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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. IV. Band.

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zweifeln wir nicht, daß wir ihm ein Werk zu verdanken haben würden, welches
den besten Leistungen der Engländer und Franzosen für gemeinfaßliche Dar¬
stellung der Volkswirtschaftslehre ebenbürtig zur Seite stände. Jetzt haben
wir dagegen ein Buch vor uns, welches noch lange nicht das ist, was es in
späteren Auflagen, die wir ihm wünschen, werden kann. In den ersten Ab¬
schnitten überwiegt der "blühende Styl", dann sehen wir den Professor in der
sehr mühsamen, aber wenig productiven Arbeit des feinen Distinguirens, im
gemeinen Leben Haarspalten genannt; allmälig aber, wie er auf den festern
Boden der einzelnen wirthschaftlichen Thätigkeiten gelangt, macht er sich von
Abschweifungen frei und weiß die Dinge einfach und verständlich, hie und da
nur etwas zu kurz, vorzutragen. Von dem sichtlichen Fortschreiten waren wir
um so angenehmer berührt, als der Verfasser im Vorworte Röscher und--
L. Stein als gleichgeltende wissenschaftliche Autoritäten verehrt! Einige kleine
Proben des "blühenden Styls" greifen wir ohne Absicht und Auswahl, nur
Beispiels halber, heraus: "Der Geist ist hincingewoben in den Körper, wie die
Schönheit in die Blume, und er wird daraus nicht entbunden während der
irdischen Periode seines Daseins" (S. 2). "Der malayische Wilde, welchem
die Banane ihre Brodfrucht so zu sagen in den Mund reicht, lebt wahrlich
nicht im Paradieseszustand; er ist wild, frißt seinen Nebenmenschen, betet einen
Holzklotz an, fröhnt viehisch viehischen Sinnengenuß, schießt seinen Pfeil nach
der verfinsterten Sonne, weil er sie von einem bösen Thiere angefressen glaubt,
mißhandelt Weib und Kinder, kurz er lebt in thierischer statt in paradiesischer
Unschuld" (S. 3). Endlich noch S. 22: "Kein Thier entwickelt eine Wirth¬
schaft, selbst der gelehrige Affe und der schlaue Fuchs nicht. Zwar fristen
Beide ihr Leben aus der Natur, die sie auf ihren bloß sinnlichen Lebenszweck
beziehen, der Affe pflückt die Nuß, der Fuchs erschnappt das Huhn, aber sie
haben nicht die Eigenschaft des freien vernünftigen Wollens u. f. w." --
Wir glauben, daß diese und die vielen ähnlichen Grellen eine Kürzung erleiden
dürfen, ohne den Werth des Buches im Mindesten zu beeinträchtigen.

Auf der andern Seite verfällt Herr Professor Schaffte in den bei deutschen
Gelehrten zu häufigen Fehler, die Wissenschaft nicht auf ihr Gebiet zu beschrän¬
ken, sondern auf alle möglichen anderen Gebiete auszudehnen und den Streit
über rein theoretische Fragen auch da aufzunehmen, wo es sich um Vermitte¬
lung der Wissenschaft mit dem Leben handelt. So soll z. B. die National¬
ökonomie den Menschen und die Außenwelt betrachten, weil Beide zu einander
in wirthschaftliche Beziehung treten. Eine vollständige wirthschaftliche Persön¬
lichkeitslehre, eine Art wirthschaftlicher Anthropologie und ökonomischer Psy¬
chologie soll eine Voraufgabe sein, welcher die streng wissenschaftliche Volks¬
wirthschaftslehre sich zu unterziehen habe (S. 21). Um Gotteswillen! Eben
so faßt Herr Schaffte den Begriff von Capital viel zu weit, indem er Natur


zweifeln wir nicht, daß wir ihm ein Werk zu verdanken haben würden, welches
den besten Leistungen der Engländer und Franzosen für gemeinfaßliche Dar¬
stellung der Volkswirtschaftslehre ebenbürtig zur Seite stände. Jetzt haben
wir dagegen ein Buch vor uns, welches noch lange nicht das ist, was es in
späteren Auflagen, die wir ihm wünschen, werden kann. In den ersten Ab¬
schnitten überwiegt der „blühende Styl", dann sehen wir den Professor in der
sehr mühsamen, aber wenig productiven Arbeit des feinen Distinguirens, im
gemeinen Leben Haarspalten genannt; allmälig aber, wie er auf den festern
Boden der einzelnen wirthschaftlichen Thätigkeiten gelangt, macht er sich von
Abschweifungen frei und weiß die Dinge einfach und verständlich, hie und da
nur etwas zu kurz, vorzutragen. Von dem sichtlichen Fortschreiten waren wir
um so angenehmer berührt, als der Verfasser im Vorworte Röscher und--
L. Stein als gleichgeltende wissenschaftliche Autoritäten verehrt! Einige kleine
Proben des „blühenden Styls" greifen wir ohne Absicht und Auswahl, nur
Beispiels halber, heraus: „Der Geist ist hincingewoben in den Körper, wie die
Schönheit in die Blume, und er wird daraus nicht entbunden während der
irdischen Periode seines Daseins" (S. 2). „Der malayische Wilde, welchem
die Banane ihre Brodfrucht so zu sagen in den Mund reicht, lebt wahrlich
nicht im Paradieseszustand; er ist wild, frißt seinen Nebenmenschen, betet einen
Holzklotz an, fröhnt viehisch viehischen Sinnengenuß, schießt seinen Pfeil nach
der verfinsterten Sonne, weil er sie von einem bösen Thiere angefressen glaubt,
mißhandelt Weib und Kinder, kurz er lebt in thierischer statt in paradiesischer
Unschuld" (S. 3). Endlich noch S. 22: „Kein Thier entwickelt eine Wirth¬
schaft, selbst der gelehrige Affe und der schlaue Fuchs nicht. Zwar fristen
Beide ihr Leben aus der Natur, die sie auf ihren bloß sinnlichen Lebenszweck
beziehen, der Affe pflückt die Nuß, der Fuchs erschnappt das Huhn, aber sie
haben nicht die Eigenschaft des freien vernünftigen Wollens u. f. w." —
Wir glauben, daß diese und die vielen ähnlichen Grellen eine Kürzung erleiden
dürfen, ohne den Werth des Buches im Mindesten zu beeinträchtigen.

Auf der andern Seite verfällt Herr Professor Schaffte in den bei deutschen
Gelehrten zu häufigen Fehler, die Wissenschaft nicht auf ihr Gebiet zu beschrän¬
ken, sondern auf alle möglichen anderen Gebiete auszudehnen und den Streit
über rein theoretische Fragen auch da aufzunehmen, wo es sich um Vermitte¬
lung der Wissenschaft mit dem Leben handelt. So soll z. B. die National¬
ökonomie den Menschen und die Außenwelt betrachten, weil Beide zu einander
in wirthschaftliche Beziehung treten. Eine vollständige wirthschaftliche Persön¬
lichkeitslehre, eine Art wirthschaftlicher Anthropologie und ökonomischer Psy¬
chologie soll eine Voraufgabe sein, welcher die streng wissenschaftliche Volks¬
wirthschaftslehre sich zu unterziehen habe (S. 21). Um Gotteswillen! Eben
so faßt Herr Schaffte den Begriff von Capital viel zu weit, indem er Natur


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[0146] zweifeln wir nicht, daß wir ihm ein Werk zu verdanken haben würden, welches den besten Leistungen der Engländer und Franzosen für gemeinfaßliche Dar¬ stellung der Volkswirtschaftslehre ebenbürtig zur Seite stände. Jetzt haben wir dagegen ein Buch vor uns, welches noch lange nicht das ist, was es in späteren Auflagen, die wir ihm wünschen, werden kann. In den ersten Ab¬ schnitten überwiegt der „blühende Styl", dann sehen wir den Professor in der sehr mühsamen, aber wenig productiven Arbeit des feinen Distinguirens, im gemeinen Leben Haarspalten genannt; allmälig aber, wie er auf den festern Boden der einzelnen wirthschaftlichen Thätigkeiten gelangt, macht er sich von Abschweifungen frei und weiß die Dinge einfach und verständlich, hie und da nur etwas zu kurz, vorzutragen. Von dem sichtlichen Fortschreiten waren wir um so angenehmer berührt, als der Verfasser im Vorworte Röscher und-- L. Stein als gleichgeltende wissenschaftliche Autoritäten verehrt! Einige kleine Proben des „blühenden Styls" greifen wir ohne Absicht und Auswahl, nur Beispiels halber, heraus: „Der Geist ist hincingewoben in den Körper, wie die Schönheit in die Blume, und er wird daraus nicht entbunden während der irdischen Periode seines Daseins" (S. 2). „Der malayische Wilde, welchem die Banane ihre Brodfrucht so zu sagen in den Mund reicht, lebt wahrlich nicht im Paradieseszustand; er ist wild, frißt seinen Nebenmenschen, betet einen Holzklotz an, fröhnt viehisch viehischen Sinnengenuß, schießt seinen Pfeil nach der verfinsterten Sonne, weil er sie von einem bösen Thiere angefressen glaubt, mißhandelt Weib und Kinder, kurz er lebt in thierischer statt in paradiesischer Unschuld" (S. 3). Endlich noch S. 22: „Kein Thier entwickelt eine Wirth¬ schaft, selbst der gelehrige Affe und der schlaue Fuchs nicht. Zwar fristen Beide ihr Leben aus der Natur, die sie auf ihren bloß sinnlichen Lebenszweck beziehen, der Affe pflückt die Nuß, der Fuchs erschnappt das Huhn, aber sie haben nicht die Eigenschaft des freien vernünftigen Wollens u. f. w." — Wir glauben, daß diese und die vielen ähnlichen Grellen eine Kürzung erleiden dürfen, ohne den Werth des Buches im Mindesten zu beeinträchtigen. Auf der andern Seite verfällt Herr Professor Schaffte in den bei deutschen Gelehrten zu häufigen Fehler, die Wissenschaft nicht auf ihr Gebiet zu beschrän¬ ken, sondern auf alle möglichen anderen Gebiete auszudehnen und den Streit über rein theoretische Fragen auch da aufzunehmen, wo es sich um Vermitte¬ lung der Wissenschaft mit dem Leben handelt. So soll z. B. die National¬ ökonomie den Menschen und die Außenwelt betrachten, weil Beide zu einander in wirthschaftliche Beziehung treten. Eine vollständige wirthschaftliche Persön¬ lichkeitslehre, eine Art wirthschaftlicher Anthropologie und ökonomischer Psy¬ chologie soll eine Voraufgabe sein, welcher die streng wissenschaftliche Volks¬ wirthschaftslehre sich zu unterziehen habe (S. 21). Um Gotteswillen! Eben so faßt Herr Schaffte den Begriff von Capital viel zu weit, indem er Natur

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_112507/146>, abgerufen am 06.06.2024.