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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. I. Band.

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Der Norden der Union ist mit dem Süden in einem Bürgerkrieg begriffen,
der mit unnöthigen Großthun begonnen wurde, in dem der Norden bisher
keinen großen Erfolg errungen, in dem er mehre schmachvolle Niederlagen er¬
litten hat. Man versprach sich und der Welt eine Unterwerfung der Rebellion
so zu sagen im Handumdrehen, aber das Ergebniß des Versuchs ist ein völlig
anderes gewesen, und bis jetzt hatte die Befürchtung, daß die Jnsurgenicu-
armee Washington- einnehmen werde, bei Weitem mehr für sich als die Hoff¬
nung,- daß-das Bundesheer die Golfstaatcn in seine Gewalt bringen werde.
Nur.die neueste Geschichte Neapels zeigte eine gleich klägliche Enttäuschung über
den Werth des militärischen-Systems wie in der Union, und unter solchen
Verhältnissen an einen Krieg mit einer großen europäischen Nation zu denken,
scheint eine Thorheit ohne Gleichen. Derselbe würde die bleibende Unabhängig¬
keit des Südens sickern und zugleich den Verlust der ungeheuern streitigen
Länderstrecken nach sich ziehen, um die sich der gegenwärtige Streit in der
Hauptsache dreht. Ein gewöhnliches Volk würde bei dieser Sachlage eher ans
alles Andere als auf Krieg sinnen. Aber die Amerikaner sind kein gewöhnliches
Volk, und die Zeit ist ebenfalls keine gewöhnliche. Einer in Revolution be¬
griffenen Demokratie ist nichts unmöglich. Der Präsident ist der-Lage, in der
er sich befindet, nicht gewachsen. Zum Sachwalter in einer Landstadt gebildet,
ist er durch zufälliges Zusammentreffen von Wahlergebnissen an die Spitze einer
Nation gestellt worden. Seine Minister, seine Generale sind verschiedener Mei¬
nung. Die Politik der Regierung ist selbst in der Lebensfiage der Sklaverei,
im Zwiespalt mit sich selbst. Sogar sehr sanguinische Amerikaner geben zu,
daß in Washington kein Haupt ist.

Fragen wir uns, was in diesem Nebelgewirr sich etwa für unsre Erörte¬
rung entdecken läßt, so sehen wir noch immer mehr Elemente zu Befürchtungen
als zu Hoffnungen.- Wir hören, d^ß'-die Massen "i Neuyork und andern östlichen
Städten sich verständiger und weniger zuversichtlich zeigen. Aber diese Stimmung
kann >n einer Demokratie sehr bald- wieder umschlagen. Jedenfalls ist die
große Massiv vollkommen überzeugt, daß die Verhaftung der Herren Mason
und.Slidell in- der Ordnung-gewesen, sie würde dies sein, auch wenn die Sache
weniger unklar und zweifelhaft mare, und sie ist nur für den Augenblick
unsicher, ob sie die Macht besitzt, es mit England aufzunehmen. Durch
eine.Reihe glücklicher Unternehmungen, durch fortwährende Schmeicheleien ihrer
Volksredner verwöhnt, seit langen Jahren nicht besiegt, weil seit langen Jahren
nicht ernstlich angegriffen, glauben die Amerikaner überhaupt unbesiegbar zu
sem, Sie träumen von einer großen Flotte, die sie im Nu aus ihren Häfen
gegen den britischen Handel loslassen könnten, träumen von der Eroberung
Canadas. Mr wissen> daß solche. Einbildungen geringen Werth haben, und
die leitenden-Politiker der Union sind-sich dessen ebenfalls bewußt. Sie ar-


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Der Norden der Union ist mit dem Süden in einem Bürgerkrieg begriffen,
der mit unnöthigen Großthun begonnen wurde, in dem der Norden bisher
keinen großen Erfolg errungen, in dem er mehre schmachvolle Niederlagen er¬
litten hat. Man versprach sich und der Welt eine Unterwerfung der Rebellion
so zu sagen im Handumdrehen, aber das Ergebniß des Versuchs ist ein völlig
anderes gewesen, und bis jetzt hatte die Befürchtung, daß die Jnsurgenicu-
armee Washington- einnehmen werde, bei Weitem mehr für sich als die Hoff¬
nung,- daß-das Bundesheer die Golfstaatcn in seine Gewalt bringen werde.
Nur.die neueste Geschichte Neapels zeigte eine gleich klägliche Enttäuschung über
den Werth des militärischen-Systems wie in der Union, und unter solchen
Verhältnissen an einen Krieg mit einer großen europäischen Nation zu denken,
scheint eine Thorheit ohne Gleichen. Derselbe würde die bleibende Unabhängig¬
keit des Südens sickern und zugleich den Verlust der ungeheuern streitigen
Länderstrecken nach sich ziehen, um die sich der gegenwärtige Streit in der
Hauptsache dreht. Ein gewöhnliches Volk würde bei dieser Sachlage eher ans
alles Andere als auf Krieg sinnen. Aber die Amerikaner sind kein gewöhnliches
Volk, und die Zeit ist ebenfalls keine gewöhnliche. Einer in Revolution be¬
griffenen Demokratie ist nichts unmöglich. Der Präsident ist der-Lage, in der
er sich befindet, nicht gewachsen. Zum Sachwalter in einer Landstadt gebildet,
ist er durch zufälliges Zusammentreffen von Wahlergebnissen an die Spitze einer
Nation gestellt worden. Seine Minister, seine Generale sind verschiedener Mei¬
nung. Die Politik der Regierung ist selbst in der Lebensfiage der Sklaverei,
im Zwiespalt mit sich selbst. Sogar sehr sanguinische Amerikaner geben zu,
daß in Washington kein Haupt ist.

Fragen wir uns, was in diesem Nebelgewirr sich etwa für unsre Erörte¬
rung entdecken läßt, so sehen wir noch immer mehr Elemente zu Befürchtungen
als zu Hoffnungen.- Wir hören, d^ß'-die Massen »i Neuyork und andern östlichen
Städten sich verständiger und weniger zuversichtlich zeigen. Aber diese Stimmung
kann >n einer Demokratie sehr bald- wieder umschlagen. Jedenfalls ist die
große Massiv vollkommen überzeugt, daß die Verhaftung der Herren Mason
und.Slidell in- der Ordnung-gewesen, sie würde dies sein, auch wenn die Sache
weniger unklar und zweifelhaft mare, und sie ist nur für den Augenblick
unsicher, ob sie die Macht besitzt, es mit England aufzunehmen. Durch
eine.Reihe glücklicher Unternehmungen, durch fortwährende Schmeicheleien ihrer
Volksredner verwöhnt, seit langen Jahren nicht besiegt, weil seit langen Jahren
nicht ernstlich angegriffen, glauben die Amerikaner überhaupt unbesiegbar zu
sem, Sie träumen von einer großen Flotte, die sie im Nu aus ihren Häfen
gegen den britischen Handel loslassen könnten, träumen von der Eroberung
Canadas. Mr wissen> daß solche. Einbildungen geringen Werth haben, und
die leitenden-Politiker der Union sind-sich dessen ebenfalls bewußt. Sie ar-


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[0091] Der Norden der Union ist mit dem Süden in einem Bürgerkrieg begriffen, der mit unnöthigen Großthun begonnen wurde, in dem der Norden bisher keinen großen Erfolg errungen, in dem er mehre schmachvolle Niederlagen er¬ litten hat. Man versprach sich und der Welt eine Unterwerfung der Rebellion so zu sagen im Handumdrehen, aber das Ergebniß des Versuchs ist ein völlig anderes gewesen, und bis jetzt hatte die Befürchtung, daß die Jnsurgenicu- armee Washington- einnehmen werde, bei Weitem mehr für sich als die Hoff¬ nung,- daß-das Bundesheer die Golfstaatcn in seine Gewalt bringen werde. Nur.die neueste Geschichte Neapels zeigte eine gleich klägliche Enttäuschung über den Werth des militärischen-Systems wie in der Union, und unter solchen Verhältnissen an einen Krieg mit einer großen europäischen Nation zu denken, scheint eine Thorheit ohne Gleichen. Derselbe würde die bleibende Unabhängig¬ keit des Südens sickern und zugleich den Verlust der ungeheuern streitigen Länderstrecken nach sich ziehen, um die sich der gegenwärtige Streit in der Hauptsache dreht. Ein gewöhnliches Volk würde bei dieser Sachlage eher ans alles Andere als auf Krieg sinnen. Aber die Amerikaner sind kein gewöhnliches Volk, und die Zeit ist ebenfalls keine gewöhnliche. Einer in Revolution be¬ griffenen Demokratie ist nichts unmöglich. Der Präsident ist der-Lage, in der er sich befindet, nicht gewachsen. Zum Sachwalter in einer Landstadt gebildet, ist er durch zufälliges Zusammentreffen von Wahlergebnissen an die Spitze einer Nation gestellt worden. Seine Minister, seine Generale sind verschiedener Mei¬ nung. Die Politik der Regierung ist selbst in der Lebensfiage der Sklaverei, im Zwiespalt mit sich selbst. Sogar sehr sanguinische Amerikaner geben zu, daß in Washington kein Haupt ist. Fragen wir uns, was in diesem Nebelgewirr sich etwa für unsre Erörte¬ rung entdecken läßt, so sehen wir noch immer mehr Elemente zu Befürchtungen als zu Hoffnungen.- Wir hören, d^ß'-die Massen »i Neuyork und andern östlichen Städten sich verständiger und weniger zuversichtlich zeigen. Aber diese Stimmung kann >n einer Demokratie sehr bald- wieder umschlagen. Jedenfalls ist die große Massiv vollkommen überzeugt, daß die Verhaftung der Herren Mason und.Slidell in- der Ordnung-gewesen, sie würde dies sein, auch wenn die Sache weniger unklar und zweifelhaft mare, und sie ist nur für den Augenblick unsicher, ob sie die Macht besitzt, es mit England aufzunehmen. Durch eine.Reihe glücklicher Unternehmungen, durch fortwährende Schmeicheleien ihrer Volksredner verwöhnt, seit langen Jahren nicht besiegt, weil seit langen Jahren nicht ernstlich angegriffen, glauben die Amerikaner überhaupt unbesiegbar zu sem, Sie träumen von einer großen Flotte, die sie im Nu aus ihren Häfen gegen den britischen Handel loslassen könnten, träumen von der Eroberung Canadas. Mr wissen> daß solche. Einbildungen geringen Werth haben, und die leitenden-Politiker der Union sind-sich dessen ebenfalls bewußt. Sie ar- 11*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_113241/91>, abgerufen am 28.05.2024.