Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. IV. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

etwas von dem. was geschah, zu betheiligen, hatte sich meiner bemächtigt. Ich
suchte und fand in meiner Kathedcrthätigt'eit eine Ableitung dieser Stimmung,
die mich sonst vielleicht auf Abwege getrieben hätte."

So kam das große Bewegungsjahr von ISSN heran. Willisen war vier¬
zig Jahr alt geworden und stand in voller Kraft. Die gewaltigen Ereignisse
in Paris und deren Folgen nahmen ihn mit aller Macht in Anspruch, mühsam
unterdrückte Gedanken und Wünsche erhoben sich in ihm von Neuem, mit leb¬
haftester Theilnahme verfolgte er die Bewegung der Geister, welche sich auch
in Berlin sofort kund gab. "So sehr ich." heißt es in den Aufzeichnungen,
"für eine stetige friedliche Entwickelung des staatlichen Lebens war, wußte ich
doch aus geschichtlicher und psychologischer Betrachtung nur zu sicher, daß die
Leidenschaft der Parteien nur selten gestattet, daß der Kampf, aus dem sich neue
Gestalten des geschichtlichen Lebens entwickeln, auf das geistige Gebiet beschränkt
bleibe, und daß es mithin eine Art sentimentaler Donquixoterie war, es anders
zu erwarten, als daß zu rechter Zeit und Stunde auch dieser bestimmte geistige
Kampf in einen äußern leiblichen übertreten müsse. Ich sah a-tho die Be¬
gebenheiten von 1830 wie eine Art geschichtlicher Naturnothwendigkeit an, wel¬
cher ich der langen widerlichen Reaction der letzten fünfzehn Jahre und der
brutalen Tyrannei mancher Gewalthaber gegenüber ihre Berechtigung nicht ab¬
sprechen konnte."

In diesem Sinne schrieb Willisen einige Aufsätze, die in dem Kreise, in
dem er vorzugsweise lebte, Beifall fanden und in die Beilage der Staatszeitung
aufgenommen, das größte Aufsehen erregten. In dem Regierungsblatt eine
solche Sprache und dann gar von einem Offizier -- es war unerhört. Die
Wuth der Hofpartei kannte keine Grenze, die gesammte Junkerschaft schrie:
steinigt ihn! und nur die Ruhe und Einsicht des alten Königs fand in den Ar¬
tikeln nichts Strafwürdiges.

Kurz darauf gab es einen neuen noch heftigeren Sturm gegen den Jako¬
biner in Uniform. Wiederholt von der Redaction des Militär-Wochenblatts
aufgefordert, sich mit Beiträgen zu betheiligen, hatte Willisen dies halb im
Scherz, halb im Ernst mit der Bemerkung abgelehnt, wenn er einmal für das-
Blatt schriebe, würde man ihn nicht zum zweiten Mal darum bitten, und so
geschah es wirklich. Er schrieb die bekannten Aufsätze über den polnischen Feld¬
zug, die ihm nicht nur die heftigsten Anfeindungen in Preußen zuzogen, son¬
dern sogar Gegenstand von Beschwerden Von Seiten des Petersburger Hofes
wurden, welcher nicht begreifen konnte, "wie man gestatte, daß den Rebellen
vom preußischen Generalstabe Unterricht in der Kriegführung ertheilt werde."
Die Polen lasen die Aufsätze mit Eifer, sie standen in mehren Zeitungen, und
als Ende März 1831 ungefähr geschah , was in den Artikeln gesagt worden,
erging über deren Verfasser ein förmlicher Bann; man controlirte seine Vor-


18"

etwas von dem. was geschah, zu betheiligen, hatte sich meiner bemächtigt. Ich
suchte und fand in meiner Kathedcrthätigt'eit eine Ableitung dieser Stimmung,
die mich sonst vielleicht auf Abwege getrieben hätte."

So kam das große Bewegungsjahr von ISSN heran. Willisen war vier¬
zig Jahr alt geworden und stand in voller Kraft. Die gewaltigen Ereignisse
in Paris und deren Folgen nahmen ihn mit aller Macht in Anspruch, mühsam
unterdrückte Gedanken und Wünsche erhoben sich in ihm von Neuem, mit leb¬
haftester Theilnahme verfolgte er die Bewegung der Geister, welche sich auch
in Berlin sofort kund gab. „So sehr ich." heißt es in den Aufzeichnungen,
„für eine stetige friedliche Entwickelung des staatlichen Lebens war, wußte ich
doch aus geschichtlicher und psychologischer Betrachtung nur zu sicher, daß die
Leidenschaft der Parteien nur selten gestattet, daß der Kampf, aus dem sich neue
Gestalten des geschichtlichen Lebens entwickeln, auf das geistige Gebiet beschränkt
bleibe, und daß es mithin eine Art sentimentaler Donquixoterie war, es anders
zu erwarten, als daß zu rechter Zeit und Stunde auch dieser bestimmte geistige
Kampf in einen äußern leiblichen übertreten müsse. Ich sah a-tho die Be¬
gebenheiten von 1830 wie eine Art geschichtlicher Naturnothwendigkeit an, wel¬
cher ich der langen widerlichen Reaction der letzten fünfzehn Jahre und der
brutalen Tyrannei mancher Gewalthaber gegenüber ihre Berechtigung nicht ab¬
sprechen konnte."

In diesem Sinne schrieb Willisen einige Aufsätze, die in dem Kreise, in
dem er vorzugsweise lebte, Beifall fanden und in die Beilage der Staatszeitung
aufgenommen, das größte Aufsehen erregten. In dem Regierungsblatt eine
solche Sprache und dann gar von einem Offizier — es war unerhört. Die
Wuth der Hofpartei kannte keine Grenze, die gesammte Junkerschaft schrie:
steinigt ihn! und nur die Ruhe und Einsicht des alten Königs fand in den Ar¬
tikeln nichts Strafwürdiges.

Kurz darauf gab es einen neuen noch heftigeren Sturm gegen den Jako¬
biner in Uniform. Wiederholt von der Redaction des Militär-Wochenblatts
aufgefordert, sich mit Beiträgen zu betheiligen, hatte Willisen dies halb im
Scherz, halb im Ernst mit der Bemerkung abgelehnt, wenn er einmal für das-
Blatt schriebe, würde man ihn nicht zum zweiten Mal darum bitten, und so
geschah es wirklich. Er schrieb die bekannten Aufsätze über den polnischen Feld¬
zug, die ihm nicht nur die heftigsten Anfeindungen in Preußen zuzogen, son¬
dern sogar Gegenstand von Beschwerden Von Seiten des Petersburger Hofes
wurden, welcher nicht begreifen konnte, „wie man gestatte, daß den Rebellen
vom preußischen Generalstabe Unterricht in der Kriegführung ertheilt werde."
Die Polen lasen die Aufsätze mit Eifer, sie standen in mehren Zeitungen, und
als Ende März 1831 ungefähr geschah , was in den Artikeln gesagt worden,
erging über deren Verfasser ein förmlicher Bann; man controlirte seine Vor-


18"
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0147" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/115003"/>
            <p xml:id="ID_473" prev="#ID_472"> etwas von dem. was geschah, zu betheiligen, hatte sich meiner bemächtigt. Ich<lb/>
suchte und fand in meiner Kathedcrthätigt'eit eine Ableitung dieser Stimmung,<lb/>
die mich sonst vielleicht auf Abwege getrieben hätte."</p><lb/>
            <p xml:id="ID_474"> So kam das große Bewegungsjahr von ISSN heran. Willisen war vier¬<lb/>
zig Jahr alt geworden und stand in voller Kraft. Die gewaltigen Ereignisse<lb/>
in Paris und deren Folgen nahmen ihn mit aller Macht in Anspruch, mühsam<lb/>
unterdrückte Gedanken und Wünsche erhoben sich in ihm von Neuem, mit leb¬<lb/>
haftester Theilnahme verfolgte er die Bewegung der Geister, welche sich auch<lb/>
in Berlin sofort kund gab. &#x201E;So sehr ich." heißt es in den Aufzeichnungen,<lb/>
&#x201E;für eine stetige friedliche Entwickelung des staatlichen Lebens war, wußte ich<lb/>
doch aus geschichtlicher und psychologischer Betrachtung nur zu sicher, daß die<lb/>
Leidenschaft der Parteien nur selten gestattet, daß der Kampf, aus dem sich neue<lb/>
Gestalten des geschichtlichen Lebens entwickeln, auf das geistige Gebiet beschränkt<lb/>
bleibe, und daß es mithin eine Art sentimentaler Donquixoterie war, es anders<lb/>
zu erwarten, als daß zu rechter Zeit und Stunde auch dieser bestimmte geistige<lb/>
Kampf in einen äußern leiblichen übertreten müsse. Ich sah a-tho die Be¬<lb/>
gebenheiten von 1830 wie eine Art geschichtlicher Naturnothwendigkeit an, wel¬<lb/>
cher ich der langen widerlichen Reaction der letzten fünfzehn Jahre und der<lb/>
brutalen Tyrannei mancher Gewalthaber gegenüber ihre Berechtigung nicht ab¬<lb/>
sprechen konnte."</p><lb/>
            <p xml:id="ID_475"> In diesem Sinne schrieb Willisen einige Aufsätze, die in dem Kreise, in<lb/>
dem er vorzugsweise lebte, Beifall fanden und in die Beilage der Staatszeitung<lb/>
aufgenommen, das größte Aufsehen erregten. In dem Regierungsblatt eine<lb/>
solche Sprache und dann gar von einem Offizier &#x2014; es war unerhört. Die<lb/>
Wuth der Hofpartei kannte keine Grenze, die gesammte Junkerschaft schrie:<lb/>
steinigt ihn! und nur die Ruhe und Einsicht des alten Königs fand in den Ar¬<lb/>
tikeln nichts Strafwürdiges.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_476" next="#ID_477"> Kurz darauf gab es einen neuen noch heftigeren Sturm gegen den Jako¬<lb/>
biner in Uniform. Wiederholt von der Redaction des Militär-Wochenblatts<lb/>
aufgefordert, sich mit Beiträgen zu betheiligen, hatte Willisen dies halb im<lb/>
Scherz, halb im Ernst mit der Bemerkung abgelehnt, wenn er einmal für das-<lb/>
Blatt schriebe, würde man ihn nicht zum zweiten Mal darum bitten, und so<lb/>
geschah es wirklich. Er schrieb die bekannten Aufsätze über den polnischen Feld¬<lb/>
zug, die ihm nicht nur die heftigsten Anfeindungen in Preußen zuzogen, son¬<lb/>
dern sogar Gegenstand von Beschwerden Von Seiten des Petersburger Hofes<lb/>
wurden, welcher nicht begreifen konnte, &#x201E;wie man gestatte, daß den Rebellen<lb/>
vom preußischen Generalstabe Unterricht in der Kriegführung ertheilt werde."<lb/>
Die Polen lasen die Aufsätze mit Eifer, sie standen in mehren Zeitungen, und<lb/>
als Ende März 1831 ungefähr geschah , was in den Artikeln gesagt worden,<lb/>
erging über deren Verfasser ein förmlicher Bann; man controlirte seine Vor-</p><lb/>
            <fw type="sig" place="bottom"> 18"</fw><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0147] etwas von dem. was geschah, zu betheiligen, hatte sich meiner bemächtigt. Ich suchte und fand in meiner Kathedcrthätigt'eit eine Ableitung dieser Stimmung, die mich sonst vielleicht auf Abwege getrieben hätte." So kam das große Bewegungsjahr von ISSN heran. Willisen war vier¬ zig Jahr alt geworden und stand in voller Kraft. Die gewaltigen Ereignisse in Paris und deren Folgen nahmen ihn mit aller Macht in Anspruch, mühsam unterdrückte Gedanken und Wünsche erhoben sich in ihm von Neuem, mit leb¬ haftester Theilnahme verfolgte er die Bewegung der Geister, welche sich auch in Berlin sofort kund gab. „So sehr ich." heißt es in den Aufzeichnungen, „für eine stetige friedliche Entwickelung des staatlichen Lebens war, wußte ich doch aus geschichtlicher und psychologischer Betrachtung nur zu sicher, daß die Leidenschaft der Parteien nur selten gestattet, daß der Kampf, aus dem sich neue Gestalten des geschichtlichen Lebens entwickeln, auf das geistige Gebiet beschränkt bleibe, und daß es mithin eine Art sentimentaler Donquixoterie war, es anders zu erwarten, als daß zu rechter Zeit und Stunde auch dieser bestimmte geistige Kampf in einen äußern leiblichen übertreten müsse. Ich sah a-tho die Be¬ gebenheiten von 1830 wie eine Art geschichtlicher Naturnothwendigkeit an, wel¬ cher ich der langen widerlichen Reaction der letzten fünfzehn Jahre und der brutalen Tyrannei mancher Gewalthaber gegenüber ihre Berechtigung nicht ab¬ sprechen konnte." In diesem Sinne schrieb Willisen einige Aufsätze, die in dem Kreise, in dem er vorzugsweise lebte, Beifall fanden und in die Beilage der Staatszeitung aufgenommen, das größte Aufsehen erregten. In dem Regierungsblatt eine solche Sprache und dann gar von einem Offizier — es war unerhört. Die Wuth der Hofpartei kannte keine Grenze, die gesammte Junkerschaft schrie: steinigt ihn! und nur die Ruhe und Einsicht des alten Königs fand in den Ar¬ tikeln nichts Strafwürdiges. Kurz darauf gab es einen neuen noch heftigeren Sturm gegen den Jako¬ biner in Uniform. Wiederholt von der Redaction des Militär-Wochenblatts aufgefordert, sich mit Beiträgen zu betheiligen, hatte Willisen dies halb im Scherz, halb im Ernst mit der Bemerkung abgelehnt, wenn er einmal für das- Blatt schriebe, würde man ihn nicht zum zweiten Mal darum bitten, und so geschah es wirklich. Er schrieb die bekannten Aufsätze über den polnischen Feld¬ zug, die ihm nicht nur die heftigsten Anfeindungen in Preußen zuzogen, son¬ dern sogar Gegenstand von Beschwerden Von Seiten des Petersburger Hofes wurden, welcher nicht begreifen konnte, „wie man gestatte, daß den Rebellen vom preußischen Generalstabe Unterricht in der Kriegführung ertheilt werde." Die Polen lasen die Aufsätze mit Eifer, sie standen in mehren Zeitungen, und als Ende März 1831 ungefähr geschah , was in den Artikeln gesagt worden, erging über deren Verfasser ein förmlicher Bann; man controlirte seine Vor- 18"

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114855
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114855/147
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114855/147>, abgerufen am 14.05.2024.