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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. II. Band.

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Das Alter deö McnschciMschltchts.

Seit wann leben Menschen aus der Erde? Die beglaubigte Ueberlieferung
hat keine Antwort auf diese naheliegende Frage. Auch die Archäologie be¬
sitzt keinen Maßstab zur Bestimmung des Alters der Ueberbleibsel mensch¬
licher Thätigkeit aus vorgeschichtlicher Zeit. Wohl aber kann die Geologie
einigen Aufschluß über die Länge der Zeit geben, seit welcher Menschen die
Erde bewohnen. Wenn sie auch diesen Zeitraum nicht in Zahlen mit nur an¬
nähernder Sicherheit auszudrücken weiß, so vermag sie doch zu sagen, in wel¬
chem Verhältniß der Zeitpunkt des ersten nachweisbaren Vorhandenseins von
Menschen auf der Erdoberfläche zu anderen geologischen Daten steht. Diese
Seite des Gegenstands aber hat durch Entdeckungen der jüngsten Vergangenheit
eine völlig neue Gestalt gewonnen.

Noch vor einem Menschenalter beantwortete die Geologie, durch Cuvier
vertreten, jene Frage kurz abweisend. Es gebe keine fossilen Menschenknochen.
"In Schichten, welche wirkliche Fossilresle enthalten, unter den Paläolherien-
selbst unter den Rhinoceroten und Elephanten, hat man niemals Menschen,
krochen gefunden. . . . Die Niederlassung der Menschen ist in allen Ländern,
wo fossile Knochen von Landsäugethieren sich finden, zuverlässig nicht blos neuer
als die Umwälzungen, welche jene Knochen verschütteten, sondern selbst neuer als
diejenigen, welche knochenführende Schichten theilweise entblößten. Daraus geht
hervor, daß weder aus jenen Thierknvchen an und für sich, noch aus den mehr
oder minder mächtigen Gcsteinschichtc", welche sie bedecken, irgend ein Schluß
zu Gunsten des Alterthums des Menschengeschlechts in diesen verschiedenen Län¬
dern gezogen werden kann. ... Die nach der Tertiärzeit erfolgten lockeren
Ablagerungen aus Gerölle, Kies. Sand. Lehm, Thon, welche ohne Unterschied
alle älteren Schichten überlagern, nannte man D.iluvialgebilde. weil man früher
die Ueberfluthung. der sie ihr Dasein verdanken, mit der biblischen Sündfluth
identificirte und Diluvium nannte. Die Thatsache einer letzten allgemeinen
Fluth steht fest; den einmal gegebenen Namen hat man beivebalten, aber die
Deutung mußte eine andere werden. Denn die Sündfluth sollte das Menschen-


Grenzboten II. 1862. S6
Das Alter deö McnschciMschltchts.

Seit wann leben Menschen aus der Erde? Die beglaubigte Ueberlieferung
hat keine Antwort auf diese naheliegende Frage. Auch die Archäologie be¬
sitzt keinen Maßstab zur Bestimmung des Alters der Ueberbleibsel mensch¬
licher Thätigkeit aus vorgeschichtlicher Zeit. Wohl aber kann die Geologie
einigen Aufschluß über die Länge der Zeit geben, seit welcher Menschen die
Erde bewohnen. Wenn sie auch diesen Zeitraum nicht in Zahlen mit nur an¬
nähernder Sicherheit auszudrücken weiß, so vermag sie doch zu sagen, in wel¬
chem Verhältniß der Zeitpunkt des ersten nachweisbaren Vorhandenseins von
Menschen auf der Erdoberfläche zu anderen geologischen Daten steht. Diese
Seite des Gegenstands aber hat durch Entdeckungen der jüngsten Vergangenheit
eine völlig neue Gestalt gewonnen.

Noch vor einem Menschenalter beantwortete die Geologie, durch Cuvier
vertreten, jene Frage kurz abweisend. Es gebe keine fossilen Menschenknochen.
„In Schichten, welche wirkliche Fossilresle enthalten, unter den Paläolherien-
selbst unter den Rhinoceroten und Elephanten, hat man niemals Menschen,
krochen gefunden. . . . Die Niederlassung der Menschen ist in allen Ländern,
wo fossile Knochen von Landsäugethieren sich finden, zuverlässig nicht blos neuer
als die Umwälzungen, welche jene Knochen verschütteten, sondern selbst neuer als
diejenigen, welche knochenführende Schichten theilweise entblößten. Daraus geht
hervor, daß weder aus jenen Thierknvchen an und für sich, noch aus den mehr
oder minder mächtigen Gcsteinschichtc», welche sie bedecken, irgend ein Schluß
zu Gunsten des Alterthums des Menschengeschlechts in diesen verschiedenen Län¬
dern gezogen werden kann. ... Die nach der Tertiärzeit erfolgten lockeren
Ablagerungen aus Gerölle, Kies. Sand. Lehm, Thon, welche ohne Unterschied
alle älteren Schichten überlagern, nannte man D.iluvialgebilde. weil man früher
die Ueberfluthung. der sie ihr Dasein verdanken, mit der biblischen Sündfluth
identificirte und Diluvium nannte. Die Thatsache einer letzten allgemeinen
Fluth steht fest; den einmal gegebenen Namen hat man beivebalten, aber die
Deutung mußte eine andere werden. Denn die Sündfluth sollte das Menschen-


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[0449] Das Alter deö McnschciMschltchts. Seit wann leben Menschen aus der Erde? Die beglaubigte Ueberlieferung hat keine Antwort auf diese naheliegende Frage. Auch die Archäologie be¬ sitzt keinen Maßstab zur Bestimmung des Alters der Ueberbleibsel mensch¬ licher Thätigkeit aus vorgeschichtlicher Zeit. Wohl aber kann die Geologie einigen Aufschluß über die Länge der Zeit geben, seit welcher Menschen die Erde bewohnen. Wenn sie auch diesen Zeitraum nicht in Zahlen mit nur an¬ nähernder Sicherheit auszudrücken weiß, so vermag sie doch zu sagen, in wel¬ chem Verhältniß der Zeitpunkt des ersten nachweisbaren Vorhandenseins von Menschen auf der Erdoberfläche zu anderen geologischen Daten steht. Diese Seite des Gegenstands aber hat durch Entdeckungen der jüngsten Vergangenheit eine völlig neue Gestalt gewonnen. Noch vor einem Menschenalter beantwortete die Geologie, durch Cuvier vertreten, jene Frage kurz abweisend. Es gebe keine fossilen Menschenknochen. „In Schichten, welche wirkliche Fossilresle enthalten, unter den Paläolherien- selbst unter den Rhinoceroten und Elephanten, hat man niemals Menschen, krochen gefunden. . . . Die Niederlassung der Menschen ist in allen Ländern, wo fossile Knochen von Landsäugethieren sich finden, zuverlässig nicht blos neuer als die Umwälzungen, welche jene Knochen verschütteten, sondern selbst neuer als diejenigen, welche knochenführende Schichten theilweise entblößten. Daraus geht hervor, daß weder aus jenen Thierknvchen an und für sich, noch aus den mehr oder minder mächtigen Gcsteinschichtc», welche sie bedecken, irgend ein Schluß zu Gunsten des Alterthums des Menschengeschlechts in diesen verschiedenen Län¬ dern gezogen werden kann. ... Die nach der Tertiärzeit erfolgten lockeren Ablagerungen aus Gerölle, Kies. Sand. Lehm, Thon, welche ohne Unterschied alle älteren Schichten überlagern, nannte man D.iluvialgebilde. weil man früher die Ueberfluthung. der sie ihr Dasein verdanken, mit der biblischen Sündfluth identificirte und Diluvium nannte. Die Thatsache einer letzten allgemeinen Fluth steht fest; den einmal gegebenen Namen hat man beivebalten, aber die Deutung mußte eine andere werden. Denn die Sündfluth sollte das Menschen- Grenzboten II. 1862. S6

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_113779/449>, abgerufen am 18.05.2024.