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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. I. Band.

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dem See von Annecy (Ms as Si-ssine) Pfahlbauten von beträchtlichem Um¬
fange und nach ihrer Beschaffenheit und nach der Natur der gefundenen Ge¬
genstände ganz ähnlicher Art. wie im Genfersee. Endlich bringen die neuesten
Berichte auch Kunde von Pfahlbauwohnungen am Südabhange der Alpen,
deren Construction mit den Bauten in den Schweizerseen ganz übereinstimmt.
Die aus ihren Trümmern hervorgezogenen Culturgegcnstände zeigen deutlich,
daß die Bewohner unter denselben Lebensverhältnissen sich befanden, wie ihre
Stammgenossen diesseits der Alpen: daß sie nämlich lange dort ansässig waren
ohne die Metalle zu kennen, später jedoch auch Erzgeräthe besaßen, ihre Be¬
hausungen aber vor der Bekanntschaft mit dem Eisen verlassen hatten. Die
schönste und wichtigste Entdeckung wurde im vorigen Jahre zu Mercurago ge¬
macht, einem kleinen Orte in der Nähe von Aroma. Außer Waffen und
Werkzeugen von Stein und Bronze, außer Geräthschaften verschiedener Art
von Holz und gebrannter Erde fand man einen Pfahlbau in einer Lage und
von einer Beschaffenheit, welche deutlich erkennen lassen, daß der kleine See
von Mercurago vor seiner Verwandlung in ein Torfmoor mit Wasserwohnun-
gen besetzt war. Und nach einem andern Berichte wurde in diesem Sommer
ein zweiter Pfahlbau von großer Ausdehnung oberhalb der Mergelgrube von
Cestione im Herzogthum Parma gefunden. Das darin liegende Töpfergeschirr,
besonders die ungemein großen Spindelsteine, sprechen der Ansiedelung ein
hohes Alter zu.

Doch wir stellen einstweilen unsere Wanderung nach den alten Pfahlbau¬
dörfern ein und kehren zurück an die Schweizerseen, um die Beschaffenheit die¬
ser Wohnungen dort näher ins Auge zu fassen und uns zugleich über die Zeit
ihrer Entstehung und ihrer Dauer, über die Nationalität und Cultur ihrer
Bewohner wenigstens eine wahrscheinliche Ansicht und Vorstellung zu bilden.

Als einen zur Niederlassung geeigneten Ort betrachtete man im Allge-
Meinen eine sonnige Uferstelle, vor Sturm und Wellenschlag durch umliegende
Höhen und Landzungen einigermaßen geschützt. Eine freundliche, nach Süden
offene Bucht am Fuße bewaldeter Berge mußte der Jagdliebhaberei noch be¬
sonders einladend erscheinen. Da wir aber die Anbauer nicht blos als Jäger
und Fischer, sondern auch als Hirten und Feldbauer erkennen werden, so be¬
stimmten gute Weideplätze und culturfähiger Boden ebenfalls die Wahl des
Platzes. Ein weiteres Erfordernis; war ein ziemlich breiter, nicht felsiger und
nicht allzutiefer Rand des Seebeckens, so daß die Pfähle beim Einschlagen auf
kein Hinderniß stießen und auch den höchsten Wasserstand noch um einige Fuß
überragten. Nach der Senkung des Ufers und nach der Ausdehnung des
Seebeckens (Weiß-Grundes) wurde der Pfahlbau bald in größerer, bald in
geringerer Entfernung vom Lande, häufig so nahe aufgeschlagen, daß ein Steg
von 2--3 Klafter Länge die nöthige Verbindung herstellen konnte.


dem See von Annecy (Ms as Si-ssine) Pfahlbauten von beträchtlichem Um¬
fange und nach ihrer Beschaffenheit und nach der Natur der gefundenen Ge¬
genstände ganz ähnlicher Art. wie im Genfersee. Endlich bringen die neuesten
Berichte auch Kunde von Pfahlbauwohnungen am Südabhange der Alpen,
deren Construction mit den Bauten in den Schweizerseen ganz übereinstimmt.
Die aus ihren Trümmern hervorgezogenen Culturgegcnstände zeigen deutlich,
daß die Bewohner unter denselben Lebensverhältnissen sich befanden, wie ihre
Stammgenossen diesseits der Alpen: daß sie nämlich lange dort ansässig waren
ohne die Metalle zu kennen, später jedoch auch Erzgeräthe besaßen, ihre Be¬
hausungen aber vor der Bekanntschaft mit dem Eisen verlassen hatten. Die
schönste und wichtigste Entdeckung wurde im vorigen Jahre zu Mercurago ge¬
macht, einem kleinen Orte in der Nähe von Aroma. Außer Waffen und
Werkzeugen von Stein und Bronze, außer Geräthschaften verschiedener Art
von Holz und gebrannter Erde fand man einen Pfahlbau in einer Lage und
von einer Beschaffenheit, welche deutlich erkennen lassen, daß der kleine See
von Mercurago vor seiner Verwandlung in ein Torfmoor mit Wasserwohnun-
gen besetzt war. Und nach einem andern Berichte wurde in diesem Sommer
ein zweiter Pfahlbau von großer Ausdehnung oberhalb der Mergelgrube von
Cestione im Herzogthum Parma gefunden. Das darin liegende Töpfergeschirr,
besonders die ungemein großen Spindelsteine, sprechen der Ansiedelung ein
hohes Alter zu.

Doch wir stellen einstweilen unsere Wanderung nach den alten Pfahlbau¬
dörfern ein und kehren zurück an die Schweizerseen, um die Beschaffenheit die¬
ser Wohnungen dort näher ins Auge zu fassen und uns zugleich über die Zeit
ihrer Entstehung und ihrer Dauer, über die Nationalität und Cultur ihrer
Bewohner wenigstens eine wahrscheinliche Ansicht und Vorstellung zu bilden.

Als einen zur Niederlassung geeigneten Ort betrachtete man im Allge-
Meinen eine sonnige Uferstelle, vor Sturm und Wellenschlag durch umliegende
Höhen und Landzungen einigermaßen geschützt. Eine freundliche, nach Süden
offene Bucht am Fuße bewaldeter Berge mußte der Jagdliebhaberei noch be¬
sonders einladend erscheinen. Da wir aber die Anbauer nicht blos als Jäger
und Fischer, sondern auch als Hirten und Feldbauer erkennen werden, so be¬
stimmten gute Weideplätze und culturfähiger Boden ebenfalls die Wahl des
Platzes. Ein weiteres Erfordernis; war ein ziemlich breiter, nicht felsiger und
nicht allzutiefer Rand des Seebeckens, so daß die Pfähle beim Einschlagen auf
kein Hinderniß stießen und auch den höchsten Wasserstand noch um einige Fuß
überragten. Nach der Senkung des Ufers und nach der Ausdehnung des
Seebeckens (Weiß-Grundes) wurde der Pfahlbau bald in größerer, bald in
geringerer Entfernung vom Lande, häufig so nahe aufgeschlagen, daß ein Steg
von 2—3 Klafter Länge die nöthige Verbindung herstellen konnte.


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[0226] dem See von Annecy (Ms as Si-ssine) Pfahlbauten von beträchtlichem Um¬ fange und nach ihrer Beschaffenheit und nach der Natur der gefundenen Ge¬ genstände ganz ähnlicher Art. wie im Genfersee. Endlich bringen die neuesten Berichte auch Kunde von Pfahlbauwohnungen am Südabhange der Alpen, deren Construction mit den Bauten in den Schweizerseen ganz übereinstimmt. Die aus ihren Trümmern hervorgezogenen Culturgegcnstände zeigen deutlich, daß die Bewohner unter denselben Lebensverhältnissen sich befanden, wie ihre Stammgenossen diesseits der Alpen: daß sie nämlich lange dort ansässig waren ohne die Metalle zu kennen, später jedoch auch Erzgeräthe besaßen, ihre Be¬ hausungen aber vor der Bekanntschaft mit dem Eisen verlassen hatten. Die schönste und wichtigste Entdeckung wurde im vorigen Jahre zu Mercurago ge¬ macht, einem kleinen Orte in der Nähe von Aroma. Außer Waffen und Werkzeugen von Stein und Bronze, außer Geräthschaften verschiedener Art von Holz und gebrannter Erde fand man einen Pfahlbau in einer Lage und von einer Beschaffenheit, welche deutlich erkennen lassen, daß der kleine See von Mercurago vor seiner Verwandlung in ein Torfmoor mit Wasserwohnun- gen besetzt war. Und nach einem andern Berichte wurde in diesem Sommer ein zweiter Pfahlbau von großer Ausdehnung oberhalb der Mergelgrube von Cestione im Herzogthum Parma gefunden. Das darin liegende Töpfergeschirr, besonders die ungemein großen Spindelsteine, sprechen der Ansiedelung ein hohes Alter zu. Doch wir stellen einstweilen unsere Wanderung nach den alten Pfahlbau¬ dörfern ein und kehren zurück an die Schweizerseen, um die Beschaffenheit die¬ ser Wohnungen dort näher ins Auge zu fassen und uns zugleich über die Zeit ihrer Entstehung und ihrer Dauer, über die Nationalität und Cultur ihrer Bewohner wenigstens eine wahrscheinliche Ansicht und Vorstellung zu bilden. Als einen zur Niederlassung geeigneten Ort betrachtete man im Allge- Meinen eine sonnige Uferstelle, vor Sturm und Wellenschlag durch umliegende Höhen und Landzungen einigermaßen geschützt. Eine freundliche, nach Süden offene Bucht am Fuße bewaldeter Berge mußte der Jagdliebhaberei noch be¬ sonders einladend erscheinen. Da wir aber die Anbauer nicht blos als Jäger und Fischer, sondern auch als Hirten und Feldbauer erkennen werden, so be¬ stimmten gute Weideplätze und culturfähiger Boden ebenfalls die Wahl des Platzes. Ein weiteres Erfordernis; war ein ziemlich breiter, nicht felsiger und nicht allzutiefer Rand des Seebeckens, so daß die Pfähle beim Einschlagen auf kein Hinderniß stießen und auch den höchsten Wasserstand noch um einige Fuß überragten. Nach der Senkung des Ufers und nach der Ausdehnung des Seebeckens (Weiß-Grundes) wurde der Pfahlbau bald in größerer, bald in geringerer Entfernung vom Lande, häufig so nahe aufgeschlagen, daß ein Steg von 2—3 Klafter Länge die nöthige Verbindung herstellen konnte.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_113241/226>, abgerufen am 28.05.2024.