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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. IV. Band.

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Die Bauersfrau holt Eier und Braten, wenn sie gerade welchen hat, und legt
Alles in den Korb des Dieners, worauf sich das Gefolge des Königs mit den Wor¬
ten: "Wir danken Euch, daß Ihr unseren König und unsere Königin so reichlich
beschenkt habt," entfernt, um im nächsten Hause dieselbe Ceremonie zu wiederholen.

Aus dem letzten Gehöft kehren sie auf den Dorfplatz zurück, wo sie Alles, was
sie gesammelt, der Königin geben, damit diese mit ihren Dienerinnen davon in der
Schenke oder in irgend einem anderen Hause sogleich einen Schmaus für die ganze
Gesellschaft bereite, und die Burschen essen können, sobald sie auf dem Dorfplatz mit
den hergebrachten Gebräuchen fertig geworden sind.

Waren die Burschen früher zu Pferde, fo zogen sie auch aus den benachbarten
Dörfern herum.

Zum Schluß der Feierlichkeit trugen die Burschen einen Tisch oder Schemel
auf den Dorfplatz. Darauf stellt sich der König, um ihn herum stehen seine Die¬
ner und Begleiter. Einer hat einen lebendigen Hahn in der Tasche, den die Bur¬
schen im Dorfe gefangen haben und zum Opfer bereit halten.

Nun folgt die übliche possenhafte Lob- und Tadclredc aus die Bewohner eines
jeden einzelnen Gehöftes. Dann nimmt der Diener den Hahn und legt ihn auf
den Tisch, indem er ihn an den Füßen, den Kopf nach unten, hält. Der Scharf¬
richter haut ihm mit einem hölzernen Säbel den Kopf ab, damit er alle gerügten
Mängel und Fehler der betreffenden Männer, Frauen und Mädchen sühne, und der
König wendet sich zu den Umstehenden, indem er sagt: "Wir danken Euch Allen
für die Gaben, mit denen Ihr uns beschenkt habt!"

Darauf zieht man mit Musik in die Schenke, oder das Haus, wo die Königin
den Schmaus zubereitet hat, läßt den Hahn braten, den man gemeinschaftlich ver¬
zehrt und begibt sich Abends, wenn man nicht schon in der Schenke ist, in diese,
wo auch die Bauern mit ihren Frauen und Töchtern hinkommen, um fröhlich zu¬
sammen zu schmausen und zu tanzen.

Erinnerungen aus Südamerika, von Ernst Freiherrn von Bibra, 3 Bde. Leip¬
zig, Hermann Costenoble. 1861. Erlebnisse und Beobachtungen aus dem Natur-
Und Volksleben Chile's in Form von Novellen. Der Verfasser besitzt ein bedeutendes
Talent im Schildern der Natur und in der Wiedergabe der Stimmung, und er
versteht sehr gut zu erzählen. Nur sollte er sich hüten, die Form der Ironie zu
häufig anzuwenden. Wird sie mit Maß gebraucht, so machen die Gedanken, die in
ihr vorgetragen werden, den Eindruck anmuthiger Vornehmheit, zu oft benutzt, stört
sie die Wirkung auch der besten Leistung des Erzählers, indem wir dann die Em¬
pfindung haben, einen Blasirten vor uns zu sehen. Ein solcher ist aber der Ver¬
sasser offenbar nicht, da er sonst nicht mit so lebhaften Farben, die bisweilen an
Sealsfields Feuer reichen, zu malen im Stande gewesen wäre.




Die Bauersfrau holt Eier und Braten, wenn sie gerade welchen hat, und legt
Alles in den Korb des Dieners, worauf sich das Gefolge des Königs mit den Wor¬
ten: „Wir danken Euch, daß Ihr unseren König und unsere Königin so reichlich
beschenkt habt," entfernt, um im nächsten Hause dieselbe Ceremonie zu wiederholen.

Aus dem letzten Gehöft kehren sie auf den Dorfplatz zurück, wo sie Alles, was
sie gesammelt, der Königin geben, damit diese mit ihren Dienerinnen davon in der
Schenke oder in irgend einem anderen Hause sogleich einen Schmaus für die ganze
Gesellschaft bereite, und die Burschen essen können, sobald sie auf dem Dorfplatz mit
den hergebrachten Gebräuchen fertig geworden sind.

Waren die Burschen früher zu Pferde, fo zogen sie auch aus den benachbarten
Dörfern herum.

Zum Schluß der Feierlichkeit trugen die Burschen einen Tisch oder Schemel
auf den Dorfplatz. Darauf stellt sich der König, um ihn herum stehen seine Die¬
ner und Begleiter. Einer hat einen lebendigen Hahn in der Tasche, den die Bur¬
schen im Dorfe gefangen haben und zum Opfer bereit halten.

Nun folgt die übliche possenhafte Lob- und Tadclredc aus die Bewohner eines
jeden einzelnen Gehöftes. Dann nimmt der Diener den Hahn und legt ihn auf
den Tisch, indem er ihn an den Füßen, den Kopf nach unten, hält. Der Scharf¬
richter haut ihm mit einem hölzernen Säbel den Kopf ab, damit er alle gerügten
Mängel und Fehler der betreffenden Männer, Frauen und Mädchen sühne, und der
König wendet sich zu den Umstehenden, indem er sagt: „Wir danken Euch Allen
für die Gaben, mit denen Ihr uns beschenkt habt!"

Darauf zieht man mit Musik in die Schenke, oder das Haus, wo die Königin
den Schmaus zubereitet hat, läßt den Hahn braten, den man gemeinschaftlich ver¬
zehrt und begibt sich Abends, wenn man nicht schon in der Schenke ist, in diese,
wo auch die Bauern mit ihren Frauen und Töchtern hinkommen, um fröhlich zu¬
sammen zu schmausen und zu tanzen.

Erinnerungen aus Südamerika, von Ernst Freiherrn von Bibra, 3 Bde. Leip¬
zig, Hermann Costenoble. 1861. Erlebnisse und Beobachtungen aus dem Natur-
Und Volksleben Chile's in Form von Novellen. Der Verfasser besitzt ein bedeutendes
Talent im Schildern der Natur und in der Wiedergabe der Stimmung, und er
versteht sehr gut zu erzählen. Nur sollte er sich hüten, die Form der Ironie zu
häufig anzuwenden. Wird sie mit Maß gebraucht, so machen die Gedanken, die in
ihr vorgetragen werden, den Eindruck anmuthiger Vornehmheit, zu oft benutzt, stört
sie die Wirkung auch der besten Leistung des Erzählers, indem wir dann die Em¬
pfindung haben, einen Blasirten vor uns zu sehen. Ein solcher ist aber der Ver¬
sasser offenbar nicht, da er sonst nicht mit so lebhaften Farben, die bisweilen an
Sealsfields Feuer reichen, zu malen im Stande gewesen wäre.




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[0169] Die Bauersfrau holt Eier und Braten, wenn sie gerade welchen hat, und legt Alles in den Korb des Dieners, worauf sich das Gefolge des Königs mit den Wor¬ ten: „Wir danken Euch, daß Ihr unseren König und unsere Königin so reichlich beschenkt habt," entfernt, um im nächsten Hause dieselbe Ceremonie zu wiederholen. Aus dem letzten Gehöft kehren sie auf den Dorfplatz zurück, wo sie Alles, was sie gesammelt, der Königin geben, damit diese mit ihren Dienerinnen davon in der Schenke oder in irgend einem anderen Hause sogleich einen Schmaus für die ganze Gesellschaft bereite, und die Burschen essen können, sobald sie auf dem Dorfplatz mit den hergebrachten Gebräuchen fertig geworden sind. Waren die Burschen früher zu Pferde, fo zogen sie auch aus den benachbarten Dörfern herum. Zum Schluß der Feierlichkeit trugen die Burschen einen Tisch oder Schemel auf den Dorfplatz. Darauf stellt sich der König, um ihn herum stehen seine Die¬ ner und Begleiter. Einer hat einen lebendigen Hahn in der Tasche, den die Bur¬ schen im Dorfe gefangen haben und zum Opfer bereit halten. Nun folgt die übliche possenhafte Lob- und Tadclredc aus die Bewohner eines jeden einzelnen Gehöftes. Dann nimmt der Diener den Hahn und legt ihn auf den Tisch, indem er ihn an den Füßen, den Kopf nach unten, hält. Der Scharf¬ richter haut ihm mit einem hölzernen Säbel den Kopf ab, damit er alle gerügten Mängel und Fehler der betreffenden Männer, Frauen und Mädchen sühne, und der König wendet sich zu den Umstehenden, indem er sagt: „Wir danken Euch Allen für die Gaben, mit denen Ihr uns beschenkt habt!" Darauf zieht man mit Musik in die Schenke, oder das Haus, wo die Königin den Schmaus zubereitet hat, läßt den Hahn braten, den man gemeinschaftlich ver¬ zehrt und begibt sich Abends, wenn man nicht schon in der Schenke ist, in diese, wo auch die Bauern mit ihren Frauen und Töchtern hinkommen, um fröhlich zu¬ sammen zu schmausen und zu tanzen. Erinnerungen aus Südamerika, von Ernst Freiherrn von Bibra, 3 Bde. Leip¬ zig, Hermann Costenoble. 1861. Erlebnisse und Beobachtungen aus dem Natur- Und Volksleben Chile's in Form von Novellen. Der Verfasser besitzt ein bedeutendes Talent im Schildern der Natur und in der Wiedergabe der Stimmung, und er versteht sehr gut zu erzählen. Nur sollte er sich hüten, die Form der Ironie zu häufig anzuwenden. Wird sie mit Maß gebraucht, so machen die Gedanken, die in ihr vorgetragen werden, den Eindruck anmuthiger Vornehmheit, zu oft benutzt, stört sie die Wirkung auch der besten Leistung des Erzählers, indem wir dann die Em¬ pfindung haben, einen Blasirten vor uns zu sehen. Ein solcher ist aber der Ver¬ sasser offenbar nicht, da er sonst nicht mit so lebhaften Farben, die bisweilen an Sealsfields Feuer reichen, zu malen im Stande gewesen wäre.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_112507/169>, abgerufen am 08.05.2024.