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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. IV. Band.

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schwor den Eid, "daß er die Fehme heilig halten wollte vor Weib und Kind,
vor Sand und Wind, vor allem was Gott hat lassen werden zwischen Himmel
und Erden." Dann sagte der Freigraf ihm die "heimliche Fehme" oder ge¬
heime Losung, woran sich die Freischöffen erkannten, die aus den Worten be¬
stand "Strick Stein Gras Grein" und erklärte ihm das, und sodann das
"Noihwort". woraus jeder Freischöffe dem andern unbedingt, selbst gegen
Vater und Mutter zu Hülfe kommen sollte, nämlich "Reinir dor Feweri" nebst
der Erklärung. Was diese beiden Formeln zu bedeuten haben, ist bis ;ur
Stunde noch nicht enträthselt; sie bildeten das Geheimniß der Freischöffen
und sind, von dem Wortlaut abgesehen, auch noch für uns ein Geheimniß.
Wer dieses verrieth, den traf unfehlbar die Todesstrafe, und selbst die letzten
Freischöffen, einige sogenannte Freibankbauern rü der Herrschaft Gener im
Münsterschen, die noch in den zwanziger Jahren des gegenwärtigen Jahr¬
hunderts von Zeit zu Zeit an dem alten Freistuhl zusammenkamen und das
Geheimniß noch kannten, haben trotz aller, selbst von hochstehenden Beamten
angewandten Mühe dasselbe zu verrathen sich hartnäckig geweigert. Von diesen
geheim gehaltenen Formeln und der, wenigstens der Theorie nach geheim zu
haltenden Achtsertlärung oder Verfehmung, haben die Fehmgerichte den
Namen "heimliche Fehme" bekommen, der zu so vielen Mißverständnissen und
falschen Vorstellungen geführt hat. Schließlich theilte der Freigraf dem Neu¬
aufgenommenen den heimlichen Schöffengruß mit: der ankommende Freischöffe
legte seine rechte Hand auf des Andern linke Schulter und sagte: "Ich grüß'
Euch, lieber Mann, was fanget ihr hier an?" Und der Ändere antwortete in
gleicher Weise: "Altes Glück kehre ein, wo die Freischöffen sein." Hiemitwar
nun der neue Freischöffe in alle Geheimnisse eingeweiht und fortan berechtigt,
an allen Gerichten bei jedem Freistuhl teilzunehmen; er bezahlte nun an den
Freigrafen gewisse Gebühren, deren Höhe sich nach seinem Stande richtete, und
die ganze Scene scheint meistens mit einem fröhlichen Gelage der Frei
chöffen geschlossen worden zu sein.

Aus den Freischöffen wurden die Freigrafen ernannt, die den Vor¬
sitz im Gerichte führten; zu diesem Amte konnten nur geborne Westfalen ge¬
wählt werden, wobei es indeß gleichgültig war, welchen Ranges und Standes
sie sonst waren, wenn sie nur die dazu gehörigen Kenntnisse besaßen. Wir
finden sogar, daß meistentheils schlichte Bürger oder Bauern auf dem Frei¬
stuhl saßen, während unter dem "Umstände", den ringsum versammelten Frei¬
schöffen, ritterbürtige Männer, selbst Ri-ter und Grafen sich befanden. Sie
empfingen, wie schon bemerkt, den Blutbann vom Kaiser selbst oder vom Kur¬
fürsten von Cöln. welcher als Statthalter des Kaisers über die Fehma/nahte
den Titel "Oberstuhlherr" führte. Für seine Mühwaltung bekam der Frei¬
graf gewisse Einkünfte, namentlich von den unter das Freigericht, gehörenden


schwor den Eid, „daß er die Fehme heilig halten wollte vor Weib und Kind,
vor Sand und Wind, vor allem was Gott hat lassen werden zwischen Himmel
und Erden." Dann sagte der Freigraf ihm die „heimliche Fehme" oder ge¬
heime Losung, woran sich die Freischöffen erkannten, die aus den Worten be¬
stand „Strick Stein Gras Grein" und erklärte ihm das, und sodann das
„Noihwort". woraus jeder Freischöffe dem andern unbedingt, selbst gegen
Vater und Mutter zu Hülfe kommen sollte, nämlich „Reinir dor Feweri" nebst
der Erklärung. Was diese beiden Formeln zu bedeuten haben, ist bis ;ur
Stunde noch nicht enträthselt; sie bildeten das Geheimniß der Freischöffen
und sind, von dem Wortlaut abgesehen, auch noch für uns ein Geheimniß.
Wer dieses verrieth, den traf unfehlbar die Todesstrafe, und selbst die letzten
Freischöffen, einige sogenannte Freibankbauern rü der Herrschaft Gener im
Münsterschen, die noch in den zwanziger Jahren des gegenwärtigen Jahr¬
hunderts von Zeit zu Zeit an dem alten Freistuhl zusammenkamen und das
Geheimniß noch kannten, haben trotz aller, selbst von hochstehenden Beamten
angewandten Mühe dasselbe zu verrathen sich hartnäckig geweigert. Von diesen
geheim gehaltenen Formeln und der, wenigstens der Theorie nach geheim zu
haltenden Achtsertlärung oder Verfehmung, haben die Fehmgerichte den
Namen „heimliche Fehme" bekommen, der zu so vielen Mißverständnissen und
falschen Vorstellungen geführt hat. Schließlich theilte der Freigraf dem Neu¬
aufgenommenen den heimlichen Schöffengruß mit: der ankommende Freischöffe
legte seine rechte Hand auf des Andern linke Schulter und sagte: „Ich grüß'
Euch, lieber Mann, was fanget ihr hier an?" Und der Ändere antwortete in
gleicher Weise: „Altes Glück kehre ein, wo die Freischöffen sein." Hiemitwar
nun der neue Freischöffe in alle Geheimnisse eingeweiht und fortan berechtigt,
an allen Gerichten bei jedem Freistuhl teilzunehmen; er bezahlte nun an den
Freigrafen gewisse Gebühren, deren Höhe sich nach seinem Stande richtete, und
die ganze Scene scheint meistens mit einem fröhlichen Gelage der Frei
chöffen geschlossen worden zu sein.

Aus den Freischöffen wurden die Freigrafen ernannt, die den Vor¬
sitz im Gerichte führten; zu diesem Amte konnten nur geborne Westfalen ge¬
wählt werden, wobei es indeß gleichgültig war, welchen Ranges und Standes
sie sonst waren, wenn sie nur die dazu gehörigen Kenntnisse besaßen. Wir
finden sogar, daß meistentheils schlichte Bürger oder Bauern auf dem Frei¬
stuhl saßen, während unter dem „Umstände", den ringsum versammelten Frei¬
schöffen, ritterbürtige Männer, selbst Ri-ter und Grafen sich befanden. Sie
empfingen, wie schon bemerkt, den Blutbann vom Kaiser selbst oder vom Kur¬
fürsten von Cöln. welcher als Statthalter des Kaisers über die Fehma/nahte
den Titel „Oberstuhlherr" führte. Für seine Mühwaltung bekam der Frei¬
graf gewisse Einkünfte, namentlich von den unter das Freigericht, gehörenden


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_112507/353>, abgerufen am 17.06.2024.