Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. IV. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

vorbei, in denen deshalb die Corps von oben herunter beschützt und begünstigt
wurden. Göttingen ist noch immer ein Muster für Alle, die an altakademischen
Ueberlieferungen hängen, ein Hauptsitz jedes Zopfes und so auch eines domini-
renden Corpswesens; Hannover zeichnet sich noch immer als Musterstaat der
Reaction durch den bei allen Willküracten unterwürfigsten Beamtenstand aus.
Zwar gibt es auch ganz wohlmeinende Leute, welche eine heilsame Nachwir¬
kung des Corpslebens in der späteren Haltung der aus ihm hervorgegangenen
Männer finden wollen; es ist die Leichtigkeit und Sicherheit des äußern Auf¬
tretens, die sie von dem Kriegszustande her mitbringen, in dem sie sich in
ihren Universitätsjahren der ganzen Welt gegenüber befunden haben. Doch ist
auch dieser Vorzug ein sehr zweideutiger. Sie haben die Einbildung und den
Schein der fertigen Persönlichkeit zu einer Zeit sich angeeignet, in der dieselbe
unmöglich schon in Wahrheit ausgebildet sein konnte, und so kann es leicht für
sie auch später' bei der Befriedigung bleiben, die ihr Selbstbewußtsein in diesem
Schein gefunden hat. In Willkür ist die Festigkeit des Auftretens angelernt
und wird so weiter geübt, brutal nach unten, geschmeidig nach oben. Daß
viele der Besseren diesen Zustand überwinden, soll natürlich nicht verkannt
werden. Ueberhaupt ist doch selbst in die festgeschlossensten Kreise des Cultus
alter Vorurtheile allmälig der Einfluß einer neuen Strömung im Volke durch¬
gedrungen, und "die Cultur, die alle Welt beleckt", hat sich auch auf die Corps
erstreckt; auch sie sind nicht mehr ganz frei von der "schlechterdings unzulässi¬
gen Voraussetzung" einer Gemeinschaft zwischen allen deutschen Universitäten,
deretwegen die allgemeine Burschenschaft ausgerottet werden mußte; sie haben
wie Land- und Forstwirthe, Naturforscher und Handwerker ihre regelmäßige
Versammlung, den hohen Bundestag in Kösen, wo darüber berathen und be¬
schlossen wird, wie man die unruhige große Menge der Studenten, welche nicht
mehr von den Seniorenconventen terrorisirt sein wollen, zum schuldigen Respect
vor dem alten Comment zurückzubringen hoffen könne.

Sehen wir uns nun nach Ansätzen einer Richtung auf höhere Interessen
in anderen Genossenschaften um, so stoßen wir unwillkürlich zuerst auf die
äußerlich den auffallendsten Gegensatz zu den Corps bildende, im Grunde aber
demselben nicht wenig verwandte, daher auch von dem Instinkte der Reaction
nicht minder gepflegte kirchliche Richtung des Wingolf. Gemeinsam mit den
Corps ist ihr die frühreife Abschließung der Persönlichkeiten zu einem fest aus¬
gesprochenen Charakter, nur hat sie sich von der gewaltsamen äußern Geltend-
machung eines hohlen Ehrbegriffs auf die ebenso gedankenlose Hingabe an
eine fest gegebene kirchlich-politische Parteirichtung geworfen und bezeichnet da¬
durch zwar unzweifelhaft eine höhere, aber auch eine noch schlimmere Stufe
derselben Abtödtung des naturgemäß langsamen Entwickelungsganges der
jugendlichen Persönlichkeit, weil sie mit directer Beziehung aus das spätere


Grenzboten VI. 1862. 15

vorbei, in denen deshalb die Corps von oben herunter beschützt und begünstigt
wurden. Göttingen ist noch immer ein Muster für Alle, die an altakademischen
Ueberlieferungen hängen, ein Hauptsitz jedes Zopfes und so auch eines domini-
renden Corpswesens; Hannover zeichnet sich noch immer als Musterstaat der
Reaction durch den bei allen Willküracten unterwürfigsten Beamtenstand aus.
Zwar gibt es auch ganz wohlmeinende Leute, welche eine heilsame Nachwir¬
kung des Corpslebens in der späteren Haltung der aus ihm hervorgegangenen
Männer finden wollen; es ist die Leichtigkeit und Sicherheit des äußern Auf¬
tretens, die sie von dem Kriegszustande her mitbringen, in dem sie sich in
ihren Universitätsjahren der ganzen Welt gegenüber befunden haben. Doch ist
auch dieser Vorzug ein sehr zweideutiger. Sie haben die Einbildung und den
Schein der fertigen Persönlichkeit zu einer Zeit sich angeeignet, in der dieselbe
unmöglich schon in Wahrheit ausgebildet sein konnte, und so kann es leicht für
sie auch später' bei der Befriedigung bleiben, die ihr Selbstbewußtsein in diesem
Schein gefunden hat. In Willkür ist die Festigkeit des Auftretens angelernt
und wird so weiter geübt, brutal nach unten, geschmeidig nach oben. Daß
viele der Besseren diesen Zustand überwinden, soll natürlich nicht verkannt
werden. Ueberhaupt ist doch selbst in die festgeschlossensten Kreise des Cultus
alter Vorurtheile allmälig der Einfluß einer neuen Strömung im Volke durch¬
gedrungen, und „die Cultur, die alle Welt beleckt", hat sich auch auf die Corps
erstreckt; auch sie sind nicht mehr ganz frei von der „schlechterdings unzulässi¬
gen Voraussetzung" einer Gemeinschaft zwischen allen deutschen Universitäten,
deretwegen die allgemeine Burschenschaft ausgerottet werden mußte; sie haben
wie Land- und Forstwirthe, Naturforscher und Handwerker ihre regelmäßige
Versammlung, den hohen Bundestag in Kösen, wo darüber berathen und be¬
schlossen wird, wie man die unruhige große Menge der Studenten, welche nicht
mehr von den Seniorenconventen terrorisirt sein wollen, zum schuldigen Respect
vor dem alten Comment zurückzubringen hoffen könne.

Sehen wir uns nun nach Ansätzen einer Richtung auf höhere Interessen
in anderen Genossenschaften um, so stoßen wir unwillkürlich zuerst auf die
äußerlich den auffallendsten Gegensatz zu den Corps bildende, im Grunde aber
demselben nicht wenig verwandte, daher auch von dem Instinkte der Reaction
nicht minder gepflegte kirchliche Richtung des Wingolf. Gemeinsam mit den
Corps ist ihr die frühreife Abschließung der Persönlichkeiten zu einem fest aus¬
gesprochenen Charakter, nur hat sie sich von der gewaltsamen äußern Geltend-
machung eines hohlen Ehrbegriffs auf die ebenso gedankenlose Hingabe an
eine fest gegebene kirchlich-politische Parteirichtung geworfen und bezeichnet da¬
durch zwar unzweifelhaft eine höhere, aber auch eine noch schlimmere Stufe
derselben Abtödtung des naturgemäß langsamen Entwickelungsganges der
jugendlichen Persönlichkeit, weil sie mit directer Beziehung aus das spätere


Grenzboten VI. 1862. 15
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0121" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/114977"/>
            <p xml:id="ID_386" prev="#ID_385"> vorbei, in denen deshalb die Corps von oben herunter beschützt und begünstigt<lb/>
wurden.  Göttingen ist noch immer ein Muster für Alle, die an altakademischen<lb/>
Ueberlieferungen hängen, ein Hauptsitz jedes Zopfes und so auch eines domini-<lb/>
renden Corpswesens; Hannover zeichnet sich noch immer als Musterstaat der<lb/>
Reaction durch den bei allen Willküracten unterwürfigsten Beamtenstand aus.<lb/>
Zwar gibt es auch ganz wohlmeinende Leute, welche eine heilsame Nachwir¬<lb/>
kung des Corpslebens in der späteren Haltung der aus ihm hervorgegangenen<lb/>
Männer finden wollen; es ist die Leichtigkeit und Sicherheit des äußern Auf¬<lb/>
tretens, die sie von dem Kriegszustande her mitbringen, in dem sie sich in<lb/>
ihren Universitätsjahren der ganzen Welt gegenüber befunden haben. Doch ist<lb/>
auch dieser Vorzug ein sehr zweideutiger.  Sie haben die Einbildung und den<lb/>
Schein der fertigen Persönlichkeit zu einer Zeit sich angeeignet, in der dieselbe<lb/>
unmöglich schon in Wahrheit ausgebildet sein konnte, und so kann es leicht für<lb/>
sie auch später' bei der Befriedigung bleiben, die ihr Selbstbewußtsein in diesem<lb/>
Schein gefunden hat. In Willkür ist die Festigkeit des Auftretens angelernt<lb/>
und wird so weiter geübt, brutal nach unten, geschmeidig nach oben. Daß<lb/>
viele der Besseren diesen Zustand überwinden, soll natürlich nicht verkannt<lb/>
werden. Ueberhaupt ist doch selbst in die festgeschlossensten Kreise des Cultus<lb/>
alter Vorurtheile allmälig der Einfluß einer neuen Strömung im Volke durch¬<lb/>
gedrungen, und &#x201E;die Cultur, die alle Welt beleckt", hat sich auch auf die Corps<lb/>
erstreckt; auch sie sind nicht mehr ganz frei von der &#x201E;schlechterdings unzulässi¬<lb/>
gen Voraussetzung" einer Gemeinschaft zwischen allen deutschen Universitäten,<lb/>
deretwegen die allgemeine Burschenschaft ausgerottet werden mußte; sie haben<lb/>
wie Land- und Forstwirthe, Naturforscher und Handwerker ihre regelmäßige<lb/>
Versammlung, den hohen Bundestag in Kösen, wo darüber berathen und be¬<lb/>
schlossen wird, wie man die unruhige große Menge der Studenten, welche nicht<lb/>
mehr von den Seniorenconventen terrorisirt sein wollen, zum schuldigen Respect<lb/>
vor dem alten Comment zurückzubringen hoffen könne.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_387" next="#ID_388"> Sehen wir uns nun nach Ansätzen einer Richtung auf höhere Interessen<lb/>
in anderen Genossenschaften um, so stoßen wir unwillkürlich zuerst auf die<lb/>
äußerlich den auffallendsten Gegensatz zu den Corps bildende, im Grunde aber<lb/>
demselben nicht wenig verwandte, daher auch von dem Instinkte der Reaction<lb/>
nicht minder gepflegte kirchliche Richtung des Wingolf. Gemeinsam mit den<lb/>
Corps ist ihr die frühreife Abschließung der Persönlichkeiten zu einem fest aus¬<lb/>
gesprochenen Charakter, nur hat sie sich von der gewaltsamen äußern Geltend-<lb/>
machung eines hohlen Ehrbegriffs auf die ebenso gedankenlose Hingabe an<lb/>
eine fest gegebene kirchlich-politische Parteirichtung geworfen und bezeichnet da¬<lb/>
durch zwar unzweifelhaft eine höhere, aber auch eine noch schlimmere Stufe<lb/>
derselben Abtödtung des naturgemäß langsamen Entwickelungsganges der<lb/>
jugendlichen Persönlichkeit, weil sie mit directer Beziehung aus das spätere</p><lb/>
            <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten VI. 1862. 15</fw><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0121] vorbei, in denen deshalb die Corps von oben herunter beschützt und begünstigt wurden. Göttingen ist noch immer ein Muster für Alle, die an altakademischen Ueberlieferungen hängen, ein Hauptsitz jedes Zopfes und so auch eines domini- renden Corpswesens; Hannover zeichnet sich noch immer als Musterstaat der Reaction durch den bei allen Willküracten unterwürfigsten Beamtenstand aus. Zwar gibt es auch ganz wohlmeinende Leute, welche eine heilsame Nachwir¬ kung des Corpslebens in der späteren Haltung der aus ihm hervorgegangenen Männer finden wollen; es ist die Leichtigkeit und Sicherheit des äußern Auf¬ tretens, die sie von dem Kriegszustande her mitbringen, in dem sie sich in ihren Universitätsjahren der ganzen Welt gegenüber befunden haben. Doch ist auch dieser Vorzug ein sehr zweideutiger. Sie haben die Einbildung und den Schein der fertigen Persönlichkeit zu einer Zeit sich angeeignet, in der dieselbe unmöglich schon in Wahrheit ausgebildet sein konnte, und so kann es leicht für sie auch später' bei der Befriedigung bleiben, die ihr Selbstbewußtsein in diesem Schein gefunden hat. In Willkür ist die Festigkeit des Auftretens angelernt und wird so weiter geübt, brutal nach unten, geschmeidig nach oben. Daß viele der Besseren diesen Zustand überwinden, soll natürlich nicht verkannt werden. Ueberhaupt ist doch selbst in die festgeschlossensten Kreise des Cultus alter Vorurtheile allmälig der Einfluß einer neuen Strömung im Volke durch¬ gedrungen, und „die Cultur, die alle Welt beleckt", hat sich auch auf die Corps erstreckt; auch sie sind nicht mehr ganz frei von der „schlechterdings unzulässi¬ gen Voraussetzung" einer Gemeinschaft zwischen allen deutschen Universitäten, deretwegen die allgemeine Burschenschaft ausgerottet werden mußte; sie haben wie Land- und Forstwirthe, Naturforscher und Handwerker ihre regelmäßige Versammlung, den hohen Bundestag in Kösen, wo darüber berathen und be¬ schlossen wird, wie man die unruhige große Menge der Studenten, welche nicht mehr von den Seniorenconventen terrorisirt sein wollen, zum schuldigen Respect vor dem alten Comment zurückzubringen hoffen könne. Sehen wir uns nun nach Ansätzen einer Richtung auf höhere Interessen in anderen Genossenschaften um, so stoßen wir unwillkürlich zuerst auf die äußerlich den auffallendsten Gegensatz zu den Corps bildende, im Grunde aber demselben nicht wenig verwandte, daher auch von dem Instinkte der Reaction nicht minder gepflegte kirchliche Richtung des Wingolf. Gemeinsam mit den Corps ist ihr die frühreife Abschließung der Persönlichkeiten zu einem fest aus¬ gesprochenen Charakter, nur hat sie sich von der gewaltsamen äußern Geltend- machung eines hohlen Ehrbegriffs auf die ebenso gedankenlose Hingabe an eine fest gegebene kirchlich-politische Parteirichtung geworfen und bezeichnet da¬ durch zwar unzweifelhaft eine höhere, aber auch eine noch schlimmere Stufe derselben Abtödtung des naturgemäß langsamen Entwickelungsganges der jugendlichen Persönlichkeit, weil sie mit directer Beziehung aus das spätere Grenzboten VI. 1862. 15

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114855
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114855/121
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114855/121>, abgerufen am 08.06.2024.