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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. I. Band.

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die Verhältnisse lagen, war es klar, daß auch 1830 die gleichen Ursachen gleicke
Wirkungen hervorbringen mühten: wenn auch unter manchen Gemäßigten die,
im Jahre 1793 so erschütternd widerlegte Ansicht herrschte, daß ein auswärtiger
Krieg eine Ableitung für, die inneren Zustände bedrohende Elemente sein
würde. Unter allen Umständen gefährlich, kann das Experiment, revolutionäre
Leidenschaften nach außen zu lenken, nur da Aussicht auf Erfolg haben, ,vo
eine starke', die Zügel der Herrschaft fest handhabende Negierung dem dro¬
henden Ausbruch einer Revolution vorbeugen will, nicht aber da, wo der Bo¬
den noch unter den Nachwirkungen eines eben erfolgten Ausbruches zittert.
Die Revolution, -- so viel stand fest, -- konnte 183V nicht eher für abge¬
schlossen gelten, als bis die Verhältnisse mit dem Auslande friedlich geordnet
waren; und nur der rasche Abschluß der Revolution ließ der Hoffnung Raum,
auf dem Boden des Nepräsentativsystems Zustände zu gründen, die mit der
Gewähr der Dauer zugleich die einer ungehinderten freiheitlichen Entwickelung
boten.

Sobald die ersten stürmischen Zeiten des Ueberganges überwunden und
wenigstens äußerlich geordnete Zustände hergestellt waren, mußte es daher die
erste Sorge der neuen Negierung sein, wo möglich die alten diplomatischen Be¬
ziehungen Frankreichs zu den fremden Cabineten aufrecht zu erhalten. Von
besonderer Wichtigkeit war es natürlich, wie das Verhältniß mit England sich
gestalten würde. Wellington, der Führer des damaligen Torycabincts, bedau¬
erte zwar die Ereignisse in Paris, nahm aber doch keinen Anstand, nach der
vollendeten Thatsache die neue Regierung anzuerkennen und sich mit ihr in ein
gutes Einvernehmen zu setzen. Beachtenswert) ist es, was wir hier bemerken
wollen, daß die Beziehungen der Julimonarchie zu den Torys im Allgemeinen
leichter und freundlicher waren als zu den Whigs.*) Daß übrigens in England
trotz des Antheils, den dieser Staat an der Wiederherstellung der Bourbonen
genommen hatte, der Dynastiewechsel im Ganzen mit günstigem Auge angesehen
wurde, ist nicht zu verwundern. Der entschiedene Sieg des konstitutionellen
Systems in Frankreich war für England mehr als eine Tendenzfrage. Mochte



') Die Ansicht d'Haussonvillc's "IliLwirs 6e 1a politMio extsi-louis >In xouvsrnemknt
K'r-mykis, 1630--1848, I. x. 119), der diese Erscheinung besonders aus den Charakteren
der auswärtigen Minister der beiden Parteien, Lord Aberdeen und Lord Palmerston erklärt, ist
wohl im Allgemeinen richtig; daß daher sein, wie Guizots Urtheil über Palmerstons Politik
ein ziemlich ungünstiges ist, ist von französischem Standpunkte aus erklärlich. Von engli¬
schem Standpunkte aus dürfte das Urtheil doch anders ausfallen. Pnlmerston hat eben nur
die Zweideutigkeiten, auf die sich die französische Politik ihm gegenüber mehrfach eingelassen
hat, durchschaut, und die begehrlichen Pläne der französischen Regierung ebenso geschickt wie
rücksichtslos bekämpft. Es war ein verhängnißvoller Irrthum, wenn man in Frankreich glaubte,
in der Freundschaft mit England einen Freibrief zur Durchführung selbstsüchtiger Zwecke
zu besitzen.

die Verhältnisse lagen, war es klar, daß auch 1830 die gleichen Ursachen gleicke
Wirkungen hervorbringen mühten: wenn auch unter manchen Gemäßigten die,
im Jahre 1793 so erschütternd widerlegte Ansicht herrschte, daß ein auswärtiger
Krieg eine Ableitung für, die inneren Zustände bedrohende Elemente sein
würde. Unter allen Umständen gefährlich, kann das Experiment, revolutionäre
Leidenschaften nach außen zu lenken, nur da Aussicht auf Erfolg haben, ,vo
eine starke', die Zügel der Herrschaft fest handhabende Negierung dem dro¬
henden Ausbruch einer Revolution vorbeugen will, nicht aber da, wo der Bo¬
den noch unter den Nachwirkungen eines eben erfolgten Ausbruches zittert.
Die Revolution, — so viel stand fest, — konnte 183V nicht eher für abge¬
schlossen gelten, als bis die Verhältnisse mit dem Auslande friedlich geordnet
waren; und nur der rasche Abschluß der Revolution ließ der Hoffnung Raum,
auf dem Boden des Nepräsentativsystems Zustände zu gründen, die mit der
Gewähr der Dauer zugleich die einer ungehinderten freiheitlichen Entwickelung
boten.

Sobald die ersten stürmischen Zeiten des Ueberganges überwunden und
wenigstens äußerlich geordnete Zustände hergestellt waren, mußte es daher die
erste Sorge der neuen Negierung sein, wo möglich die alten diplomatischen Be¬
ziehungen Frankreichs zu den fremden Cabineten aufrecht zu erhalten. Von
besonderer Wichtigkeit war es natürlich, wie das Verhältniß mit England sich
gestalten würde. Wellington, der Führer des damaligen Torycabincts, bedau¬
erte zwar die Ereignisse in Paris, nahm aber doch keinen Anstand, nach der
vollendeten Thatsache die neue Regierung anzuerkennen und sich mit ihr in ein
gutes Einvernehmen zu setzen. Beachtenswert) ist es, was wir hier bemerken
wollen, daß die Beziehungen der Julimonarchie zu den Torys im Allgemeinen
leichter und freundlicher waren als zu den Whigs.*) Daß übrigens in England
trotz des Antheils, den dieser Staat an der Wiederherstellung der Bourbonen
genommen hatte, der Dynastiewechsel im Ganzen mit günstigem Auge angesehen
wurde, ist nicht zu verwundern. Der entschiedene Sieg des konstitutionellen
Systems in Frankreich war für England mehr als eine Tendenzfrage. Mochte



') Die Ansicht d'Haussonvillc's «IliLwirs 6e 1a politMio extsi-louis >In xouvsrnemknt
K'r-mykis, 1630—1848, I. x. 119), der diese Erscheinung besonders aus den Charakteren
der auswärtigen Minister der beiden Parteien, Lord Aberdeen und Lord Palmerston erklärt, ist
wohl im Allgemeinen richtig; daß daher sein, wie Guizots Urtheil über Palmerstons Politik
ein ziemlich ungünstiges ist, ist von französischem Standpunkte aus erklärlich. Von engli¬
schem Standpunkte aus dürfte das Urtheil doch anders ausfallen. Pnlmerston hat eben nur
die Zweideutigkeiten, auf die sich die französische Politik ihm gegenüber mehrfach eingelassen
hat, durchschaut, und die begehrlichen Pläne der französischen Regierung ebenso geschickt wie
rücksichtslos bekämpft. Es war ein verhängnißvoller Irrthum, wenn man in Frankreich glaubte,
in der Freundschaft mit England einen Freibrief zur Durchführung selbstsüchtiger Zwecke
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_113241/519>, abgerufen am 28.05.2024.