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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. I. Band.

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Goethe und Schiller drückte aber die Schauspielkunst nicht nur deshalb,
weil die Dichter, die immerhin nur halbe Sachverständige waren, jetzt Rath¬
geber und Leiter der Bühnen wurden und das natürliche Bestreben hatten,
den Schauspieler zum Instrument herabzusetzen, welches recitirend und decla-
mirend die poetischen Schönheiten des Dichters dem Publicum vortragen
sollte. Noch mehr schadete die seltsame weltbürgerliche Zerfahrenheit, welche
sich in der poetischen Bildung der Zeit ausdrückte. Daß die Poesie an dem
Uebelstand litt, ihre Formen und Maße, ihre Gestalten und ihre Me¬
thode der Darstellung aus den verschiedensten Zeiten menschlicher Cultur
zusammenzusetzen, das vorzugsweise hat die Schauspielkunst beeinträchtigt.
Denn diese war gegenüber dem Eindringen neuer Welten schwankend und
hilflos geworden.

Seitdem hat die Schauspielkunst eine Fülle der schönsten Talente auf
die deutschen Bühnen geführt, und ist doch unrettbar herabgesunken. Denn
weniger als jede andere Kunst verträgt sie die Styllofigkeit, und das
Verarbeiten disparater Bildungsmomente.

Wir sind nicht ungerecht gegen die Leistungen der lebenden Künst¬
ler, Wir wissen sehr wohl, daß der ungeheure Vertiefungsproceß, wel¬
chen das deutsche Volk seit Mitte des vorigen Jahrhunderts durchgemacht,
auch vielfach der Darstellung menschlicher Leidenschaft zu Gute gekommen ist.
Nicht nur der Umfang der künstlerischen Aufgaben hat seit dem Eindringen
der Shakespeare'schen Gestalten und der Ausbildung des historischen Dramas,
sehr zugenommen, auch das Verständniß und die Auffassung menschlicher Cha¬
raktere ist tiefer und großartiger geworden. Freier und umfangreicher sind
auch die Kunstivittel, durch welche Wirkungen hervorgebracht werden, als in
der Zeit, in welcher der Schauspieler noch für unanständig hielt, dem Pu-
blicum den Rücken zu kehren. Es ist wahrscheinlich, daß für Eckhof die
Rolle des Wallenstein einige unüberwindliche Schwierigkeiten gehabt hätte,
daß Frau Hensel eine sehr mittelmüßige Darstellerin der Maria Stuart ge¬
wesen wäre, daß selbst Charlotte Ackermann als Gretchen, Klürchen. Käthchen
bei aller Liebenswürdigkeit zu spießbürgerlich geziert erschienen wäre, und daß
Brockmann als Hamlet einem modernen Publicum in nicht wenigen Momenten ein
Lächeln abgenöthigt hätte. Wir wissen sehr wohl, daß jetzt auch das mäßige
Talent im Stande ist. einem Heldencharakter große und imponirende Wirkungen
zu geben, welche zu Lessing's Zeit auch die stärkste Kraft schwerlich durchgesetzt
hätte. Und es ist uns durchaus nicht verborgen, das, die Anforderung, welche
wir jetzt an einen großen Darsteller menschlicher Charaktere machen, höher
sind, als sie zu der Zeit sein konnten, wo Lessing das Spiel Eckhof's als
mustergiltig aufstellte. Aber dieselben Jahrzehnte, welche uns höhere An-
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Goethe und Schiller drückte aber die Schauspielkunst nicht nur deshalb,
weil die Dichter, die immerhin nur halbe Sachverständige waren, jetzt Rath¬
geber und Leiter der Bühnen wurden und das natürliche Bestreben hatten,
den Schauspieler zum Instrument herabzusetzen, welches recitirend und decla-
mirend die poetischen Schönheiten des Dichters dem Publicum vortragen
sollte. Noch mehr schadete die seltsame weltbürgerliche Zerfahrenheit, welche
sich in der poetischen Bildung der Zeit ausdrückte. Daß die Poesie an dem
Uebelstand litt, ihre Formen und Maße, ihre Gestalten und ihre Me¬
thode der Darstellung aus den verschiedensten Zeiten menschlicher Cultur
zusammenzusetzen, das vorzugsweise hat die Schauspielkunst beeinträchtigt.
Denn diese war gegenüber dem Eindringen neuer Welten schwankend und
hilflos geworden.

Seitdem hat die Schauspielkunst eine Fülle der schönsten Talente auf
die deutschen Bühnen geführt, und ist doch unrettbar herabgesunken. Denn
weniger als jede andere Kunst verträgt sie die Styllofigkeit, und das
Verarbeiten disparater Bildungsmomente.

Wir sind nicht ungerecht gegen die Leistungen der lebenden Künst¬
ler, Wir wissen sehr wohl, daß der ungeheure Vertiefungsproceß, wel¬
chen das deutsche Volk seit Mitte des vorigen Jahrhunderts durchgemacht,
auch vielfach der Darstellung menschlicher Leidenschaft zu Gute gekommen ist.
Nicht nur der Umfang der künstlerischen Aufgaben hat seit dem Eindringen
der Shakespeare'schen Gestalten und der Ausbildung des historischen Dramas,
sehr zugenommen, auch das Verständniß und die Auffassung menschlicher Cha¬
raktere ist tiefer und großartiger geworden. Freier und umfangreicher sind
auch die Kunstivittel, durch welche Wirkungen hervorgebracht werden, als in
der Zeit, in welcher der Schauspieler noch für unanständig hielt, dem Pu-
blicum den Rücken zu kehren. Es ist wahrscheinlich, daß für Eckhof die
Rolle des Wallenstein einige unüberwindliche Schwierigkeiten gehabt hätte,
daß Frau Hensel eine sehr mittelmüßige Darstellerin der Maria Stuart ge¬
wesen wäre, daß selbst Charlotte Ackermann als Gretchen, Klürchen. Käthchen
bei aller Liebenswürdigkeit zu spießbürgerlich geziert erschienen wäre, und daß
Brockmann als Hamlet einem modernen Publicum in nicht wenigen Momenten ein
Lächeln abgenöthigt hätte. Wir wissen sehr wohl, daß jetzt auch das mäßige
Talent im Stande ist. einem Heldencharakter große und imponirende Wirkungen
zu geben, welche zu Lessing's Zeit auch die stärkste Kraft schwerlich durchgesetzt
hätte. Und es ist uns durchaus nicht verborgen, das, die Anforderung, welche
wir jetzt an einen großen Darsteller menschlicher Charaktere machen, höher
sind, als sie zu der Zeit sein konnten, wo Lessing das Spiel Eckhof's als
mustergiltig aufstellte. Aber dieselben Jahrzehnte, welche uns höhere An-
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[0082] Goethe und Schiller drückte aber die Schauspielkunst nicht nur deshalb, weil die Dichter, die immerhin nur halbe Sachverständige waren, jetzt Rath¬ geber und Leiter der Bühnen wurden und das natürliche Bestreben hatten, den Schauspieler zum Instrument herabzusetzen, welches recitirend und decla- mirend die poetischen Schönheiten des Dichters dem Publicum vortragen sollte. Noch mehr schadete die seltsame weltbürgerliche Zerfahrenheit, welche sich in der poetischen Bildung der Zeit ausdrückte. Daß die Poesie an dem Uebelstand litt, ihre Formen und Maße, ihre Gestalten und ihre Me¬ thode der Darstellung aus den verschiedensten Zeiten menschlicher Cultur zusammenzusetzen, das vorzugsweise hat die Schauspielkunst beeinträchtigt. Denn diese war gegenüber dem Eindringen neuer Welten schwankend und hilflos geworden. Seitdem hat die Schauspielkunst eine Fülle der schönsten Talente auf die deutschen Bühnen geführt, und ist doch unrettbar herabgesunken. Denn weniger als jede andere Kunst verträgt sie die Styllofigkeit, und das Verarbeiten disparater Bildungsmomente. Wir sind nicht ungerecht gegen die Leistungen der lebenden Künst¬ ler, Wir wissen sehr wohl, daß der ungeheure Vertiefungsproceß, wel¬ chen das deutsche Volk seit Mitte des vorigen Jahrhunderts durchgemacht, auch vielfach der Darstellung menschlicher Leidenschaft zu Gute gekommen ist. Nicht nur der Umfang der künstlerischen Aufgaben hat seit dem Eindringen der Shakespeare'schen Gestalten und der Ausbildung des historischen Dramas, sehr zugenommen, auch das Verständniß und die Auffassung menschlicher Cha¬ raktere ist tiefer und großartiger geworden. Freier und umfangreicher sind auch die Kunstivittel, durch welche Wirkungen hervorgebracht werden, als in der Zeit, in welcher der Schauspieler noch für unanständig hielt, dem Pu- blicum den Rücken zu kehren. Es ist wahrscheinlich, daß für Eckhof die Rolle des Wallenstein einige unüberwindliche Schwierigkeiten gehabt hätte, daß Frau Hensel eine sehr mittelmüßige Darstellerin der Maria Stuart ge¬ wesen wäre, daß selbst Charlotte Ackermann als Gretchen, Klürchen. Käthchen bei aller Liebenswürdigkeit zu spießbürgerlich geziert erschienen wäre, und daß Brockmann als Hamlet einem modernen Publicum in nicht wenigen Momenten ein Lächeln abgenöthigt hätte. Wir wissen sehr wohl, daß jetzt auch das mäßige Talent im Stande ist. einem Heldencharakter große und imponirende Wirkungen zu geben, welche zu Lessing's Zeit auch die stärkste Kraft schwerlich durchgesetzt hätte. Und es ist uns durchaus nicht verborgen, das, die Anforderung, welche wir jetzt an einen großen Darsteller menschlicher Charaktere machen, höher sind, als sie zu der Zeit sein konnten, wo Lessing das Spiel Eckhof's als mustergiltig aufstellte. Aber dieselben Jahrzehnte, welche uns höhere An- ,p,und. «.b.,,, s°in.„ >b.°s° «.„ Duft». in d-„ S..,.d h°d„. h°h-,-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_113241/82>, abgerufen am 13.05.2024.