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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. IV. Band.

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aber die genauesten Ermittelungen geschehen können, ohne die bei schwebenden
Verhandlungen nöthige Discretion zu beeinträchtigen, das ist durch das Ver¬
fahren der Theilnehmer an den neueren Vertragen, welche die europäischen
Handelsbeziehungen umgestalten, hinlänglich bewiesen.

In England, wie in Frankreich und Belgien, hat, man, vor und un¬
abhängig von den Verhandlungen, Muster- oder Normaltarife ausgearbeitet,
welche diejenigen Erleichterungen des gegenseitigen Verkehrs enthielten, die
man dem Interesse des. eigenen Landes und der Belebung des gegenseitigen
Austausches angemessen erachtete. Bei dieser Vorarb e it sür die Verhandlungen
wurden die sorgfältigsten Untersuchungen gepflogen, die Handelskammern, die
Unternehmer der verschiedenen Zweige der Gewerbsthätigkeit, die Konsuln
u. s. w. zu Gutachten und zur Ertheilung von Aufschlüssen aufgefordert.
Napoleon der Dritte hat sich persönlich viel mit diesen Angelegenheiten be¬
schäftigt, und er zeigte sich im Gespräche mit Sachkundigen genau unter¬
richtet, so daß er manchem verstockten Wortführer der starren Prohibition
über seine "Treibhausindustrie" (iuäustris as sörrs) derbe Wahrheiten sagte.
Man hat auch in diesen Ländern mit Tarifreformen nicht auf die Verträge
gewartet, souderu ist damit, namentlich in England, schon längst vorange¬
gangen, ebenso in Frankreich hinsichtlich der Eingangszölle auf Lebensmittel
und manche andere Artikel; auch Belgien hatte seinen Normaltarif von 1856
den Handelskammern zur Prüfung mitgetheilt und 1859 veröffentlicht. Je¬
der wußte ungefähr, was der Andere von ihm verlangen werde, was er von
dem Andern zu erlangen wünschte. Jeder hatte sich daher, bevor er an die Ver¬
handlungen ging, klar gemacht, wie weit er in seinen Concessionen gehen, und
welche Zugeständnisse er von dem Andern erwarten dürfe. Zeigten sich dann auch
noch, wie natürlich, Abweichungen, so tappte man doch nicht ins Blaue hin¬
ein, und kam durch gegenseitiges Nachgeben zum Ziele. -- Dem Zollvereine
war eine ähnliche Vorarbeit nicht zuzumuthen. Es gehören dazu einstimmige
Beschlüsse sämmtlicher Conferenzmitglieder. Es existirt keine Einrichtung,
welche den auswärtigen Verkehr des deutschen Handelsgebietes zu regeln und
zu leiten geeignet wäre. Preußen kann den Impuls geben; das Weitere bleibt
der zwingenden Nothwendigkeit anheimgestellt. Haben aber vielleicht die Mi¬
nisterien des Handels, der Finanzen und der auswärtigen Angelegenheiten in
Berlin einen Mustcrtarif ausgearbeitet? Man sollte es vermuthen, da ein
solcher, abgesehen von allen Vertragshandlungen mit auswärtigen Regierungen,
für dre Erörterungen nöthig wird, die der Erneuerung der Zollvereinsver¬
träge vorausgehen, mithin schon 1863 zu irgend einem Resultat führen müs¬
sen. Dennoch bezweifeln wir, daß in Berlin eine materielle Tarifrevision vor¬
bereitet ist, da, dem Vernehmen nach, den übrigen Vereinsregierungen für
den Fall, daß die Verhandlungen mit Frankreich scheitern, zwar die Vornahme


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aber die genauesten Ermittelungen geschehen können, ohne die bei schwebenden
Verhandlungen nöthige Discretion zu beeinträchtigen, das ist durch das Ver¬
fahren der Theilnehmer an den neueren Vertragen, welche die europäischen
Handelsbeziehungen umgestalten, hinlänglich bewiesen.

In England, wie in Frankreich und Belgien, hat, man, vor und un¬
abhängig von den Verhandlungen, Muster- oder Normaltarife ausgearbeitet,
welche diejenigen Erleichterungen des gegenseitigen Verkehrs enthielten, die
man dem Interesse des. eigenen Landes und der Belebung des gegenseitigen
Austausches angemessen erachtete. Bei dieser Vorarb e it sür die Verhandlungen
wurden die sorgfältigsten Untersuchungen gepflogen, die Handelskammern, die
Unternehmer der verschiedenen Zweige der Gewerbsthätigkeit, die Konsuln
u. s. w. zu Gutachten und zur Ertheilung von Aufschlüssen aufgefordert.
Napoleon der Dritte hat sich persönlich viel mit diesen Angelegenheiten be¬
schäftigt, und er zeigte sich im Gespräche mit Sachkundigen genau unter¬
richtet, so daß er manchem verstockten Wortführer der starren Prohibition
über seine „Treibhausindustrie" (iuäustris as sörrs) derbe Wahrheiten sagte.
Man hat auch in diesen Ländern mit Tarifreformen nicht auf die Verträge
gewartet, souderu ist damit, namentlich in England, schon längst vorange¬
gangen, ebenso in Frankreich hinsichtlich der Eingangszölle auf Lebensmittel
und manche andere Artikel; auch Belgien hatte seinen Normaltarif von 1856
den Handelskammern zur Prüfung mitgetheilt und 1859 veröffentlicht. Je¬
der wußte ungefähr, was der Andere von ihm verlangen werde, was er von
dem Andern zu erlangen wünschte. Jeder hatte sich daher, bevor er an die Ver¬
handlungen ging, klar gemacht, wie weit er in seinen Concessionen gehen, und
welche Zugeständnisse er von dem Andern erwarten dürfe. Zeigten sich dann auch
noch, wie natürlich, Abweichungen, so tappte man doch nicht ins Blaue hin¬
ein, und kam durch gegenseitiges Nachgeben zum Ziele. — Dem Zollvereine
war eine ähnliche Vorarbeit nicht zuzumuthen. Es gehören dazu einstimmige
Beschlüsse sämmtlicher Conferenzmitglieder. Es existirt keine Einrichtung,
welche den auswärtigen Verkehr des deutschen Handelsgebietes zu regeln und
zu leiten geeignet wäre. Preußen kann den Impuls geben; das Weitere bleibt
der zwingenden Nothwendigkeit anheimgestellt. Haben aber vielleicht die Mi¬
nisterien des Handels, der Finanzen und der auswärtigen Angelegenheiten in
Berlin einen Mustcrtarif ausgearbeitet? Man sollte es vermuthen, da ein
solcher, abgesehen von allen Vertragshandlungen mit auswärtigen Regierungen,
für dre Erörterungen nöthig wird, die der Erneuerung der Zollvereinsver¬
träge vorausgehen, mithin schon 1863 zu irgend einem Resultat führen müs¬
sen. Dennoch bezweifeln wir, daß in Berlin eine materielle Tarifrevision vor¬
bereitet ist, da, dem Vernehmen nach, den übrigen Vereinsregierungen für
den Fall, daß die Verhandlungen mit Frankreich scheitern, zwar die Vornahme


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[0293] aber die genauesten Ermittelungen geschehen können, ohne die bei schwebenden Verhandlungen nöthige Discretion zu beeinträchtigen, das ist durch das Ver¬ fahren der Theilnehmer an den neueren Vertragen, welche die europäischen Handelsbeziehungen umgestalten, hinlänglich bewiesen. In England, wie in Frankreich und Belgien, hat, man, vor und un¬ abhängig von den Verhandlungen, Muster- oder Normaltarife ausgearbeitet, welche diejenigen Erleichterungen des gegenseitigen Verkehrs enthielten, die man dem Interesse des. eigenen Landes und der Belebung des gegenseitigen Austausches angemessen erachtete. Bei dieser Vorarb e it sür die Verhandlungen wurden die sorgfältigsten Untersuchungen gepflogen, die Handelskammern, die Unternehmer der verschiedenen Zweige der Gewerbsthätigkeit, die Konsuln u. s. w. zu Gutachten und zur Ertheilung von Aufschlüssen aufgefordert. Napoleon der Dritte hat sich persönlich viel mit diesen Angelegenheiten be¬ schäftigt, und er zeigte sich im Gespräche mit Sachkundigen genau unter¬ richtet, so daß er manchem verstockten Wortführer der starren Prohibition über seine „Treibhausindustrie" (iuäustris as sörrs) derbe Wahrheiten sagte. Man hat auch in diesen Ländern mit Tarifreformen nicht auf die Verträge gewartet, souderu ist damit, namentlich in England, schon längst vorange¬ gangen, ebenso in Frankreich hinsichtlich der Eingangszölle auf Lebensmittel und manche andere Artikel; auch Belgien hatte seinen Normaltarif von 1856 den Handelskammern zur Prüfung mitgetheilt und 1859 veröffentlicht. Je¬ der wußte ungefähr, was der Andere von ihm verlangen werde, was er von dem Andern zu erlangen wünschte. Jeder hatte sich daher, bevor er an die Ver¬ handlungen ging, klar gemacht, wie weit er in seinen Concessionen gehen, und welche Zugeständnisse er von dem Andern erwarten dürfe. Zeigten sich dann auch noch, wie natürlich, Abweichungen, so tappte man doch nicht ins Blaue hin¬ ein, und kam durch gegenseitiges Nachgeben zum Ziele. — Dem Zollvereine war eine ähnliche Vorarbeit nicht zuzumuthen. Es gehören dazu einstimmige Beschlüsse sämmtlicher Conferenzmitglieder. Es existirt keine Einrichtung, welche den auswärtigen Verkehr des deutschen Handelsgebietes zu regeln und zu leiten geeignet wäre. Preußen kann den Impuls geben; das Weitere bleibt der zwingenden Nothwendigkeit anheimgestellt. Haben aber vielleicht die Mi¬ nisterien des Handels, der Finanzen und der auswärtigen Angelegenheiten in Berlin einen Mustcrtarif ausgearbeitet? Man sollte es vermuthen, da ein solcher, abgesehen von allen Vertragshandlungen mit auswärtigen Regierungen, für dre Erörterungen nöthig wird, die der Erneuerung der Zollvereinsver¬ träge vorausgehen, mithin schon 1863 zu irgend einem Resultat führen müs¬ sen. Dennoch bezweifeln wir, daß in Berlin eine materielle Tarifrevision vor¬ bereitet ist, da, dem Vernehmen nach, den übrigen Vereinsregierungen für den Fall, daß die Verhandlungen mit Frankreich scheitern, zwar die Vornahme 36"

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_112507/293>, abgerufen am 28.04.2024.