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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. I. Band.

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fers aufgezeigt haben. Die Forschung wurde durch diese Entdeckung an eine
Culturperiode geführt, die in die weiteste Vorzeit, in die lautlose Ferne ganzer
Jahrtausende zurückgeht.

In den Wintermonaten der Jahre 1853 und 1854 war durch außeror¬
dentliche Trockenheit und anhaltende Kälte der Wasserspiegel wie anderwärts
so auch in den Schweizerseen bedeutend gefallen, so daß hier ein ungewöhn¬
lich breiter Strand, dort eine nie gesehene Insel hervortrat und das Schwin¬
den des Wassers bemerklich machte. Und während an den Ufern des Rheins,
der Aar und Limmat Uebcneste aus der Römerzeit sichtbar wurden, grub
man im Zürichersce eine Ansiedelung und Wohnstätte der grauesten Vorzeit
wieder auf. Die Anwohner des See's hatten den niedrigen Wusserstand be¬
nutzt, sich ein Stück Land auf dem trocken liegenden Seeboden für Häuser
oder Gärten zu sichern, halten deshalb schützende Mauern errichtet und den
so abgeschlossenen Raum mit Letten ausgefüllt, den man unmittelbar vor den
Mauern und Abdämmungen ausgruben konnte. In der Bucht zwischen
Ober-Meilen und Dollikon, wo an zwei Stellen solche Landanlagen gemacht
wurden, kamen beim Ausstechen des Letters Pfahlköpfe, auch viele Hirschge¬
weihe und andere Gerätschaften zum Vorschein. Schon früher, im Jahre
1829, hatte man in dieser Gegend eine Ausgrabung und Austiefung des
Hafens vorgenommen und dabei Pfahlwerke und Alterthümer gefunden, leider
aber die ausgehobene Erde mit allen Fundgcgenständen auf Kähnen in den
See hinausgeführt und dort versenkt. Jetzt ging man aber genauer und
sorgfältiger zu Werke. Man stellte Untersuchungen über die Ausbreitung und
Richtung der Pfähle an und über die Beschaffenheit des Bodens, in dem sie
stehen. Diese Untersuchungen sowie die Betrachtung der aufgefundenen Ge-
räthschaften führten sofort zu der Ueberzeugung, daß hier mitten im Wasser
auf Pfahlwerk eine menschliche Niederlassung in früher, vorgeschichtlicher Zeit
bestanden habe; zugleich legten sie die Vermuthung nahe, daß diese Nieder-
lnssung wohl nicht die einzige ihrer Art sein dürfte. Auch dieser Gedanke
hat sich als richtig erwiesen. Einmal aufmerksam gemacht durch die merk¬
würdige Entdeckung, hat man alsbald in andern Schweizerseen, später auch
außerhalb der Schweiz Nachforschungen angestellt und zahlreiche Spuren und
Ueberreste solcher Wasserdörfer aufgesunden.

Die weite Verbreitung dieser seltsamen Wohnsitze in der Schweiz und
deren Nachbarschaft wird aus nachfolgenden Angaben ersichtlich werden. Pfahl¬
bauansiedelungen sind b is jetzt entdeckt worden am Bielersee und zwar an elf
verschiedenen Stellen. Der wichtigste Bau ist auf dem sogenannten Stein¬
berge, einer kleinen Insel bei Nidau. Er gehört zu den ältesten Niederlassun¬
gen und hat als Wohnplatz sicher auch lange Zeit hindurch bestanden. Denn
unter seinen Trülnmern haben sich Gerüthschaften vorgefunden, welche die ersten


fers aufgezeigt haben. Die Forschung wurde durch diese Entdeckung an eine
Culturperiode geführt, die in die weiteste Vorzeit, in die lautlose Ferne ganzer
Jahrtausende zurückgeht.

In den Wintermonaten der Jahre 1853 und 1854 war durch außeror¬
dentliche Trockenheit und anhaltende Kälte der Wasserspiegel wie anderwärts
so auch in den Schweizerseen bedeutend gefallen, so daß hier ein ungewöhn¬
lich breiter Strand, dort eine nie gesehene Insel hervortrat und das Schwin¬
den des Wassers bemerklich machte. Und während an den Ufern des Rheins,
der Aar und Limmat Uebcneste aus der Römerzeit sichtbar wurden, grub
man im Zürichersce eine Ansiedelung und Wohnstätte der grauesten Vorzeit
wieder auf. Die Anwohner des See's hatten den niedrigen Wusserstand be¬
nutzt, sich ein Stück Land auf dem trocken liegenden Seeboden für Häuser
oder Gärten zu sichern, halten deshalb schützende Mauern errichtet und den
so abgeschlossenen Raum mit Letten ausgefüllt, den man unmittelbar vor den
Mauern und Abdämmungen ausgruben konnte. In der Bucht zwischen
Ober-Meilen und Dollikon, wo an zwei Stellen solche Landanlagen gemacht
wurden, kamen beim Ausstechen des Letters Pfahlköpfe, auch viele Hirschge¬
weihe und andere Gerätschaften zum Vorschein. Schon früher, im Jahre
1829, hatte man in dieser Gegend eine Ausgrabung und Austiefung des
Hafens vorgenommen und dabei Pfahlwerke und Alterthümer gefunden, leider
aber die ausgehobene Erde mit allen Fundgcgenständen auf Kähnen in den
See hinausgeführt und dort versenkt. Jetzt ging man aber genauer und
sorgfältiger zu Werke. Man stellte Untersuchungen über die Ausbreitung und
Richtung der Pfähle an und über die Beschaffenheit des Bodens, in dem sie
stehen. Diese Untersuchungen sowie die Betrachtung der aufgefundenen Ge-
räthschaften führten sofort zu der Ueberzeugung, daß hier mitten im Wasser
auf Pfahlwerk eine menschliche Niederlassung in früher, vorgeschichtlicher Zeit
bestanden habe; zugleich legten sie die Vermuthung nahe, daß diese Nieder-
lnssung wohl nicht die einzige ihrer Art sein dürfte. Auch dieser Gedanke
hat sich als richtig erwiesen. Einmal aufmerksam gemacht durch die merk¬
würdige Entdeckung, hat man alsbald in andern Schweizerseen, später auch
außerhalb der Schweiz Nachforschungen angestellt und zahlreiche Spuren und
Ueberreste solcher Wasserdörfer aufgesunden.

Die weite Verbreitung dieser seltsamen Wohnsitze in der Schweiz und
deren Nachbarschaft wird aus nachfolgenden Angaben ersichtlich werden. Pfahl¬
bauansiedelungen sind b is jetzt entdeckt worden am Bielersee und zwar an elf
verschiedenen Stellen. Der wichtigste Bau ist auf dem sogenannten Stein¬
berge, einer kleinen Insel bei Nidau. Er gehört zu den ältesten Niederlassun¬
gen und hat als Wohnplatz sicher auch lange Zeit hindurch bestanden. Denn
unter seinen Trülnmern haben sich Gerüthschaften vorgefunden, welche die ersten


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[0224] fers aufgezeigt haben. Die Forschung wurde durch diese Entdeckung an eine Culturperiode geführt, die in die weiteste Vorzeit, in die lautlose Ferne ganzer Jahrtausende zurückgeht. In den Wintermonaten der Jahre 1853 und 1854 war durch außeror¬ dentliche Trockenheit und anhaltende Kälte der Wasserspiegel wie anderwärts so auch in den Schweizerseen bedeutend gefallen, so daß hier ein ungewöhn¬ lich breiter Strand, dort eine nie gesehene Insel hervortrat und das Schwin¬ den des Wassers bemerklich machte. Und während an den Ufern des Rheins, der Aar und Limmat Uebcneste aus der Römerzeit sichtbar wurden, grub man im Zürichersce eine Ansiedelung und Wohnstätte der grauesten Vorzeit wieder auf. Die Anwohner des See's hatten den niedrigen Wusserstand be¬ nutzt, sich ein Stück Land auf dem trocken liegenden Seeboden für Häuser oder Gärten zu sichern, halten deshalb schützende Mauern errichtet und den so abgeschlossenen Raum mit Letten ausgefüllt, den man unmittelbar vor den Mauern und Abdämmungen ausgruben konnte. In der Bucht zwischen Ober-Meilen und Dollikon, wo an zwei Stellen solche Landanlagen gemacht wurden, kamen beim Ausstechen des Letters Pfahlköpfe, auch viele Hirschge¬ weihe und andere Gerätschaften zum Vorschein. Schon früher, im Jahre 1829, hatte man in dieser Gegend eine Ausgrabung und Austiefung des Hafens vorgenommen und dabei Pfahlwerke und Alterthümer gefunden, leider aber die ausgehobene Erde mit allen Fundgcgenständen auf Kähnen in den See hinausgeführt und dort versenkt. Jetzt ging man aber genauer und sorgfältiger zu Werke. Man stellte Untersuchungen über die Ausbreitung und Richtung der Pfähle an und über die Beschaffenheit des Bodens, in dem sie stehen. Diese Untersuchungen sowie die Betrachtung der aufgefundenen Ge- räthschaften führten sofort zu der Ueberzeugung, daß hier mitten im Wasser auf Pfahlwerk eine menschliche Niederlassung in früher, vorgeschichtlicher Zeit bestanden habe; zugleich legten sie die Vermuthung nahe, daß diese Nieder- lnssung wohl nicht die einzige ihrer Art sein dürfte. Auch dieser Gedanke hat sich als richtig erwiesen. Einmal aufmerksam gemacht durch die merk¬ würdige Entdeckung, hat man alsbald in andern Schweizerseen, später auch außerhalb der Schweiz Nachforschungen angestellt und zahlreiche Spuren und Ueberreste solcher Wasserdörfer aufgesunden. Die weite Verbreitung dieser seltsamen Wohnsitze in der Schweiz und deren Nachbarschaft wird aus nachfolgenden Angaben ersichtlich werden. Pfahl¬ bauansiedelungen sind b is jetzt entdeckt worden am Bielersee und zwar an elf verschiedenen Stellen. Der wichtigste Bau ist auf dem sogenannten Stein¬ berge, einer kleinen Insel bei Nidau. Er gehört zu den ältesten Niederlassun¬ gen und hat als Wohnplatz sicher auch lange Zeit hindurch bestanden. Denn unter seinen Trülnmern haben sich Gerüthschaften vorgefunden, welche die ersten

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_113241/224>, abgerufen am 12.05.2024.