurde! An Leuten wie Johannes
v. Müller würde es auch heute nicht fehlen.

Die Würzburger Politik hat große Erfolge errungen, aber zwei Umstünde
scheinen jcyt die Sachlage zu ändern, der Abfall Badens und die durch die
Fortdauer des Friedens vorläufig wieder gesicherte Stellung Oestreichs. Das
erste höchst wichtige Ereigniß scheint in Berlin fast ebenso wenig beachtet zu
werden, als die Stimmung in Kurhessen, auch von Seiten der liberalen Blät¬
ter; leicht möglich, daß man sogar in höheren Kreisen über die liberale ba¬
dische Regierung, die den Muth hat sich sür Preußen zu erklären, die Nase
rümpft. Mit Oestreich hat man lange unterhandelt, und das Resultat ist das
formelle Dementi Oestreichs gegen einen von Preußen angeblich im Einver¬
ständnis; mit Oestreich gestellten ganz farblosen Antrag.

Es ist den Würzburgern gelungen, die drohende Einigung Oestreichs mit
Preußen zu hintertreiben; sie haben Oestreich wieder auf ihrer Seite. Leicht
möglich, daß sie noch einen andern Erfolg davon tragen. Wien erschallt wie¬
der von den herrlichsten Reden über „Freiheit und Gleichheit"; die verschie¬
denen Versammlungen, die dort tagen, überbieten einander in der Vorliebe
für Menschenglück im Allgemeinen; die Regierung verspricht Alles, was man
nur haben will, auch das Widersprechendste; sie wird es sortversprechen, bis
das Silberagio aufhört. Wie anziehend für das deutsche Publicum! Nament¬
lich bei dem Ekel, den alle Welt, und zwar mit Recht, über die neuesten ber¬
liner Geschichten empfindet. Herr von Schmerling brauchte nur eine schwarz¬
roth-goldene Fahne aus dem Stephansthurm aufzupflanzen, was doch nur
wenig kosten würde, und der schwarz-roth-goldene Spießbürger würde wieder
nach Wien wallfahrten, wie nach dem Mekka der Freiheit. — Als Pilgerhut
hoffentlich eine Schellenkappe.

Traurig genug, daß Preußen wieder einmal mit den besten Karten >n
der Hand erbärmlich gespielt hat. Aber dadurch werden die Verhältnisse nicht
anders. Daß wir an Preußen halten, geht nicht aus Bewunderung der preu¬
ßischen Zustände, nicht aus Hochachtung vor den leitenden Persönlichkeiten hervor,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111431/408>, abgerufen am 18.06.2024.