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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. I. Band.

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gönnen. So setzte er sich ein der Klippe rittlings ans ein Faß mit süßem
Wein, nahm eine Kelle in die Hand und fing an sich und die Andern zu be¬
dienen. Als er's ein Bischen im Kopf hatte, fiel ihm ein, die Leutchen soll¬
ten ein paar "Reisats" machen. Dabei stürzt man sich kopfüber vom hohen
Ufer auf das Eis, fährt durch und stoßt beim Wiederemporkommen an einer
andern Stelle mit dem Kopf wieder durch das Eis. Dieses hübsche Spiel
war ein Hauptvergnügen des Fürsten -- Got! schenke ihm das Himmelreich!
An diesem Tage aber brachte leider Niemand einen Neisak zu Stande,
der ihm gefallen hätte. Einige dumme Kerle platschten statt mit dem Kops
aufzutreffen, mit der ganzen Länge ihres Körpers auf das Eis, was man
einen "Plattfisch" nennt und wofür der Rücken fünfzehn Hiebe empfängt, da¬
mit er seinen rechten Platz erfahre u"d sich künftig nicht für den Kopf halte.
Ein andrer erreichte nicht einmal das Eis, da er gegen den Felsen purzelte
und sich dabei das Genick ausrenkte. Drei von den Springern brachen zwar
glücklich durch, kamen aber nicht wieder herauf, sondern blieben unten -- wie
der selige Fürst meinte, um die Karpfen zu hüten. Fürst Alexis wurde da¬
rüber sehr verdrießlich. Er schrie: "Ich werde euch alle miteinander todt-
peiischeu lassen!" und hieß dann etliche adeliche Schnurranten, die bei ihm ihr
Brot hatten, ihr Glück mit einem Reisak versuchen. Aber sie waren noch
ungeschickter als die Bauern, nur einer von ihnen kam durch das Eis, blieb
jedoch ebenfalls bei den Karpfen. Da weinte und schluchzte Fürst Alexis Ju>
riwitsch; es war aber auch eine wahre Schande. "Es ist klar, daß meine
Tage gezählt sind", rief er aus. "denn es ist kein Mensch mehr hier, der einen
ordentlichen Neisak machen könnte. Aber halt", setzte er hinzu, "wo ist
Jaschka, das Stutzohr? Das ist mein Mann. Der macht mir drei Neisaks
nach einander."

Jaschka das Stutzohr hatte seinen Namen von folgender Begebenheit.
Der Fürst hatte ihm geheißen, mit seinem Lieblingsbären zu ringen. Dabei
wurde letzterer etwas ärgerlich und biß seinem Gegner das eine Ohr ab.
"Mein Vater," sagte der Erzähler, "war nicht im Stande, das mit Gelassen¬
heit zu tragen, ich glaube, er nahm es übel, und so stach er dem Mischka
sein Messer ins Herz, und das Thier verendete. Alexis Juriwitsch war böse
darüber, daß er nicht erst um Erlaubniß dazu gefragt worden war, und so
ließ er meinem Vater, damit er sich's für künftige Fälle merke, das andere
Ohr abschneiden und hieß ihn fortan Jaschka Stutzohr.

"Wo ist Jaschka Stutzohr?" wiederholte der Fürst.

Man erwiderte, Jaschka sei seit zehn Jahren in Uagnade und befinde sich
auf einem entfernten Gute. "Holt ihn her, das Stutzohr wird keine Platt¬
fische machen, wie ihr Lumpenvolk. Man galoppirte davon, um den Helden
mit dem harten Schädel zur Stelle zu schaffen. Er wohnte aber weit weg


Grenzboten I. 1862. 53

gönnen. So setzte er sich ein der Klippe rittlings ans ein Faß mit süßem
Wein, nahm eine Kelle in die Hand und fing an sich und die Andern zu be¬
dienen. Als er's ein Bischen im Kopf hatte, fiel ihm ein, die Leutchen soll¬
ten ein paar „Reisats" machen. Dabei stürzt man sich kopfüber vom hohen
Ufer auf das Eis, fährt durch und stoßt beim Wiederemporkommen an einer
andern Stelle mit dem Kopf wieder durch das Eis. Dieses hübsche Spiel
war ein Hauptvergnügen des Fürsten — Got! schenke ihm das Himmelreich!
An diesem Tage aber brachte leider Niemand einen Neisak zu Stande,
der ihm gefallen hätte. Einige dumme Kerle platschten statt mit dem Kops
aufzutreffen, mit der ganzen Länge ihres Körpers auf das Eis, was man
einen „Plattfisch" nennt und wofür der Rücken fünfzehn Hiebe empfängt, da¬
mit er seinen rechten Platz erfahre u»d sich künftig nicht für den Kopf halte.
Ein andrer erreichte nicht einmal das Eis, da er gegen den Felsen purzelte
und sich dabei das Genick ausrenkte. Drei von den Springern brachen zwar
glücklich durch, kamen aber nicht wieder herauf, sondern blieben unten — wie
der selige Fürst meinte, um die Karpfen zu hüten. Fürst Alexis wurde da¬
rüber sehr verdrießlich. Er schrie: „Ich werde euch alle miteinander todt-
peiischeu lassen!" und hieß dann etliche adeliche Schnurranten, die bei ihm ihr
Brot hatten, ihr Glück mit einem Reisak versuchen. Aber sie waren noch
ungeschickter als die Bauern, nur einer von ihnen kam durch das Eis, blieb
jedoch ebenfalls bei den Karpfen. Da weinte und schluchzte Fürst Alexis Ju>
riwitsch; es war aber auch eine wahre Schande. „Es ist klar, daß meine
Tage gezählt sind", rief er aus. „denn es ist kein Mensch mehr hier, der einen
ordentlichen Neisak machen könnte. Aber halt", setzte er hinzu, „wo ist
Jaschka, das Stutzohr? Das ist mein Mann. Der macht mir drei Neisaks
nach einander."

Jaschka das Stutzohr hatte seinen Namen von folgender Begebenheit.
Der Fürst hatte ihm geheißen, mit seinem Lieblingsbären zu ringen. Dabei
wurde letzterer etwas ärgerlich und biß seinem Gegner das eine Ohr ab.
„Mein Vater," sagte der Erzähler, „war nicht im Stande, das mit Gelassen¬
heit zu tragen, ich glaube, er nahm es übel, und so stach er dem Mischka
sein Messer ins Herz, und das Thier verendete. Alexis Juriwitsch war böse
darüber, daß er nicht erst um Erlaubniß dazu gefragt worden war, und so
ließ er meinem Vater, damit er sich's für künftige Fälle merke, das andere
Ohr abschneiden und hieß ihn fortan Jaschka Stutzohr.

„Wo ist Jaschka Stutzohr?" wiederholte der Fürst.

Man erwiderte, Jaschka sei seit zehn Jahren in Uagnade und befinde sich
auf einem entfernten Gute. „Holt ihn her, das Stutzohr wird keine Platt¬
fische machen, wie ihr Lumpenvolk. Man galoppirte davon, um den Helden
mit dem harten Schädel zur Stelle zu schaffen. Er wohnte aber weit weg


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[0425] gönnen. So setzte er sich ein der Klippe rittlings ans ein Faß mit süßem Wein, nahm eine Kelle in die Hand und fing an sich und die Andern zu be¬ dienen. Als er's ein Bischen im Kopf hatte, fiel ihm ein, die Leutchen soll¬ ten ein paar „Reisats" machen. Dabei stürzt man sich kopfüber vom hohen Ufer auf das Eis, fährt durch und stoßt beim Wiederemporkommen an einer andern Stelle mit dem Kopf wieder durch das Eis. Dieses hübsche Spiel war ein Hauptvergnügen des Fürsten — Got! schenke ihm das Himmelreich! An diesem Tage aber brachte leider Niemand einen Neisak zu Stande, der ihm gefallen hätte. Einige dumme Kerle platschten statt mit dem Kops aufzutreffen, mit der ganzen Länge ihres Körpers auf das Eis, was man einen „Plattfisch" nennt und wofür der Rücken fünfzehn Hiebe empfängt, da¬ mit er seinen rechten Platz erfahre u»d sich künftig nicht für den Kopf halte. Ein andrer erreichte nicht einmal das Eis, da er gegen den Felsen purzelte und sich dabei das Genick ausrenkte. Drei von den Springern brachen zwar glücklich durch, kamen aber nicht wieder herauf, sondern blieben unten — wie der selige Fürst meinte, um die Karpfen zu hüten. Fürst Alexis wurde da¬ rüber sehr verdrießlich. Er schrie: „Ich werde euch alle miteinander todt- peiischeu lassen!" und hieß dann etliche adeliche Schnurranten, die bei ihm ihr Brot hatten, ihr Glück mit einem Reisak versuchen. Aber sie waren noch ungeschickter als die Bauern, nur einer von ihnen kam durch das Eis, blieb jedoch ebenfalls bei den Karpfen. Da weinte und schluchzte Fürst Alexis Ju> riwitsch; es war aber auch eine wahre Schande. „Es ist klar, daß meine Tage gezählt sind", rief er aus. „denn es ist kein Mensch mehr hier, der einen ordentlichen Neisak machen könnte. Aber halt", setzte er hinzu, „wo ist Jaschka, das Stutzohr? Das ist mein Mann. Der macht mir drei Neisaks nach einander." Jaschka das Stutzohr hatte seinen Namen von folgender Begebenheit. Der Fürst hatte ihm geheißen, mit seinem Lieblingsbären zu ringen. Dabei wurde letzterer etwas ärgerlich und biß seinem Gegner das eine Ohr ab. „Mein Vater," sagte der Erzähler, „war nicht im Stande, das mit Gelassen¬ heit zu tragen, ich glaube, er nahm es übel, und so stach er dem Mischka sein Messer ins Herz, und das Thier verendete. Alexis Juriwitsch war böse darüber, daß er nicht erst um Erlaubniß dazu gefragt worden war, und so ließ er meinem Vater, damit er sich's für künftige Fälle merke, das andere Ohr abschneiden und hieß ihn fortan Jaschka Stutzohr. „Wo ist Jaschka Stutzohr?" wiederholte der Fürst. Man erwiderte, Jaschka sei seit zehn Jahren in Uagnade und befinde sich auf einem entfernten Gute. „Holt ihn her, das Stutzohr wird keine Platt¬ fische machen, wie ihr Lumpenvolk. Man galoppirte davon, um den Helden mit dem harten Schädel zur Stelle zu schaffen. Er wohnte aber weit weg Grenzboten I. 1862. 53

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_113241/425>, abgerufen am 16.06.2024.