Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. IV. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

in den Tag hinein", wie Goethe, in Auerbachs Keller durch Mephistopheles
vernichtend, aber leider noch nicht abschreckend genug persistirt hat. Das
einzige allen Studenten gemeinsame Gefühl, wodurch dieser Stimmung ein
höherer Aufschwung zur Begeisterung gegeben wird, ist das der ihnen vor
allen Menschen eigenen Freiheit/ Mit offenen Augen sehen sie nicht, daß
Freiheit an und für sich nichts ist, wofür man sich begeistern kann, weil Freiheit
wie jedes abstracte Ideal eine bloße Negation ist, die Negation der Hindernisse
irgend eines kraftvollen Strebens, daß also dies erst da sein müßte, ehe das
Gefühl der Freiheit durch Wegräumung der Hindernisse desselben wahrhaft
lebendig werden kann. Statt dessen müssen dann die kleinlichsten Exemplifica-
tionen des äußerlichen Ungebundenscins aushelfen. Es kann keine herzergrei¬
fendere Darstellung der Enttäuschung geben, die dem, der nicht in der Leerheit
erstorben ist, aus der endlichen Einsicht in diese Illusion hervorgeht, als Karl
v. Moor, der von dem hohen Lichtfunken Prometheus, von Adlerflug, den das
Gesetz zum Schneckengang verdorben, vom Geiste Hermanns und einem Heer
Kerle, wie er ist, schwärmt und dann plötzlich von seinem elenden Kumpane
mit der Nase darauf gestoßen werden muß, wie er die für sein Alter nicht
geringe Freiheit in Leipzig bis jetzt in nichts als Albernheiten hat manifestiren
können. Und doch fühlen sich alljährlich andere Tausende in dieser Freiheit
groß, werden darum beneidet und können jubelnd singen:


"Die Philister sind uns gewogen meist.
Sie ahnen im Burschen, was Freiheit heißt."

Ja eine Ahnung von Freiheit liegt allerdings darin, und so lange das deutsche
Volk nicht mehr von Freiheit' kannte, fand es Geschmack daran. Wenn es
aber, wie zu hoffen steht, wahre Freiheit männlicher Thaten mehr und mehr
kennen lernt, wird es den Hautgout an der dunkeln Ahnung verlieren, die
ihm das Burschenleben bietet, wenn seine jugendliche Schwachheit mit der reinen
Negation als Selbstzweck ein heiteres Spiel vor der Welt aufführt.

Es ist zur Genüge bekannt, wie zu der Zeit, als jener stolze Ausdruck
des Vorrangs, den die größere Freiheit gibt, entstand, die deutsche Jugend
einen Anlauf nahm, um der staunenden Welt für ihr Vertrauen auch etwas
mehr zu leisten. dem nach den Leiden der Fremdherrschaft und der Kriege
ermüdeten Volke mit der jugendlicheren Frische nationaler Begeisterung voran¬
zugehen. Es ist ebenfalls bekannt, wie dies gewaltsam verhindert wurde. Die
Reaction, welche jene Zeit der Ermüdung nach großen Anstrengungen benutzte,
um den Trieb der Nation nach Freiheit und Einheit zu dämpfen, mußte, wenn
sie nicht wissentlich ein Werk nur für eine einzige Generation gethan haben
wollte, die Pflanzschule des Triebes nach Freiheit und nationaler Einheit aus¬
rotten. Metternich wußte es so gut wie wir, daß die deutsche Burschenschaft den
deutschen Bund nicht sprengen würde, aber er wußte auch, daß ein Geist des


in den Tag hinein", wie Goethe, in Auerbachs Keller durch Mephistopheles
vernichtend, aber leider noch nicht abschreckend genug persistirt hat. Das
einzige allen Studenten gemeinsame Gefühl, wodurch dieser Stimmung ein
höherer Aufschwung zur Begeisterung gegeben wird, ist das der ihnen vor
allen Menschen eigenen Freiheit/ Mit offenen Augen sehen sie nicht, daß
Freiheit an und für sich nichts ist, wofür man sich begeistern kann, weil Freiheit
wie jedes abstracte Ideal eine bloße Negation ist, die Negation der Hindernisse
irgend eines kraftvollen Strebens, daß also dies erst da sein müßte, ehe das
Gefühl der Freiheit durch Wegräumung der Hindernisse desselben wahrhaft
lebendig werden kann. Statt dessen müssen dann die kleinlichsten Exemplifica-
tionen des äußerlichen Ungebundenscins aushelfen. Es kann keine herzergrei¬
fendere Darstellung der Enttäuschung geben, die dem, der nicht in der Leerheit
erstorben ist, aus der endlichen Einsicht in diese Illusion hervorgeht, als Karl
v. Moor, der von dem hohen Lichtfunken Prometheus, von Adlerflug, den das
Gesetz zum Schneckengang verdorben, vom Geiste Hermanns und einem Heer
Kerle, wie er ist, schwärmt und dann plötzlich von seinem elenden Kumpane
mit der Nase darauf gestoßen werden muß, wie er die für sein Alter nicht
geringe Freiheit in Leipzig bis jetzt in nichts als Albernheiten hat manifestiren
können. Und doch fühlen sich alljährlich andere Tausende in dieser Freiheit
groß, werden darum beneidet und können jubelnd singen:


„Die Philister sind uns gewogen meist.
Sie ahnen im Burschen, was Freiheit heißt."

Ja eine Ahnung von Freiheit liegt allerdings darin, und so lange das deutsche
Volk nicht mehr von Freiheit' kannte, fand es Geschmack daran. Wenn es
aber, wie zu hoffen steht, wahre Freiheit männlicher Thaten mehr und mehr
kennen lernt, wird es den Hautgout an der dunkeln Ahnung verlieren, die
ihm das Burschenleben bietet, wenn seine jugendliche Schwachheit mit der reinen
Negation als Selbstzweck ein heiteres Spiel vor der Welt aufführt.

Es ist zur Genüge bekannt, wie zu der Zeit, als jener stolze Ausdruck
des Vorrangs, den die größere Freiheit gibt, entstand, die deutsche Jugend
einen Anlauf nahm, um der staunenden Welt für ihr Vertrauen auch etwas
mehr zu leisten. dem nach den Leiden der Fremdherrschaft und der Kriege
ermüdeten Volke mit der jugendlicheren Frische nationaler Begeisterung voran¬
zugehen. Es ist ebenfalls bekannt, wie dies gewaltsam verhindert wurde. Die
Reaction, welche jene Zeit der Ermüdung nach großen Anstrengungen benutzte,
um den Trieb der Nation nach Freiheit und Einheit zu dämpfen, mußte, wenn
sie nicht wissentlich ein Werk nur für eine einzige Generation gethan haben
wollte, die Pflanzschule des Triebes nach Freiheit und nationaler Einheit aus¬
rotten. Metternich wußte es so gut wie wir, daß die deutsche Burschenschaft den
deutschen Bund nicht sprengen würde, aber er wußte auch, daß ein Geist des


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0118" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/114974"/>
            <p xml:id="ID_380" prev="#ID_379" next="#ID_381"> in den Tag hinein", wie Goethe, in Auerbachs Keller durch Mephistopheles<lb/>
vernichtend, aber leider noch nicht abschreckend genug persistirt hat. Das<lb/>
einzige allen Studenten gemeinsame Gefühl, wodurch dieser Stimmung ein<lb/>
höherer Aufschwung zur Begeisterung gegeben wird, ist das der ihnen vor<lb/>
allen Menschen eigenen Freiheit/ Mit offenen Augen sehen sie nicht, daß<lb/>
Freiheit an und für sich nichts ist, wofür man sich begeistern kann, weil Freiheit<lb/>
wie jedes abstracte Ideal eine bloße Negation ist, die Negation der Hindernisse<lb/>
irgend eines kraftvollen Strebens, daß also dies erst da sein müßte, ehe das<lb/>
Gefühl der Freiheit durch Wegräumung der Hindernisse desselben wahrhaft<lb/>
lebendig werden kann. Statt dessen müssen dann die kleinlichsten Exemplifica-<lb/>
tionen des äußerlichen Ungebundenscins aushelfen. Es kann keine herzergrei¬<lb/>
fendere Darstellung der Enttäuschung geben, die dem, der nicht in der Leerheit<lb/>
erstorben ist, aus der endlichen Einsicht in diese Illusion hervorgeht, als Karl<lb/>
v. Moor, der von dem hohen Lichtfunken Prometheus, von Adlerflug, den das<lb/>
Gesetz zum Schneckengang verdorben, vom Geiste Hermanns und einem Heer<lb/>
Kerle, wie er ist, schwärmt und dann plötzlich von seinem elenden Kumpane<lb/>
mit der Nase darauf gestoßen werden muß, wie er die für sein Alter nicht<lb/>
geringe Freiheit in Leipzig bis jetzt in nichts als Albernheiten hat manifestiren<lb/>
können. Und doch fühlen sich alljährlich andere Tausende in dieser Freiheit<lb/>
groß, werden darum beneidet und können jubelnd singen:</p><lb/>
            <quote> &#x201E;Die Philister sind uns gewogen meist.<lb/>
Sie ahnen im Burschen, was Freiheit heißt."</quote><lb/>
            <p xml:id="ID_381" prev="#ID_380"> Ja eine Ahnung von Freiheit liegt allerdings darin, und so lange das deutsche<lb/>
Volk nicht mehr von Freiheit' kannte, fand es Geschmack daran. Wenn es<lb/>
aber, wie zu hoffen steht, wahre Freiheit männlicher Thaten mehr und mehr<lb/>
kennen lernt, wird es den Hautgout an der dunkeln Ahnung verlieren, die<lb/>
ihm das Burschenleben bietet, wenn seine jugendliche Schwachheit mit der reinen<lb/>
Negation als Selbstzweck ein heiteres Spiel vor der Welt aufführt.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_382" next="#ID_383"> Es ist zur Genüge bekannt, wie zu der Zeit, als jener stolze Ausdruck<lb/>
des Vorrangs, den die größere Freiheit gibt, entstand, die deutsche Jugend<lb/>
einen Anlauf nahm, um der staunenden Welt für ihr Vertrauen auch etwas<lb/>
mehr zu leisten. dem nach den Leiden der Fremdherrschaft und der Kriege<lb/>
ermüdeten Volke mit der jugendlicheren Frische nationaler Begeisterung voran¬<lb/>
zugehen. Es ist ebenfalls bekannt, wie dies gewaltsam verhindert wurde. Die<lb/>
Reaction, welche jene Zeit der Ermüdung nach großen Anstrengungen benutzte,<lb/>
um den Trieb der Nation nach Freiheit und Einheit zu dämpfen, mußte, wenn<lb/>
sie nicht wissentlich ein Werk nur für eine einzige Generation gethan haben<lb/>
wollte, die Pflanzschule des Triebes nach Freiheit und nationaler Einheit aus¬<lb/>
rotten. Metternich wußte es so gut wie wir, daß die deutsche Burschenschaft den<lb/>
deutschen Bund nicht sprengen würde, aber er wußte auch, daß ein Geist des</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0118] in den Tag hinein", wie Goethe, in Auerbachs Keller durch Mephistopheles vernichtend, aber leider noch nicht abschreckend genug persistirt hat. Das einzige allen Studenten gemeinsame Gefühl, wodurch dieser Stimmung ein höherer Aufschwung zur Begeisterung gegeben wird, ist das der ihnen vor allen Menschen eigenen Freiheit/ Mit offenen Augen sehen sie nicht, daß Freiheit an und für sich nichts ist, wofür man sich begeistern kann, weil Freiheit wie jedes abstracte Ideal eine bloße Negation ist, die Negation der Hindernisse irgend eines kraftvollen Strebens, daß also dies erst da sein müßte, ehe das Gefühl der Freiheit durch Wegräumung der Hindernisse desselben wahrhaft lebendig werden kann. Statt dessen müssen dann die kleinlichsten Exemplifica- tionen des äußerlichen Ungebundenscins aushelfen. Es kann keine herzergrei¬ fendere Darstellung der Enttäuschung geben, die dem, der nicht in der Leerheit erstorben ist, aus der endlichen Einsicht in diese Illusion hervorgeht, als Karl v. Moor, der von dem hohen Lichtfunken Prometheus, von Adlerflug, den das Gesetz zum Schneckengang verdorben, vom Geiste Hermanns und einem Heer Kerle, wie er ist, schwärmt und dann plötzlich von seinem elenden Kumpane mit der Nase darauf gestoßen werden muß, wie er die für sein Alter nicht geringe Freiheit in Leipzig bis jetzt in nichts als Albernheiten hat manifestiren können. Und doch fühlen sich alljährlich andere Tausende in dieser Freiheit groß, werden darum beneidet und können jubelnd singen: „Die Philister sind uns gewogen meist. Sie ahnen im Burschen, was Freiheit heißt." Ja eine Ahnung von Freiheit liegt allerdings darin, und so lange das deutsche Volk nicht mehr von Freiheit' kannte, fand es Geschmack daran. Wenn es aber, wie zu hoffen steht, wahre Freiheit männlicher Thaten mehr und mehr kennen lernt, wird es den Hautgout an der dunkeln Ahnung verlieren, die ihm das Burschenleben bietet, wenn seine jugendliche Schwachheit mit der reinen Negation als Selbstzweck ein heiteres Spiel vor der Welt aufführt. Es ist zur Genüge bekannt, wie zu der Zeit, als jener stolze Ausdruck des Vorrangs, den die größere Freiheit gibt, entstand, die deutsche Jugend einen Anlauf nahm, um der staunenden Welt für ihr Vertrauen auch etwas mehr zu leisten. dem nach den Leiden der Fremdherrschaft und der Kriege ermüdeten Volke mit der jugendlicheren Frische nationaler Begeisterung voran¬ zugehen. Es ist ebenfalls bekannt, wie dies gewaltsam verhindert wurde. Die Reaction, welche jene Zeit der Ermüdung nach großen Anstrengungen benutzte, um den Trieb der Nation nach Freiheit und Einheit zu dämpfen, mußte, wenn sie nicht wissentlich ein Werk nur für eine einzige Generation gethan haben wollte, die Pflanzschule des Triebes nach Freiheit und nationaler Einheit aus¬ rotten. Metternich wußte es so gut wie wir, daß die deutsche Burschenschaft den deutschen Bund nicht sprengen würde, aber er wußte auch, daß ein Geist des

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114855
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114855/118
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114855/118>, abgerufen am 15.05.2024.