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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. I. Band.

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der durck die sitzende Lebensart herbeigeführten Vernachlässigung der Körper-
bildung für untauglich zur Erfüllung der Militärpflicht gehalten wurden.
Deshalb sagt auch Aristoteles: "Wo es eine große Menge Handwerker gibt,
da kann der Staat volkreich und doch seine Kriegsmacht schwach sein"; und
das Handwerk ist deswegen auch verachtet und in einigen Staaten den Bür¬
gern geradezu verboten. In Rom herrschte ja dieselbe Ansicht, und noch Livius
schreibt, der Konsul Aemilius Mamercinus habe im Jahre 329 v. Chr. auch
"den Handwerkerpöbel und die Stuhlbocker ausgehoben. Menschen, die sich
gar nicht zum Kriegsdienste eignen." Hinsichtlich der Marine dagegen räth
Aristoteles -- und in der Praxis geschah es auch schon in früher Zeit so --
das Matrosenvolk unbedenklich aus Angehörigen fremder Staaten bestehen zu
lassen, die Seesoldaten aber stets aus der Bürgerschaft zu nehmen. -- In
Athen wurde der junge Bürger schon bei seiner im achtzehnten Jahre erfol¬
genden Münoigsprechung an seine Verpflichtung zum Waffendienste erinnert,
indem er dabei nicht nur einer körperlichen Prüfung unterworfen, sondern
auch nach seiner Einschreibung in das Verzeichnis^ seiner Gaugenossen dem
Volke im Theater vorgestellt und dann mit Schild und Speer bewehrt wurde,
worauf er einen Eid schwören mußte, durch den er sich der Vertheidigung des
Vaterlandes weihte. Ihre Vorbereitung zum Dienst erhielt die Jugend in
den Palästren und Gymnasien durch einen vernünftigen Turnunterricht, ver¬
bunden mit der Unterweisung im Gebrauche der Waffen aller Art, also durch
eine wirkliche Erziehung zum Kriege, ohne welche freilich die Leistungen von
Bürgermilizen keine anderen sein können, als die der amerikanischen Ochsen¬
bachhelden. Uebrigens folgte auf die Wehrhaftmachung der jungen Leute zu¬
erst ein zweijähriger Dienst im Lande, indem sie als Sicherheitswächter die
Wachthäuser zu beziehen und das Land zu durchstreifen hatten. Bedurfte der
Staat einer Militärmacht, so erfolgte, wenn nicht die ganze dienstpflichtige
Mannschaft erforderlich war. ein Aufgebot nach Altersklassen, entweder nach
den einzelnen Jahrgängen bis zu den sechzigjährigen, oder in wechselnder
Reihenfolge, je nach dem Beschlusse des Volks. Es wurde dabei eine für
jeden Stamm und Gau genau geführte Musterrolle zu Grunde gelegt, die zu
Jedermanns Einsicht öffentlick auflag. Nur Wenige außer den Gebrechlichen
waren vom Kriegsdienste befreit: die Senatoren, die Pächter gewisser Zölle,
die Großhändler und Rheder, welche durch ihr Geschäft von der Heimath
fern gehalten wurden. Entzog sich ein Verpflichteter dem Dienste, so traf ihn
der.Verlust aller bürgerlichen und politischen Rechte. Die ätherische Armee
bestand nach der Zahl der Volksstämme aus zehn Bataillonen, die wieder in
Löcher oder Compagnieen und kleinere Abtheilungen zerfielen. Den größten
Theil dieser Truppen bildete die in früherer Zeit fast ausschließlich zur An¬
wendung kommende schwergepanzerte Infanterie. Aus Bürgern der ersten


der durck die sitzende Lebensart herbeigeführten Vernachlässigung der Körper-
bildung für untauglich zur Erfüllung der Militärpflicht gehalten wurden.
Deshalb sagt auch Aristoteles: „Wo es eine große Menge Handwerker gibt,
da kann der Staat volkreich und doch seine Kriegsmacht schwach sein"; und
das Handwerk ist deswegen auch verachtet und in einigen Staaten den Bür¬
gern geradezu verboten. In Rom herrschte ja dieselbe Ansicht, und noch Livius
schreibt, der Konsul Aemilius Mamercinus habe im Jahre 329 v. Chr. auch
„den Handwerkerpöbel und die Stuhlbocker ausgehoben. Menschen, die sich
gar nicht zum Kriegsdienste eignen." Hinsichtlich der Marine dagegen räth
Aristoteles — und in der Praxis geschah es auch schon in früher Zeit so —
das Matrosenvolk unbedenklich aus Angehörigen fremder Staaten bestehen zu
lassen, die Seesoldaten aber stets aus der Bürgerschaft zu nehmen. — In
Athen wurde der junge Bürger schon bei seiner im achtzehnten Jahre erfol¬
genden Münoigsprechung an seine Verpflichtung zum Waffendienste erinnert,
indem er dabei nicht nur einer körperlichen Prüfung unterworfen, sondern
auch nach seiner Einschreibung in das Verzeichnis^ seiner Gaugenossen dem
Volke im Theater vorgestellt und dann mit Schild und Speer bewehrt wurde,
worauf er einen Eid schwören mußte, durch den er sich der Vertheidigung des
Vaterlandes weihte. Ihre Vorbereitung zum Dienst erhielt die Jugend in
den Palästren und Gymnasien durch einen vernünftigen Turnunterricht, ver¬
bunden mit der Unterweisung im Gebrauche der Waffen aller Art, also durch
eine wirkliche Erziehung zum Kriege, ohne welche freilich die Leistungen von
Bürgermilizen keine anderen sein können, als die der amerikanischen Ochsen¬
bachhelden. Uebrigens folgte auf die Wehrhaftmachung der jungen Leute zu¬
erst ein zweijähriger Dienst im Lande, indem sie als Sicherheitswächter die
Wachthäuser zu beziehen und das Land zu durchstreifen hatten. Bedurfte der
Staat einer Militärmacht, so erfolgte, wenn nicht die ganze dienstpflichtige
Mannschaft erforderlich war. ein Aufgebot nach Altersklassen, entweder nach
den einzelnen Jahrgängen bis zu den sechzigjährigen, oder in wechselnder
Reihenfolge, je nach dem Beschlusse des Volks. Es wurde dabei eine für
jeden Stamm und Gau genau geführte Musterrolle zu Grunde gelegt, die zu
Jedermanns Einsicht öffentlick auflag. Nur Wenige außer den Gebrechlichen
waren vom Kriegsdienste befreit: die Senatoren, die Pächter gewisser Zölle,
die Großhändler und Rheder, welche durch ihr Geschäft von der Heimath
fern gehalten wurden. Entzog sich ein Verpflichteter dem Dienste, so traf ihn
der.Verlust aller bürgerlichen und politischen Rechte. Die ätherische Armee
bestand nach der Zahl der Volksstämme aus zehn Bataillonen, die wieder in
Löcher oder Compagnieen und kleinere Abtheilungen zerfielen. Den größten
Theil dieser Truppen bildete die in früherer Zeit fast ausschließlich zur An¬
wendung kommende schwergepanzerte Infanterie. Aus Bürgern der ersten


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[0101] der durck die sitzende Lebensart herbeigeführten Vernachlässigung der Körper- bildung für untauglich zur Erfüllung der Militärpflicht gehalten wurden. Deshalb sagt auch Aristoteles: „Wo es eine große Menge Handwerker gibt, da kann der Staat volkreich und doch seine Kriegsmacht schwach sein"; und das Handwerk ist deswegen auch verachtet und in einigen Staaten den Bür¬ gern geradezu verboten. In Rom herrschte ja dieselbe Ansicht, und noch Livius schreibt, der Konsul Aemilius Mamercinus habe im Jahre 329 v. Chr. auch „den Handwerkerpöbel und die Stuhlbocker ausgehoben. Menschen, die sich gar nicht zum Kriegsdienste eignen." Hinsichtlich der Marine dagegen räth Aristoteles — und in der Praxis geschah es auch schon in früher Zeit so — das Matrosenvolk unbedenklich aus Angehörigen fremder Staaten bestehen zu lassen, die Seesoldaten aber stets aus der Bürgerschaft zu nehmen. — In Athen wurde der junge Bürger schon bei seiner im achtzehnten Jahre erfol¬ genden Münoigsprechung an seine Verpflichtung zum Waffendienste erinnert, indem er dabei nicht nur einer körperlichen Prüfung unterworfen, sondern auch nach seiner Einschreibung in das Verzeichnis^ seiner Gaugenossen dem Volke im Theater vorgestellt und dann mit Schild und Speer bewehrt wurde, worauf er einen Eid schwören mußte, durch den er sich der Vertheidigung des Vaterlandes weihte. Ihre Vorbereitung zum Dienst erhielt die Jugend in den Palästren und Gymnasien durch einen vernünftigen Turnunterricht, ver¬ bunden mit der Unterweisung im Gebrauche der Waffen aller Art, also durch eine wirkliche Erziehung zum Kriege, ohne welche freilich die Leistungen von Bürgermilizen keine anderen sein können, als die der amerikanischen Ochsen¬ bachhelden. Uebrigens folgte auf die Wehrhaftmachung der jungen Leute zu¬ erst ein zweijähriger Dienst im Lande, indem sie als Sicherheitswächter die Wachthäuser zu beziehen und das Land zu durchstreifen hatten. Bedurfte der Staat einer Militärmacht, so erfolgte, wenn nicht die ganze dienstpflichtige Mannschaft erforderlich war. ein Aufgebot nach Altersklassen, entweder nach den einzelnen Jahrgängen bis zu den sechzigjährigen, oder in wechselnder Reihenfolge, je nach dem Beschlusse des Volks. Es wurde dabei eine für jeden Stamm und Gau genau geführte Musterrolle zu Grunde gelegt, die zu Jedermanns Einsicht öffentlick auflag. Nur Wenige außer den Gebrechlichen waren vom Kriegsdienste befreit: die Senatoren, die Pächter gewisser Zölle, die Großhändler und Rheder, welche durch ihr Geschäft von der Heimath fern gehalten wurden. Entzog sich ein Verpflichteter dem Dienste, so traf ihn der.Verlust aller bürgerlichen und politischen Rechte. Die ätherische Armee bestand nach der Zahl der Volksstämme aus zehn Bataillonen, die wieder in Löcher oder Compagnieen und kleinere Abtheilungen zerfielen. Den größten Theil dieser Truppen bildete die in früherer Zeit fast ausschließlich zur An¬ wendung kommende schwergepanzerte Infanterie. Aus Bürgern der ersten

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_113241/101>, abgerufen am 06.06.2024.