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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. IV. Band.

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Ich beflügelte meine Schritte. Bald regten sich auch die Lanzen, die
Reiter selbst erschienen aus ihrem Versteck und kamen aus mich zu. Anruf von
beiden Seiten, Achselzucken, da man sich nicht versteht, dann noch ein paar
Kosacken, vielleicht ein Unteroffizier dabei. Derselbe steigt ab und sängt an,
mich zu visttiren, wogegen ich mich vergeblich sträube. Die Scene endet damit,
daß man sich alles dessen bemächtigt, was gefällt; meines Geldes, meiner Uhr,
der Wäsche u. s. w. Zuletzt nahmen mich zwei Mann zwischen ihre Pferde,
um mich zu der Feldwache zurückzubringen. Wunderliche Ironie des Schick¬
sals, dachte ich. Durch so viele Gefahren, die fast unüberwindlich schienen,
hast du dich glücklich durchgebracht, und jetzt, wo alle Gefahr vorüber ist, spielt
man dir so mit! Indeß ergab ich mich geduldig in mein Loos, die Sache
mußte sich ja noch diesen Tag ausheilen. Und so geschah es auch. Nach einer
Stunde etwa kam eine Patrouille östreichischer Husaren mit einem Offizier an.
Dem stellte ich mich vor und sagte ihm, wer ich wäre und was mir soeben
geschehen, woraus er mich sogleich nach dem Hauptquartier des Grafen Mens-
dors zu bringen versprach, der dieses Streifcorps befestige. Die mir abgeplün-
derten Gegenstände erhielt ich zurück, man setzte mich auf ein überzähliges
Pferd, und in wenigen Stunden war ich in Altenburg. Hier traf ich einen
östreichischen Generalstabsofsizier, der .mich von Wien her kannte, und nun war
alle Noth vorüber, und Alles ging nach Wunsch." --

Graf Mensdorf schickte Willisen mit einem Courier nach Töplitz, wo sich
der König von Preußen befand. Letzterer, dem er das Jahr vorher mit dem
Grafen Bentheim das Schlachtfeld von Prag hatte zeigen dürfen, erinnerte
sich dessen und ernannte ihn zum Premierlieutenant im dreiundsievenzigsten In¬
fanterieregiment und einige Tage darauf, nachdem die Oestreicher bessere Aus¬
sichten geboten, zum Adjutanten bei der achten Brigade, welche zum vorkschen
Corps gehörte. '

Sehr überraschend stellten und lösten sich die Beziehungen Willisens zu
Oestreich. Als derselbe in Töplitz eintraf, wußte er nicht anders, als daß
er noch kaiserlicher Offizier sei. Sobald er daher die Zusicherung einer
Anstellung im preußischen Dienst hatte, suchte er zunächst General Radetzky
als den Chef des Generalstabes auf, dem er zuletzt attachirt gewesen.

"Er empfing mich," heißt es in Willisens Aufzeichnungen, mit den Wor¬
ten: "Sind Sie es wirklich, oder ist's Ihr Geist? Ich hab' geglaubt, Sie
seien längst todtgeschossen." Ich machte ein erstauntes Gesicht über diese
in der That befremdende Anrede und erfuhr nun, nicht gerade zu meiner Er¬
bauung, wie man in Wien mit mir verfahren war. Nach einigen vergeblichen
Reclamationen, welche auf Betrieb meiner Freunde und Gönner in Preußen
und Oestreich von Seiten des auswärtigen Departements in Kassel gemacht
worden waren, und in Folge deren schon einmal ein Offizier der Garnison


Ich beflügelte meine Schritte. Bald regten sich auch die Lanzen, die
Reiter selbst erschienen aus ihrem Versteck und kamen aus mich zu. Anruf von
beiden Seiten, Achselzucken, da man sich nicht versteht, dann noch ein paar
Kosacken, vielleicht ein Unteroffizier dabei. Derselbe steigt ab und sängt an,
mich zu visttiren, wogegen ich mich vergeblich sträube. Die Scene endet damit,
daß man sich alles dessen bemächtigt, was gefällt; meines Geldes, meiner Uhr,
der Wäsche u. s. w. Zuletzt nahmen mich zwei Mann zwischen ihre Pferde,
um mich zu der Feldwache zurückzubringen. Wunderliche Ironie des Schick¬
sals, dachte ich. Durch so viele Gefahren, die fast unüberwindlich schienen,
hast du dich glücklich durchgebracht, und jetzt, wo alle Gefahr vorüber ist, spielt
man dir so mit! Indeß ergab ich mich geduldig in mein Loos, die Sache
mußte sich ja noch diesen Tag ausheilen. Und so geschah es auch. Nach einer
Stunde etwa kam eine Patrouille östreichischer Husaren mit einem Offizier an.
Dem stellte ich mich vor und sagte ihm, wer ich wäre und was mir soeben
geschehen, woraus er mich sogleich nach dem Hauptquartier des Grafen Mens-
dors zu bringen versprach, der dieses Streifcorps befestige. Die mir abgeplün-
derten Gegenstände erhielt ich zurück, man setzte mich auf ein überzähliges
Pferd, und in wenigen Stunden war ich in Altenburg. Hier traf ich einen
östreichischen Generalstabsofsizier, der .mich von Wien her kannte, und nun war
alle Noth vorüber, und Alles ging nach Wunsch." —

Graf Mensdorf schickte Willisen mit einem Courier nach Töplitz, wo sich
der König von Preußen befand. Letzterer, dem er das Jahr vorher mit dem
Grafen Bentheim das Schlachtfeld von Prag hatte zeigen dürfen, erinnerte
sich dessen und ernannte ihn zum Premierlieutenant im dreiundsievenzigsten In¬
fanterieregiment und einige Tage darauf, nachdem die Oestreicher bessere Aus¬
sichten geboten, zum Adjutanten bei der achten Brigade, welche zum vorkschen
Corps gehörte. '

Sehr überraschend stellten und lösten sich die Beziehungen Willisens zu
Oestreich. Als derselbe in Töplitz eintraf, wußte er nicht anders, als daß
er noch kaiserlicher Offizier sei. Sobald er daher die Zusicherung einer
Anstellung im preußischen Dienst hatte, suchte er zunächst General Radetzky
als den Chef des Generalstabes auf, dem er zuletzt attachirt gewesen.

„Er empfing mich," heißt es in Willisens Aufzeichnungen, mit den Wor¬
ten: „Sind Sie es wirklich, oder ist's Ihr Geist? Ich hab' geglaubt, Sie
seien längst todtgeschossen." Ich machte ein erstauntes Gesicht über diese
in der That befremdende Anrede und erfuhr nun, nicht gerade zu meiner Er¬
bauung, wie man in Wien mit mir verfahren war. Nach einigen vergeblichen
Reclamationen, welche auf Betrieb meiner Freunde und Gönner in Preußen
und Oestreich von Seiten des auswärtigen Departements in Kassel gemacht
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[0143] Ich beflügelte meine Schritte. Bald regten sich auch die Lanzen, die Reiter selbst erschienen aus ihrem Versteck und kamen aus mich zu. Anruf von beiden Seiten, Achselzucken, da man sich nicht versteht, dann noch ein paar Kosacken, vielleicht ein Unteroffizier dabei. Derselbe steigt ab und sängt an, mich zu visttiren, wogegen ich mich vergeblich sträube. Die Scene endet damit, daß man sich alles dessen bemächtigt, was gefällt; meines Geldes, meiner Uhr, der Wäsche u. s. w. Zuletzt nahmen mich zwei Mann zwischen ihre Pferde, um mich zu der Feldwache zurückzubringen. Wunderliche Ironie des Schick¬ sals, dachte ich. Durch so viele Gefahren, die fast unüberwindlich schienen, hast du dich glücklich durchgebracht, und jetzt, wo alle Gefahr vorüber ist, spielt man dir so mit! Indeß ergab ich mich geduldig in mein Loos, die Sache mußte sich ja noch diesen Tag ausheilen. Und so geschah es auch. Nach einer Stunde etwa kam eine Patrouille östreichischer Husaren mit einem Offizier an. Dem stellte ich mich vor und sagte ihm, wer ich wäre und was mir soeben geschehen, woraus er mich sogleich nach dem Hauptquartier des Grafen Mens- dors zu bringen versprach, der dieses Streifcorps befestige. Die mir abgeplün- derten Gegenstände erhielt ich zurück, man setzte mich auf ein überzähliges Pferd, und in wenigen Stunden war ich in Altenburg. Hier traf ich einen östreichischen Generalstabsofsizier, der .mich von Wien her kannte, und nun war alle Noth vorüber, und Alles ging nach Wunsch." — Graf Mensdorf schickte Willisen mit einem Courier nach Töplitz, wo sich der König von Preußen befand. Letzterer, dem er das Jahr vorher mit dem Grafen Bentheim das Schlachtfeld von Prag hatte zeigen dürfen, erinnerte sich dessen und ernannte ihn zum Premierlieutenant im dreiundsievenzigsten In¬ fanterieregiment und einige Tage darauf, nachdem die Oestreicher bessere Aus¬ sichten geboten, zum Adjutanten bei der achten Brigade, welche zum vorkschen Corps gehörte. ' Sehr überraschend stellten und lösten sich die Beziehungen Willisens zu Oestreich. Als derselbe in Töplitz eintraf, wußte er nicht anders, als daß er noch kaiserlicher Offizier sei. Sobald er daher die Zusicherung einer Anstellung im preußischen Dienst hatte, suchte er zunächst General Radetzky als den Chef des Generalstabes auf, dem er zuletzt attachirt gewesen. „Er empfing mich," heißt es in Willisens Aufzeichnungen, mit den Wor¬ ten: „Sind Sie es wirklich, oder ist's Ihr Geist? Ich hab' geglaubt, Sie seien längst todtgeschossen." Ich machte ein erstauntes Gesicht über diese in der That befremdende Anrede und erfuhr nun, nicht gerade zu meiner Er¬ bauung, wie man in Wien mit mir verfahren war. Nach einigen vergeblichen Reclamationen, welche auf Betrieb meiner Freunde und Gönner in Preußen und Oestreich von Seiten des auswärtigen Departements in Kassel gemacht worden waren, und in Folge deren schon einmal ein Offizier der Garnison

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114855/143>, abgerufen am 30.05.2024.