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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. IV. Band.

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Werdende der Jugend repräsentiren und deshalb oft äußerlich noch einen schwan¬
kenden Charakter zeigen können, verdienen gegenwärtig die Begünstigung aller
derer, welche für geistig frischere Entwickelung der kommenden Generation ein
Herz haben. Vielleicht daß in der Folge die formloseren Vereinigungen vieler
Studenten ohne äußere Eorporationsdemonstrationen, die eben jetzt auf ver-,
schiedenen Universitäten aufkommen, eine größere Zukunft haben und wieder
zu der freieren Vereinigung der ganzen studirenden Jugend zurückzuführen be¬
rufen sind, welche die alte Burschenschaft erstrebte. Denn daran kranken bis
jetzt die besseren Verbindungen nicht minder als ihre Gegner, daß sie bei der
meist geringen Zahl ihrer Mitglieder zur beständigen Erhaltung eines geselligen
Gemeinlebens unverhältnißniäßige Ansprüche an die Zeit und Geldmittel der
Einzelnen machen müssen. Daran scheitert auch bei dem besten Willen oft die
vielseitigere Ausbreitung wissenschaftlicher Beschäftigung über die unvermeid¬
lichen Fach- oder Examenstudien hinaus, die von so vielen Seiten beklagt und
oft mit so unsinnig schwächlichen Mitteln zu retten gesucht wird. Doch muß
man es auch anerkennen und aussprechen, daß in dieser Beziehung Verhältniß-
mäßig und durchschnittlich die Mitglieder burschenschaftlicher Verbindungen vor
der allgemeinen Leerheit sich auszeichnen.

Fragt man nun, ob überhaupt und wie dann etwa in diesen Verhält¬
nissen durch äußere Einwirkung eine Besserung herbeigeführt oder begünstigt
werden könne, so muß man leider zuerst sich eingestehen, daß eine directe Be¬
einflussung der Studenten in Sachen ihres Gemeinlebens gegenwärtig durch¬
aus keinen günstigen und fruchtbaren Eindruck machen könnte. Leider, sage
ich. Denn es ist dies nur eins der vielen Symptome davon, daß wir seit
Menschengedenken keine populären Regierungen in Deutschland gehabt haben.
In einem gesunden Staatsorganismus würde sich jedes Glied wohl fühlen,
wenn es von den leitenden Organen in seinen speciellen Bemühungen an¬
regend unterstützt würde. Doch ein solcher Zustand läßt sich nun einmal nicht
schnell herstellen, und so bleibt es dabei, daß jede Neubildung der Vereinigun¬
gen der Studenten von ihnen selbst erwartet werden muß. Es braucht aber
nicht dabei zu bleiben, daß in dem Ringen der Gegensätze in ihrer Mitte be¬
ständig die Partei der alten verrotteten Zustände in Vortheil, die des werden¬
den besseren Geistes in Nachtheil gesetzt ist. und negativ kann' mit vollem
Rechte eingegriffen werden durch Unterdrückung offenbar gesetzwidriger Aus¬
schreitungen und Beseitigung von unübersteiglichen Hindernissen der dankbar
anzuerkennenden edleren Bestrebungen. Man sucht wohl die Lebensfähigkeit
und damit Würdigkeit der burschenschaftlichen Richtung durch den Hinweis auf
das häufige Werden und Schwinden der ihr angehörigen Farben zu verdäch¬
tigen; aber man verhehlt dabei die ungemein schwierige äußere Lage, in der
sie sich auch ohne directe gegen sie gerichtete Maßregeln der Behörden befinden.


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Werdende der Jugend repräsentiren und deshalb oft äußerlich noch einen schwan¬
kenden Charakter zeigen können, verdienen gegenwärtig die Begünstigung aller
derer, welche für geistig frischere Entwickelung der kommenden Generation ein
Herz haben. Vielleicht daß in der Folge die formloseren Vereinigungen vieler
Studenten ohne äußere Eorporationsdemonstrationen, die eben jetzt auf ver-,
schiedenen Universitäten aufkommen, eine größere Zukunft haben und wieder
zu der freieren Vereinigung der ganzen studirenden Jugend zurückzuführen be¬
rufen sind, welche die alte Burschenschaft erstrebte. Denn daran kranken bis
jetzt die besseren Verbindungen nicht minder als ihre Gegner, daß sie bei der
meist geringen Zahl ihrer Mitglieder zur beständigen Erhaltung eines geselligen
Gemeinlebens unverhältnißniäßige Ansprüche an die Zeit und Geldmittel der
Einzelnen machen müssen. Daran scheitert auch bei dem besten Willen oft die
vielseitigere Ausbreitung wissenschaftlicher Beschäftigung über die unvermeid¬
lichen Fach- oder Examenstudien hinaus, die von so vielen Seiten beklagt und
oft mit so unsinnig schwächlichen Mitteln zu retten gesucht wird. Doch muß
man es auch anerkennen und aussprechen, daß in dieser Beziehung Verhältniß-
mäßig und durchschnittlich die Mitglieder burschenschaftlicher Verbindungen vor
der allgemeinen Leerheit sich auszeichnen.

Fragt man nun, ob überhaupt und wie dann etwa in diesen Verhält¬
nissen durch äußere Einwirkung eine Besserung herbeigeführt oder begünstigt
werden könne, so muß man leider zuerst sich eingestehen, daß eine directe Be¬
einflussung der Studenten in Sachen ihres Gemeinlebens gegenwärtig durch¬
aus keinen günstigen und fruchtbaren Eindruck machen könnte. Leider, sage
ich. Denn es ist dies nur eins der vielen Symptome davon, daß wir seit
Menschengedenken keine populären Regierungen in Deutschland gehabt haben.
In einem gesunden Staatsorganismus würde sich jedes Glied wohl fühlen,
wenn es von den leitenden Organen in seinen speciellen Bemühungen an¬
regend unterstützt würde. Doch ein solcher Zustand läßt sich nun einmal nicht
schnell herstellen, und so bleibt es dabei, daß jede Neubildung der Vereinigun¬
gen der Studenten von ihnen selbst erwartet werden muß. Es braucht aber
nicht dabei zu bleiben, daß in dem Ringen der Gegensätze in ihrer Mitte be¬
ständig die Partei der alten verrotteten Zustände in Vortheil, die des werden¬
den besseren Geistes in Nachtheil gesetzt ist. und negativ kann' mit vollem
Rechte eingegriffen werden durch Unterdrückung offenbar gesetzwidriger Aus¬
schreitungen und Beseitigung von unübersteiglichen Hindernissen der dankbar
anzuerkennenden edleren Bestrebungen. Man sucht wohl die Lebensfähigkeit
und damit Würdigkeit der burschenschaftlichen Richtung durch den Hinweis auf
das häufige Werden und Schwinden der ihr angehörigen Farben zu verdäch¬
tigen; aber man verhehlt dabei die ungemein schwierige äußere Lage, in der
sie sich auch ohne directe gegen sie gerichtete Maßregeln der Behörden befinden.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114855/123>, abgerufen am 14.05.2024.