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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. IV. Band.

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Namensunterschrift der Freigrafen tragen, wollen wir ein richtigeres Bild ent¬
werfen, wobei wir freilich bedauern, so manche schauerlich schöne Illusion zer¬
stören zu müssen.

Die Westfälischen Fehmgerichte finden sich, wie schon der Name andeutet,
nur in Westfalen, oder, wie es in der Gerichtssprache hieß, nur auf "rother
Erde", d, h. in dem Lande zwischen Weser und Rhein; die Gerichte, die
außerhalb dieser Grenze zuweilen unter diesem Namen vorkommen, haben
mit den westfälischen nichts gemein als den Namen; ihr Wesen war durchaus
verschieden. Und wenn man etwa einmal versuchte, anderswo dieselben ein¬
zuführen, so legten die westfälischen Freigrafen dagegen sofort wirksamen Pro¬
test ein, und zwar -- beim Kaiser selbst. Denn die Fehmgerichte waren
nichts Anderes als besonders privilegirte kaiserliche Gerichte, deren Vorsitzer,
die Freigrafen, den Blutbann, d. h. das Recht über Leben und Tod zu
richten, vom Kaiser selbst persönlich, oder von seinem Stellvertreter, dem
Kurfürsten von Cöln empfingen. Sie führten sogar einstimmig ihren Ur¬
sprung auf den ersten deutschen Kaiser, auf Karl den Großen zurück, der sie
mit Beirath des Papstes Leo in Sachsen zum Schutze des neu eingeführten
christlichen Glaubens gegründet habe. Wenn dieses nun auch in dieser
Bestimmtheit als irrig bezeichnet werden muß. so steht dock so viel fest,
daß sie allerdings sick aus den Einrichtungen, die Karl in Sachsen theils
aus alter Zeit her bestehen ließ, theils neu begründete, ganz naturgemäß
und folgerichtig entwickelt haben. Die Fehmgerichte als solche hat Karl der
Große nicht gestiftet, wohl aber die Grafengerichte, in denen wir den ersten
Keim jener zu suchen haben. Indessen ist die Frage nach ihrem Ursprünge
und ihrer allmäligen Entwicklung, so viel Interesse sie auel für den Geschichts¬
forscher hat, für unsern Zweck weniger bedeutsam, und wir wollen daher nur
bemerken, daß der zähe, am Alten so festhaltende Sinn der Westfalen, die
insbesondere noch eine große Vorliebe für ihr gutes altes Recht hatten, der
Hauptgrund war. daß sie an der alten Gerichtsverfassung in ihren Grund-
Zügen treu festhielten; und daß ihr Streben, die Freiheit chrer Gerichte zu
wahren und vor dem Einfluß der Territorialherren zu schützen, durch den Erz-
tnschof von Cöln. der in Westfalen die herzogliche Gewalt bekleidete, sowie
durch die Kaiser selbst wirksam unterstützt wurde.

Betrachte" wir jetzt also die Einrichtungen, wie sie zur Zeit ihrer Blüthe,
in der ersten Hälfte des is.^Jahrhunderts bestanden. Da die Fehmgerichte (auch
Freigerichte, Freistuhlsgerichte, die heimlichen Gerichte oder die heimliche Fehme
u s. w. genannt) als zu Recht bestehend von Kaiser und Reich anerkannt waren, so
brauchten sie das Licht des Tages nicht zu scheuen. Es ist ein großer Irr¬
thum, wenn man glaubt, wie es meistentheils geschieht, sie seien ,in dunkler
Nacht in unterirdischen Höhlen, in verborgenen Gewölben oder in unzugäng-


Namensunterschrift der Freigrafen tragen, wollen wir ein richtigeres Bild ent¬
werfen, wobei wir freilich bedauern, so manche schauerlich schöne Illusion zer¬
stören zu müssen.

Die Westfälischen Fehmgerichte finden sich, wie schon der Name andeutet,
nur in Westfalen, oder, wie es in der Gerichtssprache hieß, nur auf „rother
Erde", d, h. in dem Lande zwischen Weser und Rhein; die Gerichte, die
außerhalb dieser Grenze zuweilen unter diesem Namen vorkommen, haben
mit den westfälischen nichts gemein als den Namen; ihr Wesen war durchaus
verschieden. Und wenn man etwa einmal versuchte, anderswo dieselben ein¬
zuführen, so legten die westfälischen Freigrafen dagegen sofort wirksamen Pro¬
test ein, und zwar — beim Kaiser selbst. Denn die Fehmgerichte waren
nichts Anderes als besonders privilegirte kaiserliche Gerichte, deren Vorsitzer,
die Freigrafen, den Blutbann, d. h. das Recht über Leben und Tod zu
richten, vom Kaiser selbst persönlich, oder von seinem Stellvertreter, dem
Kurfürsten von Cöln empfingen. Sie führten sogar einstimmig ihren Ur¬
sprung auf den ersten deutschen Kaiser, auf Karl den Großen zurück, der sie
mit Beirath des Papstes Leo in Sachsen zum Schutze des neu eingeführten
christlichen Glaubens gegründet habe. Wenn dieses nun auch in dieser
Bestimmtheit als irrig bezeichnet werden muß. so steht dock so viel fest,
daß sie allerdings sick aus den Einrichtungen, die Karl in Sachsen theils
aus alter Zeit her bestehen ließ, theils neu begründete, ganz naturgemäß
und folgerichtig entwickelt haben. Die Fehmgerichte als solche hat Karl der
Große nicht gestiftet, wohl aber die Grafengerichte, in denen wir den ersten
Keim jener zu suchen haben. Indessen ist die Frage nach ihrem Ursprünge
und ihrer allmäligen Entwicklung, so viel Interesse sie auel für den Geschichts¬
forscher hat, für unsern Zweck weniger bedeutsam, und wir wollen daher nur
bemerken, daß der zähe, am Alten so festhaltende Sinn der Westfalen, die
insbesondere noch eine große Vorliebe für ihr gutes altes Recht hatten, der
Hauptgrund war. daß sie an der alten Gerichtsverfassung in ihren Grund-
Zügen treu festhielten; und daß ihr Streben, die Freiheit chrer Gerichte zu
wahren und vor dem Einfluß der Territorialherren zu schützen, durch den Erz-
tnschof von Cöln. der in Westfalen die herzogliche Gewalt bekleidete, sowie
durch die Kaiser selbst wirksam unterstützt wurde.

Betrachte» wir jetzt also die Einrichtungen, wie sie zur Zeit ihrer Blüthe,
in der ersten Hälfte des is.^Jahrhunderts bestanden. Da die Fehmgerichte (auch
Freigerichte, Freistuhlsgerichte, die heimlichen Gerichte oder die heimliche Fehme
u s. w. genannt) als zu Recht bestehend von Kaiser und Reich anerkannt waren, so
brauchten sie das Licht des Tages nicht zu scheuen. Es ist ein großer Irr¬
thum, wenn man glaubt, wie es meistentheils geschieht, sie seien ,in dunkler
Nacht in unterirdischen Höhlen, in verborgenen Gewölben oder in unzugäng-


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[0351] Namensunterschrift der Freigrafen tragen, wollen wir ein richtigeres Bild ent¬ werfen, wobei wir freilich bedauern, so manche schauerlich schöne Illusion zer¬ stören zu müssen. Die Westfälischen Fehmgerichte finden sich, wie schon der Name andeutet, nur in Westfalen, oder, wie es in der Gerichtssprache hieß, nur auf „rother Erde", d, h. in dem Lande zwischen Weser und Rhein; die Gerichte, die außerhalb dieser Grenze zuweilen unter diesem Namen vorkommen, haben mit den westfälischen nichts gemein als den Namen; ihr Wesen war durchaus verschieden. Und wenn man etwa einmal versuchte, anderswo dieselben ein¬ zuführen, so legten die westfälischen Freigrafen dagegen sofort wirksamen Pro¬ test ein, und zwar — beim Kaiser selbst. Denn die Fehmgerichte waren nichts Anderes als besonders privilegirte kaiserliche Gerichte, deren Vorsitzer, die Freigrafen, den Blutbann, d. h. das Recht über Leben und Tod zu richten, vom Kaiser selbst persönlich, oder von seinem Stellvertreter, dem Kurfürsten von Cöln empfingen. Sie führten sogar einstimmig ihren Ur¬ sprung auf den ersten deutschen Kaiser, auf Karl den Großen zurück, der sie mit Beirath des Papstes Leo in Sachsen zum Schutze des neu eingeführten christlichen Glaubens gegründet habe. Wenn dieses nun auch in dieser Bestimmtheit als irrig bezeichnet werden muß. so steht dock so viel fest, daß sie allerdings sick aus den Einrichtungen, die Karl in Sachsen theils aus alter Zeit her bestehen ließ, theils neu begründete, ganz naturgemäß und folgerichtig entwickelt haben. Die Fehmgerichte als solche hat Karl der Große nicht gestiftet, wohl aber die Grafengerichte, in denen wir den ersten Keim jener zu suchen haben. Indessen ist die Frage nach ihrem Ursprünge und ihrer allmäligen Entwicklung, so viel Interesse sie auel für den Geschichts¬ forscher hat, für unsern Zweck weniger bedeutsam, und wir wollen daher nur bemerken, daß der zähe, am Alten so festhaltende Sinn der Westfalen, die insbesondere noch eine große Vorliebe für ihr gutes altes Recht hatten, der Hauptgrund war. daß sie an der alten Gerichtsverfassung in ihren Grund- Zügen treu festhielten; und daß ihr Streben, die Freiheit chrer Gerichte zu wahren und vor dem Einfluß der Territorialherren zu schützen, durch den Erz- tnschof von Cöln. der in Westfalen die herzogliche Gewalt bekleidete, sowie durch die Kaiser selbst wirksam unterstützt wurde. Betrachte» wir jetzt also die Einrichtungen, wie sie zur Zeit ihrer Blüthe, in der ersten Hälfte des is.^Jahrhunderts bestanden. Da die Fehmgerichte (auch Freigerichte, Freistuhlsgerichte, die heimlichen Gerichte oder die heimliche Fehme u s. w. genannt) als zu Recht bestehend von Kaiser und Reich anerkannt waren, so brauchten sie das Licht des Tages nicht zu scheuen. Es ist ein großer Irr¬ thum, wenn man glaubt, wie es meistentheils geschieht, sie seien ,in dunkler Nacht in unterirdischen Höhlen, in verborgenen Gewölben oder in unzugäng-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_112507/351>, abgerufen am 06.05.2024.