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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. I. Band.

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Aus der stärkern Nachbarschaft und den Wechselbeziehungen mit derselben
wird jede Staatengruppe sich zu höherer Gesittung erheben. Amerika wird
an politischer Moralität gewinne", was es an politischer Macht verliert.
Der Norden wird oder kann wenigstens werden, was das Ganze bisher nur
sür den Phantasten, nicht für das nüchterne Auge war, das Muster eines
wohlgeordneten und doch vollkommen freien Staates. Zuerst allerdings wer¬
den sie, wie das mit jungem Blut zu gehen pflegt, mit Uebelnehmen und
Gcnugthuungfordern rasch bei der Hand sein und nur zu schnell -- wie in
ihren Privalbeziehungen -- zu Büchse und Revolver greifen. Aber indem
sie auf Nachbarn von gleich hitzigem Temperament und gleicher Neigung, statt
an die Vernunft an die Waffen zu appelliren, stoßen werden, wird dos ganze
Volk sich wechselseitig Maß halten lehren, sich die Ecken abschleifen und sich
nllmälig zu der Cultur verfeinern, die diesseits des Atlantischen Oceans Ton
ist. Könnten sie das nicht und nicht bald zu Stande bringen, nun so müßten
wir sagen, daß jenes unbeschränkte Gedeihen, welches sie bisjetzt begleitet
hat, vom Uebel für sie gewesen sei und daß die Vorsehung damit einen Mi߬
griff gethan habe. Da diese aber keine Mißgriffe begeht, so geben wir uns
der Hoffnung hin, Amerika wird die neue Position, in die es durch die Se¬
cession gestellt ist. zu seiner Besserung benutzen.

Wir kommen zum letzten Aber.

"Aber." entgegnet man uns, "der Umstand, daß wir von unabhängigen
und bei aller guten Lebensart doch nicht immer freundlichen Nachbarn umge¬
geben sein werden, wird uns nöthigen, beträchtliche stehende Heere und viel¬
leicht auch Flotten zu halten und, da diese Geld kosten, schwerlastende
Steuern zu zahlen, also alle die kostspieligen und lästigen Einrichtungen bei
uns einzuführen, über welche die alte Welt seufzt und murrt."

Ohne Zweifel wird besagter Umstand dies bewirken. Aber was heißt
diese Klage, in verständliches Deutsch übersetzt? Einfach dies, daß die Herren
Amerikaner sich auch in dieser Hinsicht dem Schicksal Europas zu unterwerfen,
daß sie sich in die allgemeine Regel und Bedingung nationaler Existenz zu
finden und zu fügen haben, von der sie bisher ohne ihr Verdienst cmsge'
nommer waren.

Wir halten das Resultat, zu dem mir in dieser Betrachtung gekommen
sind, für keineswegs unannehmbar, aber wir können begreifen, daß die Ame¬
rikaner entschlossen sind, gegen die Zukunft, die es bezeichnet, mit aller Kraft
anzukämpfen. Der Sturz von der bisherigen Hohe wird vielleicht heilsam
sein, aber es erfordert mehr als gewöhnliche Menschenkraft, sich ohne
Weiteres in ihn zu finden und das Wiederemporklimmen für immer aufzugeben.






Aus der stärkern Nachbarschaft und den Wechselbeziehungen mit derselben
wird jede Staatengruppe sich zu höherer Gesittung erheben. Amerika wird
an politischer Moralität gewinne», was es an politischer Macht verliert.
Der Norden wird oder kann wenigstens werden, was das Ganze bisher nur
sür den Phantasten, nicht für das nüchterne Auge war, das Muster eines
wohlgeordneten und doch vollkommen freien Staates. Zuerst allerdings wer¬
den sie, wie das mit jungem Blut zu gehen pflegt, mit Uebelnehmen und
Gcnugthuungfordern rasch bei der Hand sein und nur zu schnell — wie in
ihren Privalbeziehungen — zu Büchse und Revolver greifen. Aber indem
sie auf Nachbarn von gleich hitzigem Temperament und gleicher Neigung, statt
an die Vernunft an die Waffen zu appelliren, stoßen werden, wird dos ganze
Volk sich wechselseitig Maß halten lehren, sich die Ecken abschleifen und sich
nllmälig zu der Cultur verfeinern, die diesseits des Atlantischen Oceans Ton
ist. Könnten sie das nicht und nicht bald zu Stande bringen, nun so müßten
wir sagen, daß jenes unbeschränkte Gedeihen, welches sie bisjetzt begleitet
hat, vom Uebel für sie gewesen sei und daß die Vorsehung damit einen Mi߬
griff gethan habe. Da diese aber keine Mißgriffe begeht, so geben wir uns
der Hoffnung hin, Amerika wird die neue Position, in die es durch die Se¬
cession gestellt ist. zu seiner Besserung benutzen.

Wir kommen zum letzten Aber.

„Aber." entgegnet man uns, „der Umstand, daß wir von unabhängigen
und bei aller guten Lebensart doch nicht immer freundlichen Nachbarn umge¬
geben sein werden, wird uns nöthigen, beträchtliche stehende Heere und viel¬
leicht auch Flotten zu halten und, da diese Geld kosten, schwerlastende
Steuern zu zahlen, also alle die kostspieligen und lästigen Einrichtungen bei
uns einzuführen, über welche die alte Welt seufzt und murrt."

Ohne Zweifel wird besagter Umstand dies bewirken. Aber was heißt
diese Klage, in verständliches Deutsch übersetzt? Einfach dies, daß die Herren
Amerikaner sich auch in dieser Hinsicht dem Schicksal Europas zu unterwerfen,
daß sie sich in die allgemeine Regel und Bedingung nationaler Existenz zu
finden und zu fügen haben, von der sie bisher ohne ihr Verdienst cmsge'
nommer waren.

Wir halten das Resultat, zu dem mir in dieser Betrachtung gekommen
sind, für keineswegs unannehmbar, aber wir können begreifen, daß die Ame¬
rikaner entschlossen sind, gegen die Zukunft, die es bezeichnet, mit aller Kraft
anzukämpfen. Der Sturz von der bisherigen Hohe wird vielleicht heilsam
sein, aber es erfordert mehr als gewöhnliche Menschenkraft, sich ohne
Weiteres in ihn zu finden und das Wiederemporklimmen für immer aufzugeben.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_113241/144>, abgerufen am 13.05.2024.