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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. IV. Band.

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hervorgegangen, ein eigenthümliches Talent, das sich bemühte, die lyrische
mehr in der Tiefe des Gemüths verklingende, als nach außen sich drängende
Empfindungsweise zur sichtbaren Erscheinung zu bringen und durch eine stille
elegische Wirkung im Beschauer ein sanftes poetisches Gefühl zu erregen.
Schon in seinen ersten Bildern, die meistens historische Motive behandeln
(Tod des heil. Ludwig 1817, Aufopferung der Bürger von Calais 1819 u.
s. f.) klingt diese Richtung an. Sie hebt vor Allem die Seelenzustände, die
Subjectivität des Einzelnen als unendlich werthvoll hervor, und sucht daher
nicht in die malerische Beziehung der Figuren, sondern in die einzelne Ge¬
stalt einen besondern gehetmnißvollen Reiz zu legen. Scheffer griff bald zu
Motiven, die sich unmittelbar an das Gefühl des Beschauers wandten, in
denen die schwermüthige Stimmung eines mehr oder minder tiefen Leidens
die Theilnahme herausforderte (Waisen auf einem Grabe weinend, Brand
eines Bauernhofes, Trauernde um den Leichnam des Gastorr de Foix ver¬
sammelt, Scenen aus der modernen Geschichte der unglücklichen Griechen).
Es ist begreiflich, daß er vor Allem seine Ausbeute in den rührenden
romantischen Gestalten der Dichter und in den Episoden ihrer Werke fand,
die sich durch die ergreifende Verwicklung tiefer Seelenbeziehungen und
-Kämpfe in das Gedächtniß eingraben (Bürgers Leonore. Eberhard der
Greiner bei der Leiche seines Sohnes. Franzisca da Rumili mit ihrem Ge¬
liebten mit dem Ausdruck unendlichen Schmerzes vor Virgil und Dante vor-
überschwcbend, Faust und Gleichen in allen Situationen, König von Thule,
Mignon u. s. f.). Die Sachen sind bei uns durch den Kupferstich hinläng¬
lich bekannt; eine gewisse Periode der deutschen Sentimentalität fand in ihnen
die gewünschte Nahrung, und es hätte nicht viel gefehlt, daß man statt über
Büchern, nun vor Bildern geweint hätte.

Scheffer kommt es meistens darauf an, in der einfachen Erscheinung der
Gestalt, in ihrer Neigung, Haltung, der Schwärmerei ihrer Geberde, der
Ueberschwenglichkeit ihres Blickes, was sie tief innerlich bewegt, als eine über
den ganzen Menschen ergossene Stimmung sichtbar auszudrücken. Es ist oft
genug gesagt worden, daß die bildende Kunst die lyrische Innerlichkeit, die
Versenkung der Seele in sich selber, das von seiner Vergangenheit schmerzlich
bewegte Gemüth in der vagen Allgemeinheit des bloßen Zustandes zur An¬
schauung nicht bringen soll, nicht bringen kann. Ist der Künstler nicht im
Stande, die innere Empfindung in einer bestimmten Aeußerung zur festen,
klaren Sichtbarkeit herauszubilden, so zeugt das eben für eine Phantasie, die
überhaupt nicht malerisch und plastisch gestalten kann und ebenso arm an
Erfindung als reich an überschüssiger Empfindsamkeit ist. Kein Wunder da¬
her, daß die Menschen keinen Bau. keine Form, keine Bestimmtheit, keine Fülle
haben, sondern in sentimentaler Schmächtigkeit und Nervenschwäche auf dieser
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hervorgegangen, ein eigenthümliches Talent, das sich bemühte, die lyrische
mehr in der Tiefe des Gemüths verklingende, als nach außen sich drängende
Empfindungsweise zur sichtbaren Erscheinung zu bringen und durch eine stille
elegische Wirkung im Beschauer ein sanftes poetisches Gefühl zu erregen.
Schon in seinen ersten Bildern, die meistens historische Motive behandeln
(Tod des heil. Ludwig 1817, Aufopferung der Bürger von Calais 1819 u.
s. f.) klingt diese Richtung an. Sie hebt vor Allem die Seelenzustände, die
Subjectivität des Einzelnen als unendlich werthvoll hervor, und sucht daher
nicht in die malerische Beziehung der Figuren, sondern in die einzelne Ge¬
stalt einen besondern gehetmnißvollen Reiz zu legen. Scheffer griff bald zu
Motiven, die sich unmittelbar an das Gefühl des Beschauers wandten, in
denen die schwermüthige Stimmung eines mehr oder minder tiefen Leidens
die Theilnahme herausforderte (Waisen auf einem Grabe weinend, Brand
eines Bauernhofes, Trauernde um den Leichnam des Gastorr de Foix ver¬
sammelt, Scenen aus der modernen Geschichte der unglücklichen Griechen).
Es ist begreiflich, daß er vor Allem seine Ausbeute in den rührenden
romantischen Gestalten der Dichter und in den Episoden ihrer Werke fand,
die sich durch die ergreifende Verwicklung tiefer Seelenbeziehungen und
-Kämpfe in das Gedächtniß eingraben (Bürgers Leonore. Eberhard der
Greiner bei der Leiche seines Sohnes. Franzisca da Rumili mit ihrem Ge¬
liebten mit dem Ausdruck unendlichen Schmerzes vor Virgil und Dante vor-
überschwcbend, Faust und Gleichen in allen Situationen, König von Thule,
Mignon u. s. f.). Die Sachen sind bei uns durch den Kupferstich hinläng¬
lich bekannt; eine gewisse Periode der deutschen Sentimentalität fand in ihnen
die gewünschte Nahrung, und es hätte nicht viel gefehlt, daß man statt über
Büchern, nun vor Bildern geweint hätte.

Scheffer kommt es meistens darauf an, in der einfachen Erscheinung der
Gestalt, in ihrer Neigung, Haltung, der Schwärmerei ihrer Geberde, der
Ueberschwenglichkeit ihres Blickes, was sie tief innerlich bewegt, als eine über
den ganzen Menschen ergossene Stimmung sichtbar auszudrücken. Es ist oft
genug gesagt worden, daß die bildende Kunst die lyrische Innerlichkeit, die
Versenkung der Seele in sich selber, das von seiner Vergangenheit schmerzlich
bewegte Gemüth in der vagen Allgemeinheit des bloßen Zustandes zur An¬
schauung nicht bringen soll, nicht bringen kann. Ist der Künstler nicht im
Stande, die innere Empfindung in einer bestimmten Aeußerung zur festen,
klaren Sichtbarkeit herauszubilden, so zeugt das eben für eine Phantasie, die
überhaupt nicht malerisch und plastisch gestalten kann und ebenso arm an
Erfindung als reich an überschüssiger Empfindsamkeit ist. Kein Wunder da¬
her, daß die Menschen keinen Bau. keine Form, keine Bestimmtheit, keine Fülle
haben, sondern in sentimentaler Schmächtigkeit und Nervenschwäche auf dieser
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_112507/193>, abgerufen am 29.04.2024.