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Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. IV. Band.

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am Wasser so oder so bei einander stehen, auch wol ein Ackerfeld im späten
Abendlichte, die abhängende Wiese mit einem Pfad; er läßt die Natur ganz
wie sie ist, er will nur anschaulich machen, daß auch an diesem Fleck behag¬
lich sich verweilen läßt, daß der eigentliche malerische Reiz der Natur das
Spielen und Schweben des Wassers, der Erde, des Lands in dem ahnungs
vollen Schleier der nordischen Luft ist, in tagiger Helle, nebeliger Morgen¬
frische, tiefglühender Abenddämmerung, schwüler Gewitterluft, leise rieselnoem-
Regen. Dazu ist es auf die größtmögliche körperliche Sattheit und Fülle
der farbigen Erscheinung abgesehen; der Stoff soll nicht im Duft zerfließen,
vom Licht durchglänzt sein, sondern als greifbare undurchsichtige Materie dem
Auge fühlbar werden. Das Element der Zeichnung, der Linie tritt ganz zu¬
rück; nur durch die sich abtönenden Luftschichten und die Modcllirung in der
Farbe tritt die Form -- immer nur als Massen-- aus dem Nahmen heraus.
Die Geschicklichkeit des Künstlers will sich nun nicht bloß in dieser Verbindung
des körperhaften Scheins mit dem leichten Flor und Duft des atmosphäri¬
schen Lebens zeigen, in dem Festhalten der wie ein Nebelhauch vorüberziehen,
den Luftstimmung, sondern auch in der flotten geistreichen Behandlung, die
dem Ganzen nur aus einer gewissen Entfernung gesehen die täuschende Wir¬
kung der Natur gibt, während aus der Nähe alle Töne unentwirrbar durch,
einanderschwimmen. Also ein vollendeter Realismus, der die gewöhnliche Natur
bis in ihre feinsten Wirkungen wiedergeben will, aber zugleich in ihrer ele-
mentaren, an das menschliche Gemüth anklingenden Stimmung, und andrer¬
seits ein absichtliches Heraustreten der gewandten künstlerischen Hand, der
denn doch schließlich der Gegenstand gleichgültig ist und nur zur Folie ihrer
geistreichen Behandlung dient. --

Natürlich bilden sich innerhalb der ganzen Gattung verschiedene Gruppen.
Louis Francais steht an der Spitze derjenigen, der es doch noch um ein
reicheres Motiv und eine gewisse Ausführung zu thun ist; doch bleibt der
einheitlich über das Ganze gezogene Luftton Hauptsache. Ein ähnliche Rich¬
tung haben CibSt, Desjobert (charakteristisch für die Schule das Bild,
Blicke durch blühende Apfelbäume auf eine sonnenbeschienene in die Ferne
sich verlierende Wiese). Dessaussay. Bodmer; doch behandeln sie zum Theil
ganz einfache Vorwürfe. Noch mehr tritt die Form und die Ausführung des
Einzelnen zurück in Franyois Daubigny; dagegen hat dieser eine große colo-
ristische Wahrheit und seine Bilder sind durch ein intensives Leuchten wirklich
anziehend, es ist. wie wenn man mit der Natur empfände, wie ihr am heißen
Mittag, am stillen Abend zu Muthe ist (Nars aux boiä8 as 1a mer). In
den neuesten Bildern tritt die flüchtige Gewandtheit der Mache allzusehr her¬
vor. Anastasi, B antik. Lambinct, Lavreille, Chintreuil, Haffner
lassen ebenfalls im Licht- und Farbeneffecte die Linien ganz verschwimmen,


am Wasser so oder so bei einander stehen, auch wol ein Ackerfeld im späten
Abendlichte, die abhängende Wiese mit einem Pfad; er läßt die Natur ganz
wie sie ist, er will nur anschaulich machen, daß auch an diesem Fleck behag¬
lich sich verweilen läßt, daß der eigentliche malerische Reiz der Natur das
Spielen und Schweben des Wassers, der Erde, des Lands in dem ahnungs
vollen Schleier der nordischen Luft ist, in tagiger Helle, nebeliger Morgen¬
frische, tiefglühender Abenddämmerung, schwüler Gewitterluft, leise rieselnoem-
Regen. Dazu ist es auf die größtmögliche körperliche Sattheit und Fülle
der farbigen Erscheinung abgesehen; der Stoff soll nicht im Duft zerfließen,
vom Licht durchglänzt sein, sondern als greifbare undurchsichtige Materie dem
Auge fühlbar werden. Das Element der Zeichnung, der Linie tritt ganz zu¬
rück; nur durch die sich abtönenden Luftschichten und die Modcllirung in der
Farbe tritt die Form — immer nur als Massen— aus dem Nahmen heraus.
Die Geschicklichkeit des Künstlers will sich nun nicht bloß in dieser Verbindung
des körperhaften Scheins mit dem leichten Flor und Duft des atmosphäri¬
schen Lebens zeigen, in dem Festhalten der wie ein Nebelhauch vorüberziehen,
den Luftstimmung, sondern auch in der flotten geistreichen Behandlung, die
dem Ganzen nur aus einer gewissen Entfernung gesehen die täuschende Wir¬
kung der Natur gibt, während aus der Nähe alle Töne unentwirrbar durch,
einanderschwimmen. Also ein vollendeter Realismus, der die gewöhnliche Natur
bis in ihre feinsten Wirkungen wiedergeben will, aber zugleich in ihrer ele-
mentaren, an das menschliche Gemüth anklingenden Stimmung, und andrer¬
seits ein absichtliches Heraustreten der gewandten künstlerischen Hand, der
denn doch schließlich der Gegenstand gleichgültig ist und nur zur Folie ihrer
geistreichen Behandlung dient. —

Natürlich bilden sich innerhalb der ganzen Gattung verschiedene Gruppen.
Louis Francais steht an der Spitze derjenigen, der es doch noch um ein
reicheres Motiv und eine gewisse Ausführung zu thun ist; doch bleibt der
einheitlich über das Ganze gezogene Luftton Hauptsache. Ein ähnliche Rich¬
tung haben CibSt, Desjobert (charakteristisch für die Schule das Bild,
Blicke durch blühende Apfelbäume auf eine sonnenbeschienene in die Ferne
sich verlierende Wiese). Dessaussay. Bodmer; doch behandeln sie zum Theil
ganz einfache Vorwürfe. Noch mehr tritt die Form und die Ausführung des
Einzelnen zurück in Franyois Daubigny; dagegen hat dieser eine große colo-
ristische Wahrheit und seine Bilder sind durch ein intensives Leuchten wirklich
anziehend, es ist. wie wenn man mit der Natur empfände, wie ihr am heißen
Mittag, am stillen Abend zu Muthe ist (Nars aux boiä8 as 1a mer). In
den neuesten Bildern tritt die flüchtige Gewandtheit der Mache allzusehr her¬
vor. Anastasi, B antik. Lambinct, Lavreille, Chintreuil, Haffner
lassen ebenfalls im Licht- und Farbeneffecte die Linien ganz verschwimmen,


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[0364] am Wasser so oder so bei einander stehen, auch wol ein Ackerfeld im späten Abendlichte, die abhängende Wiese mit einem Pfad; er läßt die Natur ganz wie sie ist, er will nur anschaulich machen, daß auch an diesem Fleck behag¬ lich sich verweilen läßt, daß der eigentliche malerische Reiz der Natur das Spielen und Schweben des Wassers, der Erde, des Lands in dem ahnungs vollen Schleier der nordischen Luft ist, in tagiger Helle, nebeliger Morgen¬ frische, tiefglühender Abenddämmerung, schwüler Gewitterluft, leise rieselnoem- Regen. Dazu ist es auf die größtmögliche körperliche Sattheit und Fülle der farbigen Erscheinung abgesehen; der Stoff soll nicht im Duft zerfließen, vom Licht durchglänzt sein, sondern als greifbare undurchsichtige Materie dem Auge fühlbar werden. Das Element der Zeichnung, der Linie tritt ganz zu¬ rück; nur durch die sich abtönenden Luftschichten und die Modcllirung in der Farbe tritt die Form — immer nur als Massen— aus dem Nahmen heraus. Die Geschicklichkeit des Künstlers will sich nun nicht bloß in dieser Verbindung des körperhaften Scheins mit dem leichten Flor und Duft des atmosphäri¬ schen Lebens zeigen, in dem Festhalten der wie ein Nebelhauch vorüberziehen, den Luftstimmung, sondern auch in der flotten geistreichen Behandlung, die dem Ganzen nur aus einer gewissen Entfernung gesehen die täuschende Wir¬ kung der Natur gibt, während aus der Nähe alle Töne unentwirrbar durch, einanderschwimmen. Also ein vollendeter Realismus, der die gewöhnliche Natur bis in ihre feinsten Wirkungen wiedergeben will, aber zugleich in ihrer ele- mentaren, an das menschliche Gemüth anklingenden Stimmung, und andrer¬ seits ein absichtliches Heraustreten der gewandten künstlerischen Hand, der denn doch schließlich der Gegenstand gleichgültig ist und nur zur Folie ihrer geistreichen Behandlung dient. — Natürlich bilden sich innerhalb der ganzen Gattung verschiedene Gruppen. Louis Francais steht an der Spitze derjenigen, der es doch noch um ein reicheres Motiv und eine gewisse Ausführung zu thun ist; doch bleibt der einheitlich über das Ganze gezogene Luftton Hauptsache. Ein ähnliche Rich¬ tung haben CibSt, Desjobert (charakteristisch für die Schule das Bild, Blicke durch blühende Apfelbäume auf eine sonnenbeschienene in die Ferne sich verlierende Wiese). Dessaussay. Bodmer; doch behandeln sie zum Theil ganz einfache Vorwürfe. Noch mehr tritt die Form und die Ausführung des Einzelnen zurück in Franyois Daubigny; dagegen hat dieser eine große colo- ristische Wahrheit und seine Bilder sind durch ein intensives Leuchten wirklich anziehend, es ist. wie wenn man mit der Natur empfände, wie ihr am heißen Mittag, am stillen Abend zu Muthe ist (Nars aux boiä8 as 1a mer). In den neuesten Bildern tritt die flüchtige Gewandtheit der Mache allzusehr her¬ vor. Anastasi, B antik. Lambinct, Lavreille, Chintreuil, Haffner lassen ebenfalls im Licht- und Farbeneffecte die Linien ganz verschwimmen,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 20, 1861, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341793_112507/364>, abgerufen am 01.05.2024.