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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. II. Band.

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und alte Gewöhnungen ihres Lebens stören. So lange die Grundstimmung einer
Partei diese Art von mürrischer Unzufriedenheit ist, leer an Inhalt, baar jeder an¬
dern, als einer durchaus egoistischen und kleinlichen Herrschsucht, ruinirt sie rettungs¬
los jede Regierung und Autorität, welcher sie sich zuneigt. Ja jedes einzelne Ta¬
lent, welches jetzt etwa dieser Partei angehört, muß, wenn die Zügel der Negierung in
seine Hand gelegt werden, versuchen, sich durch Concessionen zu erhalten, die es den
liberalen Gegnern macht, d, h, es wird sich thatsächlich durch die stärkere Kraft der
Gegner zu stützen suchen. Und es ist klar, daß dieses Mißverhältniß auch dem
jetzigen Ministerium zum Verderben gereicht, weil es ihm nur halbe Maßregeln ge¬
stattet und die aufrichtige Beistimmung jeder Partei entzieht.

Aber, was noch gefährlicher ist, als die Hilfe der Conservativen, dem gegen¬
wärtigen Ministerium fehlt zu sehr die letzte Grundlage der Dauer, die Achtung
des Volkes, der Respect seiner eigenen Beamten. In Preußen wenigstens ist uner¬
hört, was durch die Wahlerlassc der Minister verursacht worden ist. Laute Proteste
von loyalen Staatsdienern und großen staatlichen Korporationen, öffentliche Zurück¬
weisung der ersten Amtshandlung der Staatsminister, wiederholte Erklärungen in
der Presse, mit Namensunterschriften versehen. daß die höchste Regierung ungesetzlich
verfahre! Und diese Proteste von ganz Europa mit lautem Beifall und
tiefen Sympathien begrüßt! Wahrlich solche Symptome müssen das Ministe¬
rium selbst, ja auch die höchste Autorität des Staates zu einer ernsten Erwägung
veranlassen. Es wird unrathsam für die Majestät der Krone, ein Ministerium zu
conserviren, welches vom ersten Tage feiner Amtsführung so bittere Erfahrung
machen mußte. Der Versuch, durch den König selbst das Ministerium zu decken,
ist gescheitert an dem gesunden Urtheil des Volkes. ES war ein großer po¬
litischer Fehler, wer ihn auch begangen habe, es ist ein Glück, daß er in einem
so loyalen und treuen Volk, wie die Preußen sind, ohne dauernden Schaden für
das regierende Haus zurückgewiesen werden konnte; und es ist erfreulich zu sehen,
mit welchem Takt gerade die liberalen Blätter die Hoheit ihres Königs von dem
heißem Partcistrcit fernzuhalten suchen.

Schneller, als die Regierenden selbst hat das Volk begriffen, daß sein König
über den Parteien zu stehen, und mit unbefangenem Blick das jezcitige beste Recht
einer jeden von ihnen zu beurtheilen hat. In solch erhabener Stellung liegt die
Stärke und Kraft des Königthums. Aber es ist hohe Zeit, daß diese Erkenntniß
den Fürsten komme, wie sie den Völkern geworden ist. Denn es ist Gefahr, nicht
daß die Treue und Anhänglichkeit an die Personen sich verringere, wohl aber, daß
das Vertrauen zu dem hohen Amt vermindert werde.




und alte Gewöhnungen ihres Lebens stören. So lange die Grundstimmung einer
Partei diese Art von mürrischer Unzufriedenheit ist, leer an Inhalt, baar jeder an¬
dern, als einer durchaus egoistischen und kleinlichen Herrschsucht, ruinirt sie rettungs¬
los jede Regierung und Autorität, welcher sie sich zuneigt. Ja jedes einzelne Ta¬
lent, welches jetzt etwa dieser Partei angehört, muß, wenn die Zügel der Negierung in
seine Hand gelegt werden, versuchen, sich durch Concessionen zu erhalten, die es den
liberalen Gegnern macht, d, h, es wird sich thatsächlich durch die stärkere Kraft der
Gegner zu stützen suchen. Und es ist klar, daß dieses Mißverhältniß auch dem
jetzigen Ministerium zum Verderben gereicht, weil es ihm nur halbe Maßregeln ge¬
stattet und die aufrichtige Beistimmung jeder Partei entzieht.

Aber, was noch gefährlicher ist, als die Hilfe der Conservativen, dem gegen¬
wärtigen Ministerium fehlt zu sehr die letzte Grundlage der Dauer, die Achtung
des Volkes, der Respect seiner eigenen Beamten. In Preußen wenigstens ist uner¬
hört, was durch die Wahlerlassc der Minister verursacht worden ist. Laute Proteste
von loyalen Staatsdienern und großen staatlichen Korporationen, öffentliche Zurück¬
weisung der ersten Amtshandlung der Staatsminister, wiederholte Erklärungen in
der Presse, mit Namensunterschriften versehen. daß die höchste Regierung ungesetzlich
verfahre! Und diese Proteste von ganz Europa mit lautem Beifall und
tiefen Sympathien begrüßt! Wahrlich solche Symptome müssen das Ministe¬
rium selbst, ja auch die höchste Autorität des Staates zu einer ernsten Erwägung
veranlassen. Es wird unrathsam für die Majestät der Krone, ein Ministerium zu
conserviren, welches vom ersten Tage feiner Amtsführung so bittere Erfahrung
machen mußte. Der Versuch, durch den König selbst das Ministerium zu decken,
ist gescheitert an dem gesunden Urtheil des Volkes. ES war ein großer po¬
litischer Fehler, wer ihn auch begangen habe, es ist ein Glück, daß er in einem
so loyalen und treuen Volk, wie die Preußen sind, ohne dauernden Schaden für
das regierende Haus zurückgewiesen werden konnte; und es ist erfreulich zu sehen,
mit welchem Takt gerade die liberalen Blätter die Hoheit ihres Königs von dem
heißem Partcistrcit fernzuhalten suchen.

Schneller, als die Regierenden selbst hat das Volk begriffen, daß sein König
über den Parteien zu stehen, und mit unbefangenem Blick das jezcitige beste Recht
einer jeden von ihnen zu beurtheilen hat. In solch erhabener Stellung liegt die
Stärke und Kraft des Königthums. Aber es ist hohe Zeit, daß diese Erkenntniß
den Fürsten komme, wie sie den Völkern geworden ist. Denn es ist Gefahr, nicht
daß die Treue und Anhänglichkeit an die Personen sich verringere, wohl aber, daß
das Vertrauen zu dem hohen Amt vermindert werde.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_113779/204>, abgerufen am 20.05.2024.