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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. IV. Band.

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malischen Momentes zum Vorwurf nahm; sondern auch in der Behandlung
suchte sie sich die wirksame, lebenskräftige Weise der neuen Schule anzueignen.
Zugleich war der Eigenthümlichkeit des Einzelnen voller Spielraum gegeben.
Es liegt in dem Wesen der Romantik, daß sich die subjective Phantasie als
die unbedingte Macht über die Dinge zeigt und die Kunst vor Allem in der
genial aus dem Werke hervorblitzcnden Meisterschaft der Darstellung sich be¬
währen will. Daher kam es, daß alle Bande der Regel und künstlerischen
Bildung, alle Fäden einer stätigen Entwicklung zerrissen schienen, daß Jeder
auf seine eigene Faust sich hervorzuthun suchte, und die Geschicklielckeit der Hand,
die technische Virtuosität als ein selbständiges, von dem innern künstlerischen
Schaffen und Dichten unabhängiges Verdienst gelten wollte. So oft die
Kunst romantisch wird, hört der feste geschichtliche Zusammenhang und das
gemeinsame Streben auf, und daher datirt zunächst die Zersplitterung, an der
die jetzige französische Malerei leidet, und das einseitige Hervortreten einer
Meisterschaft in allen äußerlichen Bedingungen, die es zwar zur täuschenden
Wahrheit des Scheins gebracht hat, aber gegen den Inhalt der Anschauung
und die künstlerische Bedeutung des Motivs sich gleichgültig verhält. --

Natürlich stand die neue Richtung im offenen Gegensatz zur classischen
Kunst, zu den Ausläufern der David'schen Periode, die an der alten Weise
noch immer mit ziemlicher Strenge festhielten. Die Bourbonen hatten die
französische Akademie zu Rom wieder hergestellt; sie war die Pflanzschule des
conventionellen Idealismus, und an ihre Zöglinge wandte sich meistens die
Regierung mit ihren Aufträgen. Der allegorischen Plafonds im Louvr e und der
verschiedenen kirchlichen Arbeiten, die hierher gehören, ist schon gedacht. Vor"
nehmlich die älteren Gemälde aus dem Anfang der zwanziger Jahre von
Meynir, Langlois. Delorme und Blond el sind in einer steifen, gezier¬
ten und leblosen Idealität erstarrt, und die ausführende verschmelzende classische
BeHandlungsweise wird in ihnen zur charakterlosen Gelecktheit. Dazu kam.
daß sich meistens das gegebene Motiv zur vollen künstlerischen Erscheinung
gar nicht herausbilden ließ. Ihnen nahe verwandt, aber durch ein gewisses
Geschick rhythmischer, mehr phantasievoller Composition etwas bedeutender ist
Abel d" Pujol. Die religiöse Kunst, die größtcntheUs der David'schen Schule
anvertraut war. konnte sich auch in den spätern Nachfolgern derselben eines
Aufschwungs und einer Neubelebung nicht rühmen: die tüchtigen Leistungen
kamen hier, wie wir gesehen, aus der Jngres'schen Schule. Auch ein Ver¬
such durch Dnrstelluugen in Fresko dem heruntergekommenen monumentalen
Styl wieder aufzuhelfen, von Vinchon und Abel de Pujol in der Kirche
Se. Sulpice unternommen, blieb erfolglos: die eigenthümliche Kraft und ge¬
haltvolle Einfachheit der Phantasie, welche die Freskenmalerei voraussetzt, scheint
im Ganzen der Franzosen Sache nicht zu sein. Selbst die religiöse Reaction


malischen Momentes zum Vorwurf nahm; sondern auch in der Behandlung
suchte sie sich die wirksame, lebenskräftige Weise der neuen Schule anzueignen.
Zugleich war der Eigenthümlichkeit des Einzelnen voller Spielraum gegeben.
Es liegt in dem Wesen der Romantik, daß sich die subjective Phantasie als
die unbedingte Macht über die Dinge zeigt und die Kunst vor Allem in der
genial aus dem Werke hervorblitzcnden Meisterschaft der Darstellung sich be¬
währen will. Daher kam es, daß alle Bande der Regel und künstlerischen
Bildung, alle Fäden einer stätigen Entwicklung zerrissen schienen, daß Jeder
auf seine eigene Faust sich hervorzuthun suchte, und die Geschicklielckeit der Hand,
die technische Virtuosität als ein selbständiges, von dem innern künstlerischen
Schaffen und Dichten unabhängiges Verdienst gelten wollte. So oft die
Kunst romantisch wird, hört der feste geschichtliche Zusammenhang und das
gemeinsame Streben auf, und daher datirt zunächst die Zersplitterung, an der
die jetzige französische Malerei leidet, und das einseitige Hervortreten einer
Meisterschaft in allen äußerlichen Bedingungen, die es zwar zur täuschenden
Wahrheit des Scheins gebracht hat, aber gegen den Inhalt der Anschauung
und die künstlerische Bedeutung des Motivs sich gleichgültig verhält. —

Natürlich stand die neue Richtung im offenen Gegensatz zur classischen
Kunst, zu den Ausläufern der David'schen Periode, die an der alten Weise
noch immer mit ziemlicher Strenge festhielten. Die Bourbonen hatten die
französische Akademie zu Rom wieder hergestellt; sie war die Pflanzschule des
conventionellen Idealismus, und an ihre Zöglinge wandte sich meistens die
Regierung mit ihren Aufträgen. Der allegorischen Plafonds im Louvr e und der
verschiedenen kirchlichen Arbeiten, die hierher gehören, ist schon gedacht. Vor«
nehmlich die älteren Gemälde aus dem Anfang der zwanziger Jahre von
Meynir, Langlois. Delorme und Blond el sind in einer steifen, gezier¬
ten und leblosen Idealität erstarrt, und die ausführende verschmelzende classische
BeHandlungsweise wird in ihnen zur charakterlosen Gelecktheit. Dazu kam.
daß sich meistens das gegebene Motiv zur vollen künstlerischen Erscheinung
gar nicht herausbilden ließ. Ihnen nahe verwandt, aber durch ein gewisses
Geschick rhythmischer, mehr phantasievoller Composition etwas bedeutender ist
Abel d« Pujol. Die religiöse Kunst, die größtcntheUs der David'schen Schule
anvertraut war. konnte sich auch in den spätern Nachfolgern derselben eines
Aufschwungs und einer Neubelebung nicht rühmen: die tüchtigen Leistungen
kamen hier, wie wir gesehen, aus der Jngres'schen Schule. Auch ein Ver¬
such durch Dnrstelluugen in Fresko dem heruntergekommenen monumentalen
Styl wieder aufzuhelfen, von Vinchon und Abel de Pujol in der Kirche
Se. Sulpice unternommen, blieb erfolglos: die eigenthümliche Kraft und ge¬
haltvolle Einfachheit der Phantasie, welche die Freskenmalerei voraussetzt, scheint
im Ganzen der Franzosen Sache nicht zu sein. Selbst die religiöse Reaction


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_112507/233>, abgerufen am 05.06.2024.