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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. I. Band.

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principielle Erledigung in dem im Artikel l04 der Verfassung verheißenen
Gesetze über die Oberrechnuugskammer finden werde. Seitdem schwebt die Frage,
ohne principiell entschieden zu sein. In der Praxis hat die nach 1852
im Zunehmen begriffene reactionäre Strömung die Oberhand gewonnen.
So hat sich allmälig eine Art der Budgetbewilligung und der Finanzcontrole
herausgebildet, von welcher der alte Kühne bekanntlich gesagt hat. sie sei
nichts als ein Gaukelspiel.

In diesem Jahre wurde endlich der lange verheißene Gesetzentwurf über
die Oberrechnungskammcr vorgelegt. Hier mußte der Begriff der Etatsübcr-
schreitung principiell festgestellt werden. Leider hatten bei der Feststellung des
Entwurfs die Herren von Roon und von der Heydt über die liberalen Mitglieder
des Ministeriums gesiegt. Der Entwurf drohte die bisherige reactionäre
Praxis als gesetzliches Princip zu fixiren. Eine Verantwortlichkeit der Minister
den Häusern des Landtags gegenüber soll demnach nur in so weit bestehen,
als Abweichungen von den Summen des als Gesetz publicirten Staatshaus¬
halts-Etats vorgekommen sind. In den Motiven des Gesetzentwurfs über die
Oberrechnungskammer heißt es wörtlich: "Die Beschlüsse, welche bei der Be¬
rathung des Staatshaushalts-Etats zu den die Grundlage desselben bildenden
Verwaltuugs-Etats gesaßt werden, verhalten sich zu den Ansätzen des publi¬
cirten Staatshaushalts-Etats überall nur wie die Motive eures Gesetzes zu
dessen dispositiven Anordnungen, welche letztere allein die bindende Borschrist
abgeben und deren Ueberschreitung daher allein eine'Verantwortlichkeit zur
Folge haben kann." Dieser Grundsatz, sobald er anerkannt wäre, würde die
beschließende Gewalt des Landtags zu einer rcithgcbeudc" herabdrücken. Die
Commission des Abgeordnetenhauses, an welche der Entwurf gewiesen ist,
hat alle diese Bestimmungen herauscorrigirt. Aber ob und in welcher Ge¬
stalt der Entwurf über die Oberrechnungskammer Gesetzeskraft erhalten wird,
ist bei dem zwischen Herrenhaus und Abgeordnetenhaus bestehenden Zwiespalt
vollkommen ungewiß. Wenn also die Finanzcontrole der Landesvertretung
nicht noch für eine unbestimmte Zukunft eine unwirksame bleiben sollte, so
mußte bei der Behandlung des Budgets selbst die nothwendige Abhilfe ge¬
troffen werden.

Dies sind die Voraussetzungen, von denen aus der Antrag des Abgeord¬
neten Hagen zu beurtheilen ist. Der Gedanke Hagen's ist sehr einfach. Wenn
nur die in den Hauptetat aufgenommenen Summen gesetzliche und die Re¬
gierung bindende Gewalt haben sollen, so hat das Abgeordnetenhaus ein sehr
einfaches Mittel, sich eine wirksame Finanzcontrolle zu verschaffen. Es braucht
nur zu verlangen, daß die einzelnen genehmigten Positionen jedes Special-
Etats in den Staatshaushalts-Etat betreffenden Ortes aufgenommen werden;
dadurch erhalten alle diese einzelnen Positionen gesetzliche Kraft. Dies ist die


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principielle Erledigung in dem im Artikel l04 der Verfassung verheißenen
Gesetze über die Oberrechnuugskammer finden werde. Seitdem schwebt die Frage,
ohne principiell entschieden zu sein. In der Praxis hat die nach 1852
im Zunehmen begriffene reactionäre Strömung die Oberhand gewonnen.
So hat sich allmälig eine Art der Budgetbewilligung und der Finanzcontrole
herausgebildet, von welcher der alte Kühne bekanntlich gesagt hat. sie sei
nichts als ein Gaukelspiel.

In diesem Jahre wurde endlich der lange verheißene Gesetzentwurf über
die Oberrechnungskammcr vorgelegt. Hier mußte der Begriff der Etatsübcr-
schreitung principiell festgestellt werden. Leider hatten bei der Feststellung des
Entwurfs die Herren von Roon und von der Heydt über die liberalen Mitglieder
des Ministeriums gesiegt. Der Entwurf drohte die bisherige reactionäre
Praxis als gesetzliches Princip zu fixiren. Eine Verantwortlichkeit der Minister
den Häusern des Landtags gegenüber soll demnach nur in so weit bestehen,
als Abweichungen von den Summen des als Gesetz publicirten Staatshaus¬
halts-Etats vorgekommen sind. In den Motiven des Gesetzentwurfs über die
Oberrechnungskammer heißt es wörtlich: „Die Beschlüsse, welche bei der Be¬
rathung des Staatshaushalts-Etats zu den die Grundlage desselben bildenden
Verwaltuugs-Etats gesaßt werden, verhalten sich zu den Ansätzen des publi¬
cirten Staatshaushalts-Etats überall nur wie die Motive eures Gesetzes zu
dessen dispositiven Anordnungen, welche letztere allein die bindende Borschrist
abgeben und deren Ueberschreitung daher allein eine'Verantwortlichkeit zur
Folge haben kann." Dieser Grundsatz, sobald er anerkannt wäre, würde die
beschließende Gewalt des Landtags zu einer rcithgcbeudc» herabdrücken. Die
Commission des Abgeordnetenhauses, an welche der Entwurf gewiesen ist,
hat alle diese Bestimmungen herauscorrigirt. Aber ob und in welcher Ge¬
stalt der Entwurf über die Oberrechnungskammer Gesetzeskraft erhalten wird,
ist bei dem zwischen Herrenhaus und Abgeordnetenhaus bestehenden Zwiespalt
vollkommen ungewiß. Wenn also die Finanzcontrole der Landesvertretung
nicht noch für eine unbestimmte Zukunft eine unwirksame bleiben sollte, so
mußte bei der Behandlung des Budgets selbst die nothwendige Abhilfe ge¬
troffen werden.

Dies sind die Voraussetzungen, von denen aus der Antrag des Abgeord¬
neten Hagen zu beurtheilen ist. Der Gedanke Hagen's ist sehr einfach. Wenn
nur die in den Hauptetat aufgenommenen Summen gesetzliche und die Re¬
gierung bindende Gewalt haben sollen, so hat das Abgeordnetenhaus ein sehr
einfaches Mittel, sich eine wirksame Finanzcontrolle zu verschaffen. Es braucht
nur zu verlangen, daß die einzelnen genehmigten Positionen jedes Special-
Etats in den Staatshaushalts-Etat betreffenden Ortes aufgenommen werden;
dadurch erhalten alle diese einzelnen Positionen gesetzliche Kraft. Dies ist die


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[0483] principielle Erledigung in dem im Artikel l04 der Verfassung verheißenen Gesetze über die Oberrechnuugskammer finden werde. Seitdem schwebt die Frage, ohne principiell entschieden zu sein. In der Praxis hat die nach 1852 im Zunehmen begriffene reactionäre Strömung die Oberhand gewonnen. So hat sich allmälig eine Art der Budgetbewilligung und der Finanzcontrole herausgebildet, von welcher der alte Kühne bekanntlich gesagt hat. sie sei nichts als ein Gaukelspiel. In diesem Jahre wurde endlich der lange verheißene Gesetzentwurf über die Oberrechnungskammcr vorgelegt. Hier mußte der Begriff der Etatsübcr- schreitung principiell festgestellt werden. Leider hatten bei der Feststellung des Entwurfs die Herren von Roon und von der Heydt über die liberalen Mitglieder des Ministeriums gesiegt. Der Entwurf drohte die bisherige reactionäre Praxis als gesetzliches Princip zu fixiren. Eine Verantwortlichkeit der Minister den Häusern des Landtags gegenüber soll demnach nur in so weit bestehen, als Abweichungen von den Summen des als Gesetz publicirten Staatshaus¬ halts-Etats vorgekommen sind. In den Motiven des Gesetzentwurfs über die Oberrechnungskammer heißt es wörtlich: „Die Beschlüsse, welche bei der Be¬ rathung des Staatshaushalts-Etats zu den die Grundlage desselben bildenden Verwaltuugs-Etats gesaßt werden, verhalten sich zu den Ansätzen des publi¬ cirten Staatshaushalts-Etats überall nur wie die Motive eures Gesetzes zu dessen dispositiven Anordnungen, welche letztere allein die bindende Borschrist abgeben und deren Ueberschreitung daher allein eine'Verantwortlichkeit zur Folge haben kann." Dieser Grundsatz, sobald er anerkannt wäre, würde die beschließende Gewalt des Landtags zu einer rcithgcbeudc» herabdrücken. Die Commission des Abgeordnetenhauses, an welche der Entwurf gewiesen ist, hat alle diese Bestimmungen herauscorrigirt. Aber ob und in welcher Ge¬ stalt der Entwurf über die Oberrechnungskammer Gesetzeskraft erhalten wird, ist bei dem zwischen Herrenhaus und Abgeordnetenhaus bestehenden Zwiespalt vollkommen ungewiß. Wenn also die Finanzcontrole der Landesvertretung nicht noch für eine unbestimmte Zukunft eine unwirksame bleiben sollte, so mußte bei der Behandlung des Budgets selbst die nothwendige Abhilfe ge¬ troffen werden. Dies sind die Voraussetzungen, von denen aus der Antrag des Abgeord¬ neten Hagen zu beurtheilen ist. Der Gedanke Hagen's ist sehr einfach. Wenn nur die in den Hauptetat aufgenommenen Summen gesetzliche und die Re¬ gierung bindende Gewalt haben sollen, so hat das Abgeordnetenhaus ein sehr einfaches Mittel, sich eine wirksame Finanzcontrolle zu verschaffen. Es braucht nur zu verlangen, daß die einzelnen genehmigten Positionen jedes Special- Etats in den Staatshaushalts-Etat betreffenden Ortes aufgenommen werden; dadurch erhalten alle diese einzelnen Positionen gesetzliche Kraft. Dies ist die 60*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_113241/483>, abgerufen am 16.06.2024.