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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. I. Band.

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Terrain. Die Aufstellung der Posten wurde als zweckmäßig befunden, das
Militär nahm ihre Stellen ein. Welche Wonne, als ich nun wieder einmal
aus den Kleidern ins Bett kam. Mit Wohlbehagen zog ich mich den andern
Morgen an, ich war wie neu belebt. Man kann sich die Consumtion in
meinem Hause denken. Zu den vielen Geflüchteten kam jetzt noch das Mili¬
tär, aber von Herzen gern gaben wir, was wir hatten.

Leider dauerte die Freude nicht lange; die Compagnie erhielt den Be¬
fehl, abzumcirschircn. Seidlitz hatte keinen bestimmten Befehl zur Rückkehr
erhalten, und ich bat ihn. noch zu bleiben. Es war sehr gewagt von ihm,
aber er blieb. Mit der größten Ausdauer, unermüdlich, that er bei dem fürch¬
terlichen Wetter mit den Dragonern seinen schweren Dienst; aber nur kurze
Zeit, und auch Seidlitz rückte ab. und wir waren wieder auf uns selbst an¬
gewiesen, dem ganzen Haß der Insurgenten preisgegeben. Jetzt kostete es
mir große Mühe, mein Corps wieder zusammenzubringen. Meine eignen
polnischen Leute wurden von den Pfaffen in der Beichte bearbeitet. Wer in
der Beichte gewesen war, fand sich nicht wieder bei den Wachen ein. Auch
einer meiner jungen Leute brannte durch und ging ins polnische Lager, immer
vereinzelter stand ich da. Ab und zu kamen preußische Truppen, aber nur
auf Durchmärschen, sie waren aufs Grausamste angestrengt, wurden nirgends
ordentlich verpflegt, ich war , immer außer mir, wenn ich sah. wie sie ohne
festen Plan hin und her gezogen wurden. Mit Besorgniß sah ich die Lawine
des Aufruhrs wachsen und warnte immer vor den Pfaffen und Sturmglocken.
Im Anfange hätte man das ganze Feuer mit einem nassen Sack ersticken kön¬
nen, später konnte nur ein Strom von Blut die Flamme lösche". Ich ließ
keine Gelegenheit vorübergehen. Militär herzubekommen. In Mogilno stand
der Oberst Hermann mit einer Batterie, einem Regiment und einer Escadron
Dragoner, ich fuhr hin und bat um eine Compagnie, er schlug es mir ab.
Ich wurde sehr bitter gegen ihn. und er sagte endlich: "Sie thun mir sehr
Unrecht, aber Sie sind ein braver Mann, ich kann Ihnen nicht zürnen. Ich
will Ihnen die Wahrheit sagen, ich darf nicht. Morgen greise ich den Feind an."

Ich fuhr nach Hause, mein Entschluß war gefaßt. Am andern Mor¬
gen saß ich mit dem Tischler Hempel, einem verwegenen Büchsenschützen, auf
einem kleinen Wagen und fuhr den Weg nach Mogilno. Am Saum des
Waldes erwartete mich mein Jäger Cholabars. ebenfalls ein tüchtiger Schütze
und ein dcterminirter Kerl. Er sprang auf den Bock, und im Galopp gings
weiter. Als wir nach Mogilno kamen, war es 8 Uhr Morgens, wir hörten,
daß die Truppen schon in der Nacht abmarschirt seien, aber der Lieutenant
v. Schlcinitz sei mit Befehlen des commandirenden Generals ihnen nachge¬
ritten, der Angriff solle nicht stattfinden. Ich knirschte mit den Zähnen, ich
weinte vor Wuth; in Carriere fuhr ich hinter Schleinitz her, ihm das Pferd


Terrain. Die Aufstellung der Posten wurde als zweckmäßig befunden, das
Militär nahm ihre Stellen ein. Welche Wonne, als ich nun wieder einmal
aus den Kleidern ins Bett kam. Mit Wohlbehagen zog ich mich den andern
Morgen an, ich war wie neu belebt. Man kann sich die Consumtion in
meinem Hause denken. Zu den vielen Geflüchteten kam jetzt noch das Mili¬
tär, aber von Herzen gern gaben wir, was wir hatten.

Leider dauerte die Freude nicht lange; die Compagnie erhielt den Be¬
fehl, abzumcirschircn. Seidlitz hatte keinen bestimmten Befehl zur Rückkehr
erhalten, und ich bat ihn. noch zu bleiben. Es war sehr gewagt von ihm,
aber er blieb. Mit der größten Ausdauer, unermüdlich, that er bei dem fürch¬
terlichen Wetter mit den Dragonern seinen schweren Dienst; aber nur kurze
Zeit, und auch Seidlitz rückte ab. und wir waren wieder auf uns selbst an¬
gewiesen, dem ganzen Haß der Insurgenten preisgegeben. Jetzt kostete es
mir große Mühe, mein Corps wieder zusammenzubringen. Meine eignen
polnischen Leute wurden von den Pfaffen in der Beichte bearbeitet. Wer in
der Beichte gewesen war, fand sich nicht wieder bei den Wachen ein. Auch
einer meiner jungen Leute brannte durch und ging ins polnische Lager, immer
vereinzelter stand ich da. Ab und zu kamen preußische Truppen, aber nur
auf Durchmärschen, sie waren aufs Grausamste angestrengt, wurden nirgends
ordentlich verpflegt, ich war , immer außer mir, wenn ich sah. wie sie ohne
festen Plan hin und her gezogen wurden. Mit Besorgniß sah ich die Lawine
des Aufruhrs wachsen und warnte immer vor den Pfaffen und Sturmglocken.
Im Anfange hätte man das ganze Feuer mit einem nassen Sack ersticken kön¬
nen, später konnte nur ein Strom von Blut die Flamme lösche». Ich ließ
keine Gelegenheit vorübergehen. Militär herzubekommen. In Mogilno stand
der Oberst Hermann mit einer Batterie, einem Regiment und einer Escadron
Dragoner, ich fuhr hin und bat um eine Compagnie, er schlug es mir ab.
Ich wurde sehr bitter gegen ihn. und er sagte endlich: „Sie thun mir sehr
Unrecht, aber Sie sind ein braver Mann, ich kann Ihnen nicht zürnen. Ich
will Ihnen die Wahrheit sagen, ich darf nicht. Morgen greise ich den Feind an."

Ich fuhr nach Hause, mein Entschluß war gefaßt. Am andern Mor¬
gen saß ich mit dem Tischler Hempel, einem verwegenen Büchsenschützen, auf
einem kleinen Wagen und fuhr den Weg nach Mogilno. Am Saum des
Waldes erwartete mich mein Jäger Cholabars. ebenfalls ein tüchtiger Schütze
und ein dcterminirter Kerl. Er sprang auf den Bock, und im Galopp gings
weiter. Als wir nach Mogilno kamen, war es 8 Uhr Morgens, wir hörten,
daß die Truppen schon in der Nacht abmarschirt seien, aber der Lieutenant
v. Schlcinitz sei mit Befehlen des commandirenden Generals ihnen nachge¬
ritten, der Angriff solle nicht stattfinden. Ich knirschte mit den Zähnen, ich
weinte vor Wuth; in Carriere fuhr ich hinter Schleinitz her, ihm das Pferd


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_113241/176>, abgerufen am 28.05.2024.