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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. I. Band.

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die Leute nicht mehr mitnehmen, wenn ich nicht mehr Geld gäbe, und da
ick keins mehr hatte, ging ich wieder zu Fuß. Hinter Langensalza holte mich
ein alter Unteroffizier vom Regiment Holzendorf-Cuirassiere ein, der auch ein
Beutcpferd mit sich führte. Ich hatte nicht den Muth, ihn um das Mit¬
nehmen anzusprechen, aber so grimmig er aussah, er bot es mir an. So
kamen wir in die Nähe von Nordhausen, vor welcher Stadt mehrere große
Wassermühlen mit stattlichen Wohnhäusern sich befanden. In eine dieser
Mühlen, welche sich besonders auszeichnete, ritt mein Unteroffizier hinein,
forderte ohne Umstände Futter für seine Pferde und zu essen für uus. Bei-
des wurde mit der die Thüringer auszeichnenden Gastfreundschaft von der
Frau des Hauses, die allein zu sein schien, freundlich verheißen, und wäh¬
rend der Unteroffizier seine Pferde besorgte, führte mich die Frau aufs Zuvor¬
kommendste in ein schön möblirtes Zimmer, welches die Putzstube zu sein
schien, und brachte bald einen Imbiß nebst einem guten Nordhäuser Schnaps.
Wir aßen tüchtig, und nachdem die Pferde gefüttert und wir gesättigt waren,
führte der Unteroffizier jene vor und trieb zur Eile, indem der Tag sich zu
neigen begann.

Ich war bereits zu Pferde, und der Unteroffizier schwang sich in den
Sattel, als die gütige Wirthin eilig in die Thüre trat und eine Uhr zurück¬
verlangte, die aus der Stube verschwunden wäre und unter dem Spiegel ge-
hangen hätte. Ich glaube, ich hatte die Uhr. eine goldene, selbst hängen
sehen. Empört, forderte ich meinen Begleiter auf. sie herauszugeben, denn
er habe sie gewiß -- da zog der Mensch seinen Pallasch und sagte: "Herr,
ich haue Sie zu Kraut und Rüben, wenn Sie nicht machen, daß Sie fort
kommen." Ich sing an zu weinen und folgte seinem Befehl, ihn um Scho¬
nung bittend. Wir ritten davon. Verwünschungen begleiteten uns. Als wir
die Stadt erreichten, war es finster geworden, in allen Fenstern war Licht, ich
benutzte eine enge Gasse, wo zwei Pferde kaum durchkommen konnten, sprang
von dem meinigen, ließ es lausen und sagte: "Ich danke für das Mitneh-
men. mit so einem Schurcken mag ich weiter nichts zu thun haben" und lief
davon.

Ich fragte nun nach dem Rathhause, um ein Quartierbillet zu erlangen,
aber es war für mich kleinen Menschen keine Möglichkeit, durch das große
Gedränge durchzukommen, da die Stadt bereits voll von Flüchtlingen gleich
mir war; ich verließ also das Rathhaus, indem ich mir vornahm, im ersten
besten großen Hause, dessen Besitzer mir wohlhabend schien. Um Aufnahme
für die Nacht zu bitten. Da faßte mich Jemand an und rief: "Ach, Herr
Junker, sind Sie es?" und ich erkannte meinen treuen Burschen, Namens
Nißmann, er siel mir um den Hals und weinte vor Freude, daß ich glücklich
davon gekommen. Ich bat ihn. bei mir zu bleiben und mich nicht mehr zu


die Leute nicht mehr mitnehmen, wenn ich nicht mehr Geld gäbe, und da
ick keins mehr hatte, ging ich wieder zu Fuß. Hinter Langensalza holte mich
ein alter Unteroffizier vom Regiment Holzendorf-Cuirassiere ein, der auch ein
Beutcpferd mit sich führte. Ich hatte nicht den Muth, ihn um das Mit¬
nehmen anzusprechen, aber so grimmig er aussah, er bot es mir an. So
kamen wir in die Nähe von Nordhausen, vor welcher Stadt mehrere große
Wassermühlen mit stattlichen Wohnhäusern sich befanden. In eine dieser
Mühlen, welche sich besonders auszeichnete, ritt mein Unteroffizier hinein,
forderte ohne Umstände Futter für seine Pferde und zu essen für uus. Bei-
des wurde mit der die Thüringer auszeichnenden Gastfreundschaft von der
Frau des Hauses, die allein zu sein schien, freundlich verheißen, und wäh¬
rend der Unteroffizier seine Pferde besorgte, führte mich die Frau aufs Zuvor¬
kommendste in ein schön möblirtes Zimmer, welches die Putzstube zu sein
schien, und brachte bald einen Imbiß nebst einem guten Nordhäuser Schnaps.
Wir aßen tüchtig, und nachdem die Pferde gefüttert und wir gesättigt waren,
führte der Unteroffizier jene vor und trieb zur Eile, indem der Tag sich zu
neigen begann.

Ich war bereits zu Pferde, und der Unteroffizier schwang sich in den
Sattel, als die gütige Wirthin eilig in die Thüre trat und eine Uhr zurück¬
verlangte, die aus der Stube verschwunden wäre und unter dem Spiegel ge-
hangen hätte. Ich glaube, ich hatte die Uhr. eine goldene, selbst hängen
sehen. Empört, forderte ich meinen Begleiter auf. sie herauszugeben, denn
er habe sie gewiß — da zog der Mensch seinen Pallasch und sagte: „Herr,
ich haue Sie zu Kraut und Rüben, wenn Sie nicht machen, daß Sie fort
kommen." Ich sing an zu weinen und folgte seinem Befehl, ihn um Scho¬
nung bittend. Wir ritten davon. Verwünschungen begleiteten uns. Als wir
die Stadt erreichten, war es finster geworden, in allen Fenstern war Licht, ich
benutzte eine enge Gasse, wo zwei Pferde kaum durchkommen konnten, sprang
von dem meinigen, ließ es lausen und sagte: „Ich danke für das Mitneh-
men. mit so einem Schurcken mag ich weiter nichts zu thun haben" und lief
davon.

Ich fragte nun nach dem Rathhause, um ein Quartierbillet zu erlangen,
aber es war für mich kleinen Menschen keine Möglichkeit, durch das große
Gedränge durchzukommen, da die Stadt bereits voll von Flüchtlingen gleich
mir war; ich verließ also das Rathhaus, indem ich mir vornahm, im ersten
besten großen Hause, dessen Besitzer mir wohlhabend schien. Um Aufnahme
für die Nacht zu bitten. Da faßte mich Jemand an und rief: „Ach, Herr
Junker, sind Sie es?" und ich erkannte meinen treuen Burschen, Namens
Nißmann, er siel mir um den Hals und weinte vor Freude, daß ich glücklich
davon gekommen. Ich bat ihn. bei mir zu bleiben und mich nicht mehr zu


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_113241/38>, abgerufen am 11.05.2024.