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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. III. Band.

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unvertreten blieb. "Vo6 8g.of tlnz queer" war die einzige Musik, in der die
entzückte Menge ihren frohen Empfindungen über dos Wohlgelingen des großen
Werks Ausdruck gab.

Seitdem aber sind unzählige neue Gesangvereine nicht allein in London
selbst, sondern überall in ganz England ins Leben getreten. Große Musiffeste
haben stattgefunden und den Beweis geliefert, daß England so gut wie andere
Länder Europa's den Keim zu musikalischen Leben in sich trägt. Man hat an¬
gefangen, Musik und Gesang als einen nothwendigen Zweig der Erziehung
einzusehen, und die meisten großen Schulen haben geübte Sängerchörc. Die
jetzige Ausstellungscommission konnte diese Thatsache nicht übersehen und mußte
in einem Unternehmen, das die Entwickelung der Kunst und Industrie im letzt¬
verflossenen Jahrzehnt zu lebendiger Anschauung bringen sollte, auch diesem
Zweige der Kunst sein Recht lassen. Sie verband daher mit der Eröffnungs¬
feierlichkeit eine Entfaltung der musikalischen Kräfte Englands, wie sie vor zehn
Jahren eine reine Unmöglichkeit gewesen wäre. Daß der Erfolg nicht den Er¬
wartungen entsprach, die man gehegt und erregt hatte, muß lediglich den Kom¬
positionen zugeschrieben werden, die dort zur Aufführung kamen.

Wie der Leser sich vielleicht noch erinnert, erhielten Verdi, Ander, Sterndale-
Bennett und Meyerbeer, als die Vertreter italienischer, französischer, englischer
und deutscher Tonkunst den Auftrag, jeder eine Musik für die Eröffnung zu
schreiben und zwar Meyerbeer eine Ouvertüre, Ander einen Marsch und Verdi
und Sterndale-Vennett jeder eine Cantate. Die von Verdi componirte italie¬
nische Cantate kam nicht zur Aufführung, wie die Ausstellungscommission sagt,
weil sie im Widerspruch mit dem getroffnen Uebereinkommen ein langes Solo
enthielt, welches in einem so ungeheuren Raum wie der Jndustriepalast nicht
hätte gehört werden können, wie das Publicum meint, weil am Schlüsse der
Cantate, wo die Nationallieder Italiens, Frankreichs und Englands eingeführt
werden, die Marseillaise als die Nationalhymne gehört wird und das doch
gewissen Ohren auf der andern Seite des Kanals nicht gerade sehr angenehm
gewesen sein würde. Jetzt hört man übrigens diese Cantate in London, und
ich muß gestehn, daß die Nichtausführung derselben dem Glänze der Eröffnungs¬
feierlichkeiten eben keinen Abbruch gethan hat. Die Einführung der drei Natio¬
nalhymnen ist ungeschickt und unbehülflich gemacht, die drei Melodien, die im
Charakter so gut wie gar nichts mit einander gemein haben, werden durch-
einandergezerrt und bringen das unglückliche englische Publicum. daS seine
loyalen Gesinnungen für das Königshaus bei den Klängen des heimischen Na¬
tionalliedes durch Aufstehen an den Tag legt, in eine höchst lächerliche Bewe.
gnug. Sobald ein Motiv aus "sont 89.V6 tlrv Mizvn" hörbar ward, erhob sich
die ganze Menge, setzte sich aber entrüstet ebenso schnell wieder hin, als jenes
Plötzlich durch ein ,Möris kuk-mes <1s 1s. Mrie'' unterbrochen wurde. Die


unvertreten blieb. „Vo6 8g.of tlnz queer" war die einzige Musik, in der die
entzückte Menge ihren frohen Empfindungen über dos Wohlgelingen des großen
Werks Ausdruck gab.

Seitdem aber sind unzählige neue Gesangvereine nicht allein in London
selbst, sondern überall in ganz England ins Leben getreten. Große Musiffeste
haben stattgefunden und den Beweis geliefert, daß England so gut wie andere
Länder Europa's den Keim zu musikalischen Leben in sich trägt. Man hat an¬
gefangen, Musik und Gesang als einen nothwendigen Zweig der Erziehung
einzusehen, und die meisten großen Schulen haben geübte Sängerchörc. Die
jetzige Ausstellungscommission konnte diese Thatsache nicht übersehen und mußte
in einem Unternehmen, das die Entwickelung der Kunst und Industrie im letzt¬
verflossenen Jahrzehnt zu lebendiger Anschauung bringen sollte, auch diesem
Zweige der Kunst sein Recht lassen. Sie verband daher mit der Eröffnungs¬
feierlichkeit eine Entfaltung der musikalischen Kräfte Englands, wie sie vor zehn
Jahren eine reine Unmöglichkeit gewesen wäre. Daß der Erfolg nicht den Er¬
wartungen entsprach, die man gehegt und erregt hatte, muß lediglich den Kom¬
positionen zugeschrieben werden, die dort zur Aufführung kamen.

Wie der Leser sich vielleicht noch erinnert, erhielten Verdi, Ander, Sterndale-
Bennett und Meyerbeer, als die Vertreter italienischer, französischer, englischer
und deutscher Tonkunst den Auftrag, jeder eine Musik für die Eröffnung zu
schreiben und zwar Meyerbeer eine Ouvertüre, Ander einen Marsch und Verdi
und Sterndale-Vennett jeder eine Cantate. Die von Verdi componirte italie¬
nische Cantate kam nicht zur Aufführung, wie die Ausstellungscommission sagt,
weil sie im Widerspruch mit dem getroffnen Uebereinkommen ein langes Solo
enthielt, welches in einem so ungeheuren Raum wie der Jndustriepalast nicht
hätte gehört werden können, wie das Publicum meint, weil am Schlüsse der
Cantate, wo die Nationallieder Italiens, Frankreichs und Englands eingeführt
werden, die Marseillaise als die Nationalhymne gehört wird und das doch
gewissen Ohren auf der andern Seite des Kanals nicht gerade sehr angenehm
gewesen sein würde. Jetzt hört man übrigens diese Cantate in London, und
ich muß gestehn, daß die Nichtausführung derselben dem Glänze der Eröffnungs¬
feierlichkeiten eben keinen Abbruch gethan hat. Die Einführung der drei Natio¬
nalhymnen ist ungeschickt und unbehülflich gemacht, die drei Melodien, die im
Charakter so gut wie gar nichts mit einander gemein haben, werden durch-
einandergezerrt und bringen das unglückliche englische Publicum. daS seine
loyalen Gesinnungen für das Königshaus bei den Klängen des heimischen Na¬
tionalliedes durch Aufstehen an den Tag legt, in eine höchst lächerliche Bewe.
gnug. Sobald ein Motiv aus „sont 89.V6 tlrv Mizvn" hörbar ward, erhob sich
die ganze Menge, setzte sich aber entrüstet ebenso schnell wieder hin, als jenes
Plötzlich durch ein ,Möris kuk-mes <1s 1s. Mrie'' unterbrochen wurde. Die


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114313/191>, abgerufen am 16.06.2024.