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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. I. Band.

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eins dem urfrommen Altbayerland erhob sich eine Stimme in der Wüste,
erhob sich Döllinger's Stimme -- grausenvoll zu sagen -- gegen die
weltliche Herrschaft des Papstes.

Lassen wir das Auge die Alpen überschreiten, so entdecken wir sofort, daß
hier die Gleichgiltigkeit gegen das Papstthum überhaupt am kältesten, der
Haß gegen das weltliche Papstthum am heißesten ist. Und zwar steigert sich
jene Kalte wie diese Wärme mit der Annäherung an Rom, daß man es mit
dem Thermometer messen könnte. In Italien überhaupt wenig Liebe und
viel Haß, im Kirchenstaat weniger Liebe und mehr Haß, in der ewigen Stadt
selbst Gefrierpunkt von jener und Siedepunkt von diesem. Hier geben der
Priesterherrschaft trotz einer wachsamen Polizei zehntausend Bürger zum Theil
aus den höchsten Ständen durch Adressen an Napoleon und den König von
Italien ein doppeltes Mißtrauensvotum. Hier ist das Wort "mores al preti!"
zum täglichen Gebet der Massen geworden. Hier, aus nächster Nähe des
Vaticans, erschien im vorigen Jahre das Buch, welches wir dem Folgenden
zu Grunde legen, das Stärkste, was in den letzten Decennien gegen die Politik
der römischen Curie veröffentlicht worden ist. die Schrift Liveranr's: "II
?gMt,o, l'Impero e it Keg'no ä'ItMa."

Der Verfasser ist kein oberflächlicher Literat. kein witzelnder ungläubiger Vol-
tairianer, kein bezahlter Pasquillant, wie die journalistischen Gehilfen der
deutschen Reaction -- betläufig selbst Ltteratcn, selbst ohne Glauben, selbst für
Honorar arbeitend und selbst start im Pasquiltschreiben, nur meist ohne Witz --
About bezeichneten. Monsignore Francisco Liveraui. Canonicus der Basilica
Santa Maria Maggiore, Hausprülat und Protonotarius des heiligen Stuhles,
ist ein geachteter Gelehrter, ein gründlicher Kenner der römischen Verwaltung,
ein rechtgläubiger Katholik vom reinsten Wasser, ein ernster gewissenhafter
Charakter. Er wurde zur Abfassung seiner Schrift von keinerlei Ehrgeiz ge¬
trieben. Der einzige sichere Lohn, der ihm dabei vor Augen stehen konnte, war der
Verlust seiner Aemter und Würden und die Verbannung aus seinem bisherigen
Wirkungskreise. Ja mehr noch, Livcrani ist in gewissem Maß ein Verehrer der Persön¬
lichkeit des jetzigen Papstes, den er schon als Bischof kannte, dein er sich verpflichtet
fühlt, und wenn ihm einmal der Ausdruck "der altersschwache und möuchtschc
Pontifex" entschlüpft, so macht er dies durch lange Lobreden wett, die P>o
Nouv als einen der liebenswürdigsten, sanftesten und frömmsten unter den
Trägern der dreifachen Krone feiern.

Und doch ist sein Buch die härteste Verurtheilung der Zustände in und
um den Va.dicam. die schwerste Anklage der dortigen Wirthschaft vor dem Forum
Europa-s, fast in jeder Zeile ein schneidender Schmerzensschrei, beinahe in
jeder Wendung ein Gebet: Herr, erlöse uns von dem Uebel! Der kecke Spott,
die geistreiche Ironie About's werden Manchen ergötzt haben, auf den Ange"-


eins dem urfrommen Altbayerland erhob sich eine Stimme in der Wüste,
erhob sich Döllinger's Stimme — grausenvoll zu sagen — gegen die
weltliche Herrschaft des Papstes.

Lassen wir das Auge die Alpen überschreiten, so entdecken wir sofort, daß
hier die Gleichgiltigkeit gegen das Papstthum überhaupt am kältesten, der
Haß gegen das weltliche Papstthum am heißesten ist. Und zwar steigert sich
jene Kalte wie diese Wärme mit der Annäherung an Rom, daß man es mit
dem Thermometer messen könnte. In Italien überhaupt wenig Liebe und
viel Haß, im Kirchenstaat weniger Liebe und mehr Haß, in der ewigen Stadt
selbst Gefrierpunkt von jener und Siedepunkt von diesem. Hier geben der
Priesterherrschaft trotz einer wachsamen Polizei zehntausend Bürger zum Theil
aus den höchsten Ständen durch Adressen an Napoleon und den König von
Italien ein doppeltes Mißtrauensvotum. Hier ist das Wort „mores al preti!"
zum täglichen Gebet der Massen geworden. Hier, aus nächster Nähe des
Vaticans, erschien im vorigen Jahre das Buch, welches wir dem Folgenden
zu Grunde legen, das Stärkste, was in den letzten Decennien gegen die Politik
der römischen Curie veröffentlicht worden ist. die Schrift Liveranr's: „II
?gMt,o, l'Impero e it Keg'no ä'ItMa."

Der Verfasser ist kein oberflächlicher Literat. kein witzelnder ungläubiger Vol-
tairianer, kein bezahlter Pasquillant, wie die journalistischen Gehilfen der
deutschen Reaction — betläufig selbst Ltteratcn, selbst ohne Glauben, selbst für
Honorar arbeitend und selbst start im Pasquiltschreiben, nur meist ohne Witz —
About bezeichneten. Monsignore Francisco Liveraui. Canonicus der Basilica
Santa Maria Maggiore, Hausprülat und Protonotarius des heiligen Stuhles,
ist ein geachteter Gelehrter, ein gründlicher Kenner der römischen Verwaltung,
ein rechtgläubiger Katholik vom reinsten Wasser, ein ernster gewissenhafter
Charakter. Er wurde zur Abfassung seiner Schrift von keinerlei Ehrgeiz ge¬
trieben. Der einzige sichere Lohn, der ihm dabei vor Augen stehen konnte, war der
Verlust seiner Aemter und Würden und die Verbannung aus seinem bisherigen
Wirkungskreise. Ja mehr noch, Livcrani ist in gewissem Maß ein Verehrer der Persön¬
lichkeit des jetzigen Papstes, den er schon als Bischof kannte, dein er sich verpflichtet
fühlt, und wenn ihm einmal der Ausdruck „der altersschwache und möuchtschc
Pontifex" entschlüpft, so macht er dies durch lange Lobreden wett, die P>o
Nouv als einen der liebenswürdigsten, sanftesten und frömmsten unter den
Trägern der dreifachen Krone feiern.

Und doch ist sein Buch die härteste Verurtheilung der Zustände in und
um den Va.dicam. die schwerste Anklage der dortigen Wirthschaft vor dem Forum
Europa-s, fast in jeder Zeile ein schneidender Schmerzensschrei, beinahe in
jeder Wendung ein Gebet: Herr, erlöse uns von dem Uebel! Der kecke Spott,
die geistreiche Ironie About's werden Manchen ergötzt haben, auf den Ange"-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_113241/344>, abgerufen am 28.05.2024.