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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. I. Band.

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Vermehrung der schwebenden Schuld mittelst Depot-
geschnfte'............. 10 Millionen
sonstige ni. o. Einnahmen........1'/-
23-/- 105-/- Millionen.

Die fehlenden 4 Millionen wurden den Kassenbeständen entnommen, mit¬
hin die Betriebsmittel der Finanzverwaltung um ebenso viel geschwächt.
Ueber die Operationen, welche der Finanzminister im Jahre 1861 vorgenom¬
men hat, ohne den Reichsrath zu fragen, legt er eine ausführliche Rechtferti¬
gungsschrift vor. im "vollen Bewußtsein seiner Verantwortlichkeit." Hr. v. Pierer
nimmt dabei für seine Gebarung "mindestens das negative Verdienst unter¬
bliebener siatmwidrigcr Anspruchnahme der Nationalbank und Nichtemission
von Staatspapiergcld" in Anspruch. Die 12 Millionen Münzscheine sieht
Hr. v. Pierer nicht als Staatspapiergcld an, sondern als Scheidemünze aus
Papier, welche "den drängendsten Bedürfnissen des Kleinverkehrs die unerlä߬
liche Abhilfe" schafften.

Man kann es auf diesem Wege weit bringen, namentlich wenn man die
Deckung des Deficits so versteht, wie die Gebarung es thut. Wir finden
in zwei Romanen von Boz die Figuren der Herren Micawber (in David
Copperfield) und Skinpole (in Bleakhouse), welche glauben, ihre Schulden be¬
zahlt zu haben, wenn sie schriftliche Zahlungsversprechungen, etwa Wechsel
ausstellen. In ernsthaften Finanzgebarungen begegnen wir dieser Auffassung
hier zum ersten Male.

Die unbezahlte Rechnung ist die primitive Form der schwebenden Schuld.
Indem man an die Stelle dieser primitiven eine andere Form setzt, hat man
seine Schuld nicht abgetragen, sondern höchstens gestundet. Die Papiere der
schwebenden Schuld stellen das Deficit dar. welches erst dann gedeckt wird,
wenn die Finanzverwaltung diese Papiere einlöst. -- Das Deficit für 1861
aber zeigt, daß die Finanzverwaltung, nachdem selbst das Steucrcmlehen von
30 Millionen, ungeachtet der vortheilhaften Bedingungen, der kurzen Heim-
zahlungssrist von fünf Jahren und des sanften Druckes auf die Geldbesitzer
nicht vollständig eingegangen war, zu dem kleinen Borg greifen mußte, indem
sie Staatspapiere an Banquiers in Wien, Frankfurt, Stuttgart u. s. w. aus
sechs Monate verpfändete. Dies sind die zehn Millionen Depötgeschäfte,
welche als Deckung des Deficits mit aufgeführt werden, während sie, sobald
die Darleiher nicht mehr prolongiren wollen, der Finanzverwaltung kleine
Verlegenheiten, die peinlichsten von allen, bereiten. Die Darstellung des De¬
ficits für 1861 zeigt, daß alle Hilfsquellen des Credits erschöpft sind, und er¬
klärt ausreichend die Vorlage an den Reichsrath. Die Gebarungen von
1860 und 1861 bilden die würdige Einleitung zu dem Voranschlage für 1862.
Gegen den ausdrücklich erklärten kaiserlichen Willen zeigt derselbe einen Ge-


Vermehrung der schwebenden Schuld mittelst Depot-
geschnfte'............. 10 Millionen
sonstige ni. o. Einnahmen........1'/-
23-/- 105-/- Millionen.

Die fehlenden 4 Millionen wurden den Kassenbeständen entnommen, mit¬
hin die Betriebsmittel der Finanzverwaltung um ebenso viel geschwächt.
Ueber die Operationen, welche der Finanzminister im Jahre 1861 vorgenom¬
men hat, ohne den Reichsrath zu fragen, legt er eine ausführliche Rechtferti¬
gungsschrift vor. im „vollen Bewußtsein seiner Verantwortlichkeit." Hr. v. Pierer
nimmt dabei für seine Gebarung „mindestens das negative Verdienst unter¬
bliebener siatmwidrigcr Anspruchnahme der Nationalbank und Nichtemission
von Staatspapiergcld" in Anspruch. Die 12 Millionen Münzscheine sieht
Hr. v. Pierer nicht als Staatspapiergcld an, sondern als Scheidemünze aus
Papier, welche „den drängendsten Bedürfnissen des Kleinverkehrs die unerlä߬
liche Abhilfe" schafften.

Man kann es auf diesem Wege weit bringen, namentlich wenn man die
Deckung des Deficits so versteht, wie die Gebarung es thut. Wir finden
in zwei Romanen von Boz die Figuren der Herren Micawber (in David
Copperfield) und Skinpole (in Bleakhouse), welche glauben, ihre Schulden be¬
zahlt zu haben, wenn sie schriftliche Zahlungsversprechungen, etwa Wechsel
ausstellen. In ernsthaften Finanzgebarungen begegnen wir dieser Auffassung
hier zum ersten Male.

Die unbezahlte Rechnung ist die primitive Form der schwebenden Schuld.
Indem man an die Stelle dieser primitiven eine andere Form setzt, hat man
seine Schuld nicht abgetragen, sondern höchstens gestundet. Die Papiere der
schwebenden Schuld stellen das Deficit dar. welches erst dann gedeckt wird,
wenn die Finanzverwaltung diese Papiere einlöst. — Das Deficit für 1861
aber zeigt, daß die Finanzverwaltung, nachdem selbst das Steucrcmlehen von
30 Millionen, ungeachtet der vortheilhaften Bedingungen, der kurzen Heim-
zahlungssrist von fünf Jahren und des sanften Druckes auf die Geldbesitzer
nicht vollständig eingegangen war, zu dem kleinen Borg greifen mußte, indem
sie Staatspapiere an Banquiers in Wien, Frankfurt, Stuttgart u. s. w. aus
sechs Monate verpfändete. Dies sind die zehn Millionen Depötgeschäfte,
welche als Deckung des Deficits mit aufgeführt werden, während sie, sobald
die Darleiher nicht mehr prolongiren wollen, der Finanzverwaltung kleine
Verlegenheiten, die peinlichsten von allen, bereiten. Die Darstellung des De¬
ficits für 1861 zeigt, daß alle Hilfsquellen des Credits erschöpft sind, und er¬
klärt ausreichend die Vorlage an den Reichsrath. Die Gebarungen von
1860 und 1861 bilden die würdige Einleitung zu dem Voranschlage für 1862.
Gegen den ausdrücklich erklärten kaiserlichen Willen zeigt derselbe einen Ge-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_113241/54>, abgerufen am 06.06.2024.