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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. I. Band.

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Es ist wahr, Varnhagen war weder ein kräftiger Charakter, welcher Ver¬
trauen, noch ein Schriftsteller, welcher Zuneigung einzuflößen vermochte. Aber
er war nichts weniger als ein schlechter und gewissenloser Mann. Er hatte
lebhafte liberale Instinkte, er war patriotisch genug, um die traurigen und ver-
kommnen Zustände Preußens mit Mißbehagen zu empfinden. Aber er war
den Ereignissen gegenüber sehr arm anselbständigem Athen.r kränklich, reizbar,
leichtgestört und verletzt, von einer maßlosen Eitelkeit, welche ihm zu leicht seine
Anschauungen färbte, seine Unbefangenheit verdarb; von einer geheimen Freude
am kleinen Scandal.

Eine solche Persönlichkeit würde wenig Beachtung verdienen, wenn sie
nicht in vieler Hinsicht charakteristisch wäre für die Zustände in Berlin vor
dem Jahre 1848. Denn V. stand mit dieser Eigenthümlichkeit nicht allein, im
Gegentheil, die Mehrzahl der Hofleute, der höchsten Beamten, der Intelligenten
in Preußen krankte an demselben Fehler. Selbst Alexander v. Humboldt
wurde durch die großen wissenschaftlichen Interessen, deren Vertreter er war,
nicht vor einem sichtbaren Antheil an derselben Schwäche geschützt; Minister und
Generäle liefen grade wie Varnhagen umher als Colporteure von Neuigkeiten, als
Klagende und Unglückspropheten, um ihr Urtheil Bekannten in das Ohr zu raunen,
fremden Neuigkeiten ihre Ohren zu öffnen. Die Politik war ein Spiel schwäch¬
licher Hof-Intriguen, in Heer und Verwaltung waren die höchsten Interessen
des Staates zu kleinen Pcrsonensragen eingeschrumpft. Allerdings wird kein
Hof und keine Siaatsregierung sich jemals ganz von kleinlichen Cotcrietreiben
befreien, die Selbstsucht der Emporringenden sucht sich zu jeder Zeit gel¬
tend zu machen. Aber das Unglück des damaligen Preußens war, daß in
solch kleiner persönlicher Wirthschaft fast das gesammte politische Leben des
Staates verlief. Es gab keine freie Presse, es gab keine Tribüne, keine öffent¬
liche Meinung, in welcher sich die Leidenschaften der Einzelnen. Verirrungen
des Urtheils, Beschränktheit der Einsicht abklären und erheben konnten. Der
Einzelne wurde in der Regel die Beute der zufälligen Eindrücke, weiche ihm
das Urtheil seiner nächsten Umgebung in die Seele schlug. Die Geheimniß-
krämerei, in welcher sich die Staatsmaschine bewegte, zog endlosen Klatsch auf;
bei jeder Maßregel der Regierung übten die halb unterrichteten und "nbethei-
ligten Zuschauer im Volke eine schonungslose, vielleicht ungerechte Kritik; der
Maßstab für das Rechte oder Schlechte, sittliches oder Unsittliches, war auch
den Besseren nur zu unsicher geworden, ein roher Cynismus bespöttelte das
Gute wie das Arge. Mit einem Gefühl, gemischt aus heimlicher Furcht und
Schadenfreude, sah mau eine Person, ein Project nach dem andern sich ruiniren,
eine trübe, pessimistische Stimmung war über das ganze Land verbreitet.
Und als die Aufregung das Volk der Straße in Haufen zusammenführte, da
waren die Anspruchsvollsten und Hochmütigsten wie im Nu gebrochen, ent-


Es ist wahr, Varnhagen war weder ein kräftiger Charakter, welcher Ver¬
trauen, noch ein Schriftsteller, welcher Zuneigung einzuflößen vermochte. Aber
er war nichts weniger als ein schlechter und gewissenloser Mann. Er hatte
lebhafte liberale Instinkte, er war patriotisch genug, um die traurigen und ver-
kommnen Zustände Preußens mit Mißbehagen zu empfinden. Aber er war
den Ereignissen gegenüber sehr arm anselbständigem Athen.r kränklich, reizbar,
leichtgestört und verletzt, von einer maßlosen Eitelkeit, welche ihm zu leicht seine
Anschauungen färbte, seine Unbefangenheit verdarb; von einer geheimen Freude
am kleinen Scandal.

Eine solche Persönlichkeit würde wenig Beachtung verdienen, wenn sie
nicht in vieler Hinsicht charakteristisch wäre für die Zustände in Berlin vor
dem Jahre 1848. Denn V. stand mit dieser Eigenthümlichkeit nicht allein, im
Gegentheil, die Mehrzahl der Hofleute, der höchsten Beamten, der Intelligenten
in Preußen krankte an demselben Fehler. Selbst Alexander v. Humboldt
wurde durch die großen wissenschaftlichen Interessen, deren Vertreter er war,
nicht vor einem sichtbaren Antheil an derselben Schwäche geschützt; Minister und
Generäle liefen grade wie Varnhagen umher als Colporteure von Neuigkeiten, als
Klagende und Unglückspropheten, um ihr Urtheil Bekannten in das Ohr zu raunen,
fremden Neuigkeiten ihre Ohren zu öffnen. Die Politik war ein Spiel schwäch¬
licher Hof-Intriguen, in Heer und Verwaltung waren die höchsten Interessen
des Staates zu kleinen Pcrsonensragen eingeschrumpft. Allerdings wird kein
Hof und keine Siaatsregierung sich jemals ganz von kleinlichen Cotcrietreiben
befreien, die Selbstsucht der Emporringenden sucht sich zu jeder Zeit gel¬
tend zu machen. Aber das Unglück des damaligen Preußens war, daß in
solch kleiner persönlicher Wirthschaft fast das gesammte politische Leben des
Staates verlief. Es gab keine freie Presse, es gab keine Tribüne, keine öffent¬
liche Meinung, in welcher sich die Leidenschaften der Einzelnen. Verirrungen
des Urtheils, Beschränktheit der Einsicht abklären und erheben konnten. Der
Einzelne wurde in der Regel die Beute der zufälligen Eindrücke, weiche ihm
das Urtheil seiner nächsten Umgebung in die Seele schlug. Die Geheimniß-
krämerei, in welcher sich die Staatsmaschine bewegte, zog endlosen Klatsch auf;
bei jeder Maßregel der Regierung übten die halb unterrichteten und »nbethei-
ligten Zuschauer im Volke eine schonungslose, vielleicht ungerechte Kritik; der
Maßstab für das Rechte oder Schlechte, sittliches oder Unsittliches, war auch
den Besseren nur zu unsicher geworden, ein roher Cynismus bespöttelte das
Gute wie das Arge. Mit einem Gefühl, gemischt aus heimlicher Furcht und
Schadenfreude, sah mau eine Person, ein Project nach dem andern sich ruiniren,
eine trübe, pessimistische Stimmung war über das ganze Land verbreitet.
Und als die Aufregung das Volk der Straße in Haufen zusammenführte, da
waren die Anspruchsvollsten und Hochmütigsten wie im Nu gebrochen, ent-


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[0438] Es ist wahr, Varnhagen war weder ein kräftiger Charakter, welcher Ver¬ trauen, noch ein Schriftsteller, welcher Zuneigung einzuflößen vermochte. Aber er war nichts weniger als ein schlechter und gewissenloser Mann. Er hatte lebhafte liberale Instinkte, er war patriotisch genug, um die traurigen und ver- kommnen Zustände Preußens mit Mißbehagen zu empfinden. Aber er war den Ereignissen gegenüber sehr arm anselbständigem Athen.r kränklich, reizbar, leichtgestört und verletzt, von einer maßlosen Eitelkeit, welche ihm zu leicht seine Anschauungen färbte, seine Unbefangenheit verdarb; von einer geheimen Freude am kleinen Scandal. Eine solche Persönlichkeit würde wenig Beachtung verdienen, wenn sie nicht in vieler Hinsicht charakteristisch wäre für die Zustände in Berlin vor dem Jahre 1848. Denn V. stand mit dieser Eigenthümlichkeit nicht allein, im Gegentheil, die Mehrzahl der Hofleute, der höchsten Beamten, der Intelligenten in Preußen krankte an demselben Fehler. Selbst Alexander v. Humboldt wurde durch die großen wissenschaftlichen Interessen, deren Vertreter er war, nicht vor einem sichtbaren Antheil an derselben Schwäche geschützt; Minister und Generäle liefen grade wie Varnhagen umher als Colporteure von Neuigkeiten, als Klagende und Unglückspropheten, um ihr Urtheil Bekannten in das Ohr zu raunen, fremden Neuigkeiten ihre Ohren zu öffnen. Die Politik war ein Spiel schwäch¬ licher Hof-Intriguen, in Heer und Verwaltung waren die höchsten Interessen des Staates zu kleinen Pcrsonensragen eingeschrumpft. Allerdings wird kein Hof und keine Siaatsregierung sich jemals ganz von kleinlichen Cotcrietreiben befreien, die Selbstsucht der Emporringenden sucht sich zu jeder Zeit gel¬ tend zu machen. Aber das Unglück des damaligen Preußens war, daß in solch kleiner persönlicher Wirthschaft fast das gesammte politische Leben des Staates verlief. Es gab keine freie Presse, es gab keine Tribüne, keine öffent¬ liche Meinung, in welcher sich die Leidenschaften der Einzelnen. Verirrungen des Urtheils, Beschränktheit der Einsicht abklären und erheben konnten. Der Einzelne wurde in der Regel die Beute der zufälligen Eindrücke, weiche ihm das Urtheil seiner nächsten Umgebung in die Seele schlug. Die Geheimniß- krämerei, in welcher sich die Staatsmaschine bewegte, zog endlosen Klatsch auf; bei jeder Maßregel der Regierung übten die halb unterrichteten und »nbethei- ligten Zuschauer im Volke eine schonungslose, vielleicht ungerechte Kritik; der Maßstab für das Rechte oder Schlechte, sittliches oder Unsittliches, war auch den Besseren nur zu unsicher geworden, ein roher Cynismus bespöttelte das Gute wie das Arge. Mit einem Gefühl, gemischt aus heimlicher Furcht und Schadenfreude, sah mau eine Person, ein Project nach dem andern sich ruiniren, eine trübe, pessimistische Stimmung war über das ganze Land verbreitet. Und als die Aufregung das Volk der Straße in Haufen zusammenführte, da waren die Anspruchsvollsten und Hochmütigsten wie im Nu gebrochen, ent-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_113241/438>, abgerufen am 10.05.2024.