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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. I. Band.

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oder den Mönch, der die Knisenn Theophanie dafür im Fegefeuer büßen
läßt, daß sie die Künste des Luxus in Deutschland verbreitet hat, wenn man
Petrus Damiani oder den Vater des Cisterzienserordens zum Beweise des
Kunsthasses im Mittelalter anführt, so möge mau doch nicht vergessen, daß Sa-
vonarola eine charakteristische Figur'der Renaissanceperiode bildete und daß das
Sprichwort Kardai-i mit Barbarini im siebenzehnten Jahrhundert in Verbin¬
dung bringt.

Nicht aus strengen, oft überstrengen Sittenpredigten, die gerade durch die
Leidenschaft ihres Tones die weite Verbreitung des Uebels, das sie bekämpfen,
darthun, sondern aus der Beschaffenheit der Denkmäler muß der Charakter der
mittelalterlichen Kunstbildung erläutert werden.

Wer dieses aber mit unbefangenen Blicken versucht, erkennt vielleicht zu
seiner größten Ueberraschung, daß die Antike niemals, am wenigsten in den
angeblich schlimmsten Zeiten der mittelalterlichen Barbarei aufgehört hat, einen
nachhaltigen Einfluß auf die künstlerische Phantasie zu üben. Man behauptet,
die Kunst des classischen Alterthums wäre im tieferen Mittelqltcr bis zum letz¬
ten leisesten Anklang verhallt gewesen, und man findet dorische und ionische
Capitäler im zehnten und elften Jahrhundert bis im innersten Herzen Deutsch¬
lands, im Sachsenlande, reproducirt, man entdeckt andere architektonische Glie¬
der, wie z. B. den Säulenfuß, das Carnieß, regelmäßig der aus dem Alterthum
überlieferten Form nachgebildet, die ganze Reihe der antiken Ornamentmotive
in frühmittelalterlichen Monumenten, so gut es anging, wieder belebt. Freilich
können °oicse Wiederholungen und Nachahmungen auch als dunkle und unbe¬
wußte Erinnerungen, auf irgend welchen weiten und verschlungenen Wegen
übermittelt, angesehen werden?

Wenn aber in Corvey und Paderborn, dort im zehnten, hier im neunten
Jahrhunderte, das ganze über dem antiken Säulenbau lastende Gebälke auf dem
Kämpfer, gleichsam abgekürzt, reproducirt wird, wenn an Gesimsen im Speierer
Dome die Ornamentreihen in der gleichen Ordnung wie an römischen Denk¬
mälern wiederkehren, wenn, wie an der Bernwardssäule in Hildesheim, bestimmte
antike Werke im Kleinen copirt werden, dann kann man an der bewußten und
absichtlichen Nachahmung der Antike nicht füglich zweifeln. An der Hand der
Monumente können wir noch getrost eine weitere, wichtigere Behauptung be¬
gründen. Ueberall, wo antike Bauwerke von größerer Bedeutung und ansehn¬
lichen Verhältnissen sich erhalten haben, sehen wir die Blicke der mittelalterlichen
Künstler auf dieselben mit Aufmerksamkeit gerichtet, bemerken wir wie die Antike
einen förmlichen unabwendbaren Zauber übt und die Phantasie der Anwoh¬
ner Jahrhunderte lang vollständig gefangen nimmt. Die sogenannten Kaiser¬
bäder in Trier haben auf die Gestalt der niederrheinischen Kirchen, auf die
merkwürdig reiche Entfaltung ihres Grundrisses den entschiedensten Einfluß


oder den Mönch, der die Knisenn Theophanie dafür im Fegefeuer büßen
läßt, daß sie die Künste des Luxus in Deutschland verbreitet hat, wenn man
Petrus Damiani oder den Vater des Cisterzienserordens zum Beweise des
Kunsthasses im Mittelalter anführt, so möge mau doch nicht vergessen, daß Sa-
vonarola eine charakteristische Figur'der Renaissanceperiode bildete und daß das
Sprichwort Kardai-i mit Barbarini im siebenzehnten Jahrhundert in Verbin¬
dung bringt.

Nicht aus strengen, oft überstrengen Sittenpredigten, die gerade durch die
Leidenschaft ihres Tones die weite Verbreitung des Uebels, das sie bekämpfen,
darthun, sondern aus der Beschaffenheit der Denkmäler muß der Charakter der
mittelalterlichen Kunstbildung erläutert werden.

Wer dieses aber mit unbefangenen Blicken versucht, erkennt vielleicht zu
seiner größten Ueberraschung, daß die Antike niemals, am wenigsten in den
angeblich schlimmsten Zeiten der mittelalterlichen Barbarei aufgehört hat, einen
nachhaltigen Einfluß auf die künstlerische Phantasie zu üben. Man behauptet,
die Kunst des classischen Alterthums wäre im tieferen Mittelqltcr bis zum letz¬
ten leisesten Anklang verhallt gewesen, und man findet dorische und ionische
Capitäler im zehnten und elften Jahrhundert bis im innersten Herzen Deutsch¬
lands, im Sachsenlande, reproducirt, man entdeckt andere architektonische Glie¬
der, wie z. B. den Säulenfuß, das Carnieß, regelmäßig der aus dem Alterthum
überlieferten Form nachgebildet, die ganze Reihe der antiken Ornamentmotive
in frühmittelalterlichen Monumenten, so gut es anging, wieder belebt. Freilich
können °oicse Wiederholungen und Nachahmungen auch als dunkle und unbe¬
wußte Erinnerungen, auf irgend welchen weiten und verschlungenen Wegen
übermittelt, angesehen werden?

Wenn aber in Corvey und Paderborn, dort im zehnten, hier im neunten
Jahrhunderte, das ganze über dem antiken Säulenbau lastende Gebälke auf dem
Kämpfer, gleichsam abgekürzt, reproducirt wird, wenn an Gesimsen im Speierer
Dome die Ornamentreihen in der gleichen Ordnung wie an römischen Denk¬
mälern wiederkehren, wenn, wie an der Bernwardssäule in Hildesheim, bestimmte
antike Werke im Kleinen copirt werden, dann kann man an der bewußten und
absichtlichen Nachahmung der Antike nicht füglich zweifeln. An der Hand der
Monumente können wir noch getrost eine weitere, wichtigere Behauptung be¬
gründen. Ueberall, wo antike Bauwerke von größerer Bedeutung und ansehn¬
lichen Verhältnissen sich erhalten haben, sehen wir die Blicke der mittelalterlichen
Künstler auf dieselben mit Aufmerksamkeit gerichtet, bemerken wir wie die Antike
einen förmlichen unabwendbaren Zauber übt und die Phantasie der Anwoh¬
ner Jahrhunderte lang vollständig gefangen nimmt. Die sogenannten Kaiser¬
bäder in Trier haben auf die Gestalt der niederrheinischen Kirchen, auf die
merkwürdig reiche Entfaltung ihres Grundrisses den entschiedensten Einfluß


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[0498] oder den Mönch, der die Knisenn Theophanie dafür im Fegefeuer büßen läßt, daß sie die Künste des Luxus in Deutschland verbreitet hat, wenn man Petrus Damiani oder den Vater des Cisterzienserordens zum Beweise des Kunsthasses im Mittelalter anführt, so möge mau doch nicht vergessen, daß Sa- vonarola eine charakteristische Figur'der Renaissanceperiode bildete und daß das Sprichwort Kardai-i mit Barbarini im siebenzehnten Jahrhundert in Verbin¬ dung bringt. Nicht aus strengen, oft überstrengen Sittenpredigten, die gerade durch die Leidenschaft ihres Tones die weite Verbreitung des Uebels, das sie bekämpfen, darthun, sondern aus der Beschaffenheit der Denkmäler muß der Charakter der mittelalterlichen Kunstbildung erläutert werden. Wer dieses aber mit unbefangenen Blicken versucht, erkennt vielleicht zu seiner größten Ueberraschung, daß die Antike niemals, am wenigsten in den angeblich schlimmsten Zeiten der mittelalterlichen Barbarei aufgehört hat, einen nachhaltigen Einfluß auf die künstlerische Phantasie zu üben. Man behauptet, die Kunst des classischen Alterthums wäre im tieferen Mittelqltcr bis zum letz¬ ten leisesten Anklang verhallt gewesen, und man findet dorische und ionische Capitäler im zehnten und elften Jahrhundert bis im innersten Herzen Deutsch¬ lands, im Sachsenlande, reproducirt, man entdeckt andere architektonische Glie¬ der, wie z. B. den Säulenfuß, das Carnieß, regelmäßig der aus dem Alterthum überlieferten Form nachgebildet, die ganze Reihe der antiken Ornamentmotive in frühmittelalterlichen Monumenten, so gut es anging, wieder belebt. Freilich können °oicse Wiederholungen und Nachahmungen auch als dunkle und unbe¬ wußte Erinnerungen, auf irgend welchen weiten und verschlungenen Wegen übermittelt, angesehen werden? Wenn aber in Corvey und Paderborn, dort im zehnten, hier im neunten Jahrhunderte, das ganze über dem antiken Säulenbau lastende Gebälke auf dem Kämpfer, gleichsam abgekürzt, reproducirt wird, wenn an Gesimsen im Speierer Dome die Ornamentreihen in der gleichen Ordnung wie an römischen Denk¬ mälern wiederkehren, wenn, wie an der Bernwardssäule in Hildesheim, bestimmte antike Werke im Kleinen copirt werden, dann kann man an der bewußten und absichtlichen Nachahmung der Antike nicht füglich zweifeln. An der Hand der Monumente können wir noch getrost eine weitere, wichtigere Behauptung be¬ gründen. Ueberall, wo antike Bauwerke von größerer Bedeutung und ansehn¬ lichen Verhältnissen sich erhalten haben, sehen wir die Blicke der mittelalterlichen Künstler auf dieselben mit Aufmerksamkeit gerichtet, bemerken wir wie die Antike einen förmlichen unabwendbaren Zauber übt und die Phantasie der Anwoh¬ ner Jahrhunderte lang vollständig gefangen nimmt. Die sogenannten Kaiser¬ bäder in Trier haben auf die Gestalt der niederrheinischen Kirchen, auf die merkwürdig reiche Entfaltung ihres Grundrisses den entschiedensten Einfluß

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_113241/498>, abgerufen am 12.05.2024.