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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. I. Band.

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Haus- und Mauerbau verwendeten, verletzt und gemindert, doch noch in sel¬
tenem Reichthum und in einziger Schönheit erhalten waren. Die ungünstigen
politischen Verhältnisse gestatteten Elgin kaum, durch einige Künstler und
Former, die sich mit einem täglichen Zins den Eintritt in die Akropolis Athens
erkaufen mußten, Zeichnungen und Abgüsse von den bedeutendsten dort er¬
haltenen Denkmälern alter Kunst sich zu verschaffen. Aber kaum waren drei
Vierteljahre vergangen, so änderte sich Alles: der Erfolg der englischen Waf¬
fen in Aegypten stimmte die hohe Pforte günstiger, ein großherrlicher Fernau
öffnete nicht blos dem britischen Gesandten die Akropolis, um dort ungehin¬
dert Zeichnungen anfertigen zu lassen, sondern gestattete auch Gipsabgüsse
nehmen. Gerüste errichten, Ausgrabungen anstellen zu lassen und "alle Steine
mit alten Inschriften oder Figuren daraus", welche ihm wünschenswert!) er¬
scheinen mochten, mitzunehmen. Lord Elgin benutzte die ihm gegebene Er¬
laubniß in vollstem Maße. So lange er in seiner Stellung verblieb, waren
3--400 Arbeiter in Athen für ihn thätig; Häuser, welche damals in großer
Zahl den Boden des Burgfelsens bedeckten, wurden angekauft und nieder¬
gerissen, um die darunter begrabenen Neste der Kunst des Phidias wieder
ans Licht zu bringen, die rings zerstreuten Fragmente der Metopen und des
Frieses des Parthenons gesammelt, andere, die noch an ihrem Platze sich be¬
fanden, allerdings mit wenig Schonung für das schönste Werk des pcrikleischen
Athen, von dort entfernt, der Rest abgegossen. Das Erechtheion büßte eine
Säule und eine der Jungfrauen ein, welche das Gebälk der südlichen Bor¬
halle tragen; andre Stücke gesellten sich von anderen Orten dazu. Es war
eine Reihe von Kunstwerken, welche den schönsten Theil der schönsten AntiÜn-
sammlung der Welt, des britischen Museums, zu bilde" vermochte, ohne be¬
fürchten zu müssen, je diesen ersten Platz unter allen Kunstschätzen des Alter-
thums zu verlieren.

Dieser "Wandalismus" mußte sich aber freilich gefallen lassen von allen
Seiten auf das Heftigste angegriffen und verfolgt zu werden. Zuerst wu^le
man allerdings die wiedergewonnenen Schätze noch nicht recht zu würdigen
und hatte nicht übel Lust dieselben für späte Machwerke des hadrianischen
Zeitalters auszugeben. Nachdem aber durch die Gutachten der vom Parla¬
ment zusammenberufenen Kunstrichter, Männer wie Canova, Visconti, West,
eine richtigere Würdigung der Phidiasschen Meisterwerke angebahnt war, da
erhob sich ein gewaltiges Geschrei des Neides, eingekleidet in das Gewand
sittlicher Entrüstung, "wie von Krähen die den Adler umträchzen". Und als
nun gar das Gespenst der Athene in den verödeten Räumen des Parthenons
dem Lord Byron erschienen war und seinen Fluch auf das tempelschänderische
Albion geschleudert hatte, da war auch für alle empfindsamen Verehrer der
Kunst das Signal gegeben in das Anathem mit einzustimmen, selbst wenn


Haus- und Mauerbau verwendeten, verletzt und gemindert, doch noch in sel¬
tenem Reichthum und in einziger Schönheit erhalten waren. Die ungünstigen
politischen Verhältnisse gestatteten Elgin kaum, durch einige Künstler und
Former, die sich mit einem täglichen Zins den Eintritt in die Akropolis Athens
erkaufen mußten, Zeichnungen und Abgüsse von den bedeutendsten dort er¬
haltenen Denkmälern alter Kunst sich zu verschaffen. Aber kaum waren drei
Vierteljahre vergangen, so änderte sich Alles: der Erfolg der englischen Waf¬
fen in Aegypten stimmte die hohe Pforte günstiger, ein großherrlicher Fernau
öffnete nicht blos dem britischen Gesandten die Akropolis, um dort ungehin¬
dert Zeichnungen anfertigen zu lassen, sondern gestattete auch Gipsabgüsse
nehmen. Gerüste errichten, Ausgrabungen anstellen zu lassen und „alle Steine
mit alten Inschriften oder Figuren daraus", welche ihm wünschenswert!) er¬
scheinen mochten, mitzunehmen. Lord Elgin benutzte die ihm gegebene Er¬
laubniß in vollstem Maße. So lange er in seiner Stellung verblieb, waren
3—400 Arbeiter in Athen für ihn thätig; Häuser, welche damals in großer
Zahl den Boden des Burgfelsens bedeckten, wurden angekauft und nieder¬
gerissen, um die darunter begrabenen Neste der Kunst des Phidias wieder
ans Licht zu bringen, die rings zerstreuten Fragmente der Metopen und des
Frieses des Parthenons gesammelt, andere, die noch an ihrem Platze sich be¬
fanden, allerdings mit wenig Schonung für das schönste Werk des pcrikleischen
Athen, von dort entfernt, der Rest abgegossen. Das Erechtheion büßte eine
Säule und eine der Jungfrauen ein, welche das Gebälk der südlichen Bor¬
halle tragen; andre Stücke gesellten sich von anderen Orten dazu. Es war
eine Reihe von Kunstwerken, welche den schönsten Theil der schönsten AntiÜn-
sammlung der Welt, des britischen Museums, zu bilde» vermochte, ohne be¬
fürchten zu müssen, je diesen ersten Platz unter allen Kunstschätzen des Alter-
thums zu verlieren.

Dieser „Wandalismus" mußte sich aber freilich gefallen lassen von allen
Seiten auf das Heftigste angegriffen und verfolgt zu werden. Zuerst wu^le
man allerdings die wiedergewonnenen Schätze noch nicht recht zu würdigen
und hatte nicht übel Lust dieselben für späte Machwerke des hadrianischen
Zeitalters auszugeben. Nachdem aber durch die Gutachten der vom Parla¬
ment zusammenberufenen Kunstrichter, Männer wie Canova, Visconti, West,
eine richtigere Würdigung der Phidiasschen Meisterwerke angebahnt war, da
erhob sich ein gewaltiges Geschrei des Neides, eingekleidet in das Gewand
sittlicher Entrüstung, „wie von Krähen die den Adler umträchzen". Und als
nun gar das Gespenst der Athene in den verödeten Räumen des Parthenons
dem Lord Byron erschienen war und seinen Fluch auf das tempelschänderische
Albion geschleudert hatte, da war auch für alle empfindsamen Verehrer der
Kunst das Signal gegeben in das Anathem mit einzustimmen, selbst wenn


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[0463] Haus- und Mauerbau verwendeten, verletzt und gemindert, doch noch in sel¬ tenem Reichthum und in einziger Schönheit erhalten waren. Die ungünstigen politischen Verhältnisse gestatteten Elgin kaum, durch einige Künstler und Former, die sich mit einem täglichen Zins den Eintritt in die Akropolis Athens erkaufen mußten, Zeichnungen und Abgüsse von den bedeutendsten dort er¬ haltenen Denkmälern alter Kunst sich zu verschaffen. Aber kaum waren drei Vierteljahre vergangen, so änderte sich Alles: der Erfolg der englischen Waf¬ fen in Aegypten stimmte die hohe Pforte günstiger, ein großherrlicher Fernau öffnete nicht blos dem britischen Gesandten die Akropolis, um dort ungehin¬ dert Zeichnungen anfertigen zu lassen, sondern gestattete auch Gipsabgüsse nehmen. Gerüste errichten, Ausgrabungen anstellen zu lassen und „alle Steine mit alten Inschriften oder Figuren daraus", welche ihm wünschenswert!) er¬ scheinen mochten, mitzunehmen. Lord Elgin benutzte die ihm gegebene Er¬ laubniß in vollstem Maße. So lange er in seiner Stellung verblieb, waren 3—400 Arbeiter in Athen für ihn thätig; Häuser, welche damals in großer Zahl den Boden des Burgfelsens bedeckten, wurden angekauft und nieder¬ gerissen, um die darunter begrabenen Neste der Kunst des Phidias wieder ans Licht zu bringen, die rings zerstreuten Fragmente der Metopen und des Frieses des Parthenons gesammelt, andere, die noch an ihrem Platze sich be¬ fanden, allerdings mit wenig Schonung für das schönste Werk des pcrikleischen Athen, von dort entfernt, der Rest abgegossen. Das Erechtheion büßte eine Säule und eine der Jungfrauen ein, welche das Gebälk der südlichen Bor¬ halle tragen; andre Stücke gesellten sich von anderen Orten dazu. Es war eine Reihe von Kunstwerken, welche den schönsten Theil der schönsten AntiÜn- sammlung der Welt, des britischen Museums, zu bilde» vermochte, ohne be¬ fürchten zu müssen, je diesen ersten Platz unter allen Kunstschätzen des Alter- thums zu verlieren. Dieser „Wandalismus" mußte sich aber freilich gefallen lassen von allen Seiten auf das Heftigste angegriffen und verfolgt zu werden. Zuerst wu^le man allerdings die wiedergewonnenen Schätze noch nicht recht zu würdigen und hatte nicht übel Lust dieselben für späte Machwerke des hadrianischen Zeitalters auszugeben. Nachdem aber durch die Gutachten der vom Parla¬ ment zusammenberufenen Kunstrichter, Männer wie Canova, Visconti, West, eine richtigere Würdigung der Phidiasschen Meisterwerke angebahnt war, da erhob sich ein gewaltiges Geschrei des Neides, eingekleidet in das Gewand sittlicher Entrüstung, „wie von Krähen die den Adler umträchzen". Und als nun gar das Gespenst der Athene in den verödeten Räumen des Parthenons dem Lord Byron erschienen war und seinen Fluch auf das tempelschänderische Albion geschleudert hatte, da war auch für alle empfindsamen Verehrer der Kunst das Signal gegeben in das Anathem mit einzustimmen, selbst wenn

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_113241/463>, abgerufen am 10.05.2024.