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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. III. Band.

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Was das heißt, werden die folgenden Auszüge aus der angeführten, sehr
lesens- und dankenswerthen Schrift zeigen.

Zunächst ist zu constatiren, daß Dr. Wiehern sich durch die Statuten des Ver¬
eins oder der "Familie" alle Macht eines Ordensgenerals gesichert hat. Er steht
an der Spitze der verschiedenen Oberbehörden der Brüderschaft, er leitet die
Verwaltung, er ermahnt und gebietet durch Rundschreiben, was zu geschehen
hat und was zu unterlassen ist. Die höchsten Behörden des Vereins sind
das Kuratorium und das Oberconvict. In beiden nimmt Wiehern den Vor¬
sitz ein. Das Curatorium führt die Geschäfte eines Ministeriums der Fi¬
nanzen und des Auswärtigen. Das Oberconvict besorgt die Disciplinarsachen.
Es leitet und beaufsichtigt das Leben aller Glieder der Genossenschaft in und
außer ven Rauben Hause, was dadurch erleichtert ist, daß kein Bruder für
sich allein steht, sondern immer eine Anzahl in einem "Convict" vereinigt
sind, und daß, wo es möglich ist, diese Complete wieder einen "Convent" bil¬
den. So gibt es außer dem Oberconvict zu Horn und dessen Dependenzien ei¬
nen Convent Ebenezer zu Moabit, der sechs Complete: Joseph, Micha, Jere-
mias. Daniel, Johannes der Täufer und^ sitas umfaßt. So gibt es ferner
die Complete: Sarepta in der Neumark, Mamre in Bremen, Hermon und Si-
tones in Schlesien. Bethsaida. Bethesda, Nain und Rishi in Pommern, Sälen
in Sachsen, Tiberias in Würtemverg. Und so besteht in London das Con¬
vict Bersaba. Diese Complete und Convente sind gehalten, zu bestimmten
Zeiten zusammenzukommen und sich unter Vorsitz ihres Convictmeisters zu be¬
rathen. Zweck dieser Zusammenkünfte ist "gegenseitige Förderung im Glau¬
ben und Handreichung des Geistes ,zur Heiligung." Sie müssen über solche
Handreichung ein Protokoll aufnehmen, welches an Wiehern zur Kenntni߬
nahme und Begutachtung zu senden ist. Sie dürfen unter einander nicht di-
rect. sondern nur durch Vermittlung Wieherns verkehren, dürfen sich nur mit
dessen Genehmigung bilden und auflösen, und müssen, wenn Streitigkeiten in
ihnen vorkommen, diesem die Sache zur Schlichtung anheimstellen.

Zu diesem äußern Organismus der Brüderschaft tritt nun ein sehr ge¬
schickt ersonnenes System, um die Brüder innerlich an einander zu ketten und
sie auf gleicher Bahn des Denkens und Empfindens zu erhalten. Im Mut¬
terhaus des Vereins war dieß leicht zu erreichen. Aber es galt, auch bei ve"
in die "Welt" Entlassener das durch dreijähriges gleichförmiges Leben. Be¬
ten und Arbeiten gewonnene Gefühl der Zusammengehörigkeit vor Abschwä-
chung zu bewahren, und dazu' fand das Talent des Stifters der Genossen¬
schaft eine Anzahl recht sinnreicher Mittel aus, die nur den einen Fehler ha¬
ben, daß sie dem Geist des Protestantismus widerstreiten.

Jeder Tag des Jahres hat für alle Rauhhäusler semen bestimmten Spruch
aus der sogenannten "dreifachen Schnur" (dem Brevier der Brüderschaft), so


Was das heißt, werden die folgenden Auszüge aus der angeführten, sehr
lesens- und dankenswerthen Schrift zeigen.

Zunächst ist zu constatiren, daß Dr. Wiehern sich durch die Statuten des Ver¬
eins oder der „Familie" alle Macht eines Ordensgenerals gesichert hat. Er steht
an der Spitze der verschiedenen Oberbehörden der Brüderschaft, er leitet die
Verwaltung, er ermahnt und gebietet durch Rundschreiben, was zu geschehen
hat und was zu unterlassen ist. Die höchsten Behörden des Vereins sind
das Kuratorium und das Oberconvict. In beiden nimmt Wiehern den Vor¬
sitz ein. Das Curatorium führt die Geschäfte eines Ministeriums der Fi¬
nanzen und des Auswärtigen. Das Oberconvict besorgt die Disciplinarsachen.
Es leitet und beaufsichtigt das Leben aller Glieder der Genossenschaft in und
außer ven Rauben Hause, was dadurch erleichtert ist, daß kein Bruder für
sich allein steht, sondern immer eine Anzahl in einem „Convict" vereinigt
sind, und daß, wo es möglich ist, diese Complete wieder einen „Convent" bil¬
den. So gibt es außer dem Oberconvict zu Horn und dessen Dependenzien ei¬
nen Convent Ebenezer zu Moabit, der sechs Complete: Joseph, Micha, Jere-
mias. Daniel, Johannes der Täufer und^ sitas umfaßt. So gibt es ferner
die Complete: Sarepta in der Neumark, Mamre in Bremen, Hermon und Si-
tones in Schlesien. Bethsaida. Bethesda, Nain und Rishi in Pommern, Sälen
in Sachsen, Tiberias in Würtemverg. Und so besteht in London das Con¬
vict Bersaba. Diese Complete und Convente sind gehalten, zu bestimmten
Zeiten zusammenzukommen und sich unter Vorsitz ihres Convictmeisters zu be¬
rathen. Zweck dieser Zusammenkünfte ist „gegenseitige Förderung im Glau¬
ben und Handreichung des Geistes ,zur Heiligung." Sie müssen über solche
Handreichung ein Protokoll aufnehmen, welches an Wiehern zur Kenntni߬
nahme und Begutachtung zu senden ist. Sie dürfen unter einander nicht di-
rect. sondern nur durch Vermittlung Wieherns verkehren, dürfen sich nur mit
dessen Genehmigung bilden und auflösen, und müssen, wenn Streitigkeiten in
ihnen vorkommen, diesem die Sache zur Schlichtung anheimstellen.

Zu diesem äußern Organismus der Brüderschaft tritt nun ein sehr ge¬
schickt ersonnenes System, um die Brüder innerlich an einander zu ketten und
sie auf gleicher Bahn des Denkens und Empfindens zu erhalten. Im Mut¬
terhaus des Vereins war dieß leicht zu erreichen. Aber es galt, auch bei ve»
in die „Welt" Entlassener das durch dreijähriges gleichförmiges Leben. Be¬
ten und Arbeiten gewonnene Gefühl der Zusammengehörigkeit vor Abschwä-
chung zu bewahren, und dazu' fand das Talent des Stifters der Genossen¬
schaft eine Anzahl recht sinnreicher Mittel aus, die nur den einen Fehler ha¬
ben, daß sie dem Geist des Protestantismus widerstreiten.

Jeder Tag des Jahres hat für alle Rauhhäusler semen bestimmten Spruch
aus der sogenannten „dreifachen Schnur" (dem Brevier der Brüderschaft), so


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[0097] Was das heißt, werden die folgenden Auszüge aus der angeführten, sehr lesens- und dankenswerthen Schrift zeigen. Zunächst ist zu constatiren, daß Dr. Wiehern sich durch die Statuten des Ver¬ eins oder der „Familie" alle Macht eines Ordensgenerals gesichert hat. Er steht an der Spitze der verschiedenen Oberbehörden der Brüderschaft, er leitet die Verwaltung, er ermahnt und gebietet durch Rundschreiben, was zu geschehen hat und was zu unterlassen ist. Die höchsten Behörden des Vereins sind das Kuratorium und das Oberconvict. In beiden nimmt Wiehern den Vor¬ sitz ein. Das Curatorium führt die Geschäfte eines Ministeriums der Fi¬ nanzen und des Auswärtigen. Das Oberconvict besorgt die Disciplinarsachen. Es leitet und beaufsichtigt das Leben aller Glieder der Genossenschaft in und außer ven Rauben Hause, was dadurch erleichtert ist, daß kein Bruder für sich allein steht, sondern immer eine Anzahl in einem „Convict" vereinigt sind, und daß, wo es möglich ist, diese Complete wieder einen „Convent" bil¬ den. So gibt es außer dem Oberconvict zu Horn und dessen Dependenzien ei¬ nen Convent Ebenezer zu Moabit, der sechs Complete: Joseph, Micha, Jere- mias. Daniel, Johannes der Täufer und^ sitas umfaßt. So gibt es ferner die Complete: Sarepta in der Neumark, Mamre in Bremen, Hermon und Si- tones in Schlesien. Bethsaida. Bethesda, Nain und Rishi in Pommern, Sälen in Sachsen, Tiberias in Würtemverg. Und so besteht in London das Con¬ vict Bersaba. Diese Complete und Convente sind gehalten, zu bestimmten Zeiten zusammenzukommen und sich unter Vorsitz ihres Convictmeisters zu be¬ rathen. Zweck dieser Zusammenkünfte ist „gegenseitige Förderung im Glau¬ ben und Handreichung des Geistes ,zur Heiligung." Sie müssen über solche Handreichung ein Protokoll aufnehmen, welches an Wiehern zur Kenntni߬ nahme und Begutachtung zu senden ist. Sie dürfen unter einander nicht di- rect. sondern nur durch Vermittlung Wieherns verkehren, dürfen sich nur mit dessen Genehmigung bilden und auflösen, und müssen, wenn Streitigkeiten in ihnen vorkommen, diesem die Sache zur Schlichtung anheimstellen. Zu diesem äußern Organismus der Brüderschaft tritt nun ein sehr ge¬ schickt ersonnenes System, um die Brüder innerlich an einander zu ketten und sie auf gleicher Bahn des Denkens und Empfindens zu erhalten. Im Mut¬ terhaus des Vereins war dieß leicht zu erreichen. Aber es galt, auch bei ve» in die „Welt" Entlassener das durch dreijähriges gleichförmiges Leben. Be¬ ten und Arbeiten gewonnene Gefühl der Zusammengehörigkeit vor Abschwä- chung zu bewahren, und dazu' fand das Talent des Stifters der Genossen¬ schaft eine Anzahl recht sinnreicher Mittel aus, die nur den einen Fehler ha¬ ben, daß sie dem Geist des Protestantismus widerstreiten. Jeder Tag des Jahres hat für alle Rauhhäusler semen bestimmten Spruch aus der sogenannten „dreifachen Schnur" (dem Brevier der Brüderschaft), so

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_111969/97>, abgerufen am 18.05.2024.