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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. IV. Band.

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Uebergang vom Sturm zur Nuhe hat etwas überaus Wohlthuendes, Erhei¬
terndes, wie das Stadium der Genesung nach schwerer Krankheit. Nachdem
man sich tagelang unter Verhältnissen befunden hat. die allem Gewohnten und
Gewöhnlichen Hohn sprechen; nach Unruhe, Erschöpfung, körperlichem Unwohl¬
sein, u, s. w. fühlj man sich zum ersten Mal wieder als Mensch, als selbständiges
Wesen, das nicht in allen seinen Beziehungen unmittelbar von einem Elemente
abhängig ist, über welches es nicht.die leiseste Controle besitzt. Die Sonne
lacht uns an, wie ein alter lieber Freund, die Woge, welche uns bisher
erbarmungslos umhergeworfen, trägt uns wieder und scheint die harmlosen
Schwankungen nur noch zu unserem besonderen Vergnügen auszuführen; kurz,
mir fühlen uns wieder als Herren der Schöpfung und sind als solche geneigt,
alle Thorheiten zu begehen, welche wir unter diesem Prädicat im gewöhnlichen Leben
auszuüben Pflegen. Ja noch mehr; wir suchen in Ermangelung der vielfachen
Gelegenheiten, welche das Leben an Nord dazu bietet, Alles auf, was uns zu
einem derartigen Exercitium der wiedergewonnenen Kräfte förderlich und dienlich
scheint. So auch am Bord der Matanzas. Vorn sammelten sich die Soldaten
in Gruppen, sangen und zechten und schwärmten von den Thaten, welche die
Annalen des Krieges auf ihren Namen schreiben sollten, oder suchten sich einen
stillen Winkel aus, um sich 0011 "more in dem geliebten Euere oder Bluff das
wenige Geld abzunehmen, was die Verführungen New-Aorks ihnen noch übrig
gelassen hatten. Am Vordermast erzählte ein alter Sergeant vom 79. Hoch¬
länder Regiment, der bei Bull Nun gefangen genommen worden war und jetzt
zu seinem Regiment zurückkehrte, in echtem Schottisch seine Abenteuer in den
Tabakshäuscrn von Richmond, wobei die Rührung über seine eigenen Leiden
ihn häufig so übermannte, daß er sich durch einen tüchtigen Schluck Whiskey
stärken mußte. -- Auf dem Quarterdeck wurde es ebenfalls wieder lebendig.
Unsere Helden hatten nach ihrem fruchtlosen Kampfe mit den Wirkungen des
nassen Elementes die eines ebenso nassen, aber stärkeren als Gegengift benutzt
und befanden sich in der heitersten Stimmung, welche sich leider hier und da in
echt angelsächsischer Weise etwas zur Rohheit hinneigte und die Damen, welche
sich, noch stille Wehmuth im Gesicht, auf das Deck gewagt hatten und vielleicht
durch die romantische Blässe Eroberungen zu machen gedachten, wieder ins
Gynäceum trieb.

Diesmal wurde die Stunde der Tafel mit freudigem Jubel begrüßt, und
der Steward, welcher mit Kennerauge die verschiedenen Phasen des Seelebcns
beobachtet und seine Maßregeln in Küche und Keller darnach trifft, hatte reichlich
dafür gesorgt, allen Anforderungen der Wiedererstandenen zu genügen. Freilich
konnten die Kellner, welche die meisten Mitglieder de,r fröhlichen Gesellschaft noch
am Tage znvm- "in ihrem Schmerz" gesehn hatten, sich eines ironischen Lächelns
nicht erwehren, wenn das eben erst wiedergewonnene Selbstvertrauen sich in,


Uebergang vom Sturm zur Nuhe hat etwas überaus Wohlthuendes, Erhei¬
terndes, wie das Stadium der Genesung nach schwerer Krankheit. Nachdem
man sich tagelang unter Verhältnissen befunden hat. die allem Gewohnten und
Gewöhnlichen Hohn sprechen; nach Unruhe, Erschöpfung, körperlichem Unwohl¬
sein, u, s. w. fühlj man sich zum ersten Mal wieder als Mensch, als selbständiges
Wesen, das nicht in allen seinen Beziehungen unmittelbar von einem Elemente
abhängig ist, über welches es nicht.die leiseste Controle besitzt. Die Sonne
lacht uns an, wie ein alter lieber Freund, die Woge, welche uns bisher
erbarmungslos umhergeworfen, trägt uns wieder und scheint die harmlosen
Schwankungen nur noch zu unserem besonderen Vergnügen auszuführen; kurz,
mir fühlen uns wieder als Herren der Schöpfung und sind als solche geneigt,
alle Thorheiten zu begehen, welche wir unter diesem Prädicat im gewöhnlichen Leben
auszuüben Pflegen. Ja noch mehr; wir suchen in Ermangelung der vielfachen
Gelegenheiten, welche das Leben an Nord dazu bietet, Alles auf, was uns zu
einem derartigen Exercitium der wiedergewonnenen Kräfte förderlich und dienlich
scheint. So auch am Bord der Matanzas. Vorn sammelten sich die Soldaten
in Gruppen, sangen und zechten und schwärmten von den Thaten, welche die
Annalen des Krieges auf ihren Namen schreiben sollten, oder suchten sich einen
stillen Winkel aus, um sich 0011 »more in dem geliebten Euere oder Bluff das
wenige Geld abzunehmen, was die Verführungen New-Aorks ihnen noch übrig
gelassen hatten. Am Vordermast erzählte ein alter Sergeant vom 79. Hoch¬
länder Regiment, der bei Bull Nun gefangen genommen worden war und jetzt
zu seinem Regiment zurückkehrte, in echtem Schottisch seine Abenteuer in den
Tabakshäuscrn von Richmond, wobei die Rührung über seine eigenen Leiden
ihn häufig so übermannte, daß er sich durch einen tüchtigen Schluck Whiskey
stärken mußte. — Auf dem Quarterdeck wurde es ebenfalls wieder lebendig.
Unsere Helden hatten nach ihrem fruchtlosen Kampfe mit den Wirkungen des
nassen Elementes die eines ebenso nassen, aber stärkeren als Gegengift benutzt
und befanden sich in der heitersten Stimmung, welche sich leider hier und da in
echt angelsächsischer Weise etwas zur Rohheit hinneigte und die Damen, welche
sich, noch stille Wehmuth im Gesicht, auf das Deck gewagt hatten und vielleicht
durch die romantische Blässe Eroberungen zu machen gedachten, wieder ins
Gynäceum trieb.

Diesmal wurde die Stunde der Tafel mit freudigem Jubel begrüßt, und
der Steward, welcher mit Kennerauge die verschiedenen Phasen des Seelebcns
beobachtet und seine Maßregeln in Küche und Keller darnach trifft, hatte reichlich
dafür gesorgt, allen Anforderungen der Wiedererstandenen zu genügen. Freilich
konnten die Kellner, welche die meisten Mitglieder de,r fröhlichen Gesellschaft noch
am Tage znvm- „in ihrem Schmerz" gesehn hatten, sich eines ironischen Lächelns
nicht erwehren, wenn das eben erst wiedergewonnene Selbstvertrauen sich in,


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[0149] Uebergang vom Sturm zur Nuhe hat etwas überaus Wohlthuendes, Erhei¬ terndes, wie das Stadium der Genesung nach schwerer Krankheit. Nachdem man sich tagelang unter Verhältnissen befunden hat. die allem Gewohnten und Gewöhnlichen Hohn sprechen; nach Unruhe, Erschöpfung, körperlichem Unwohl¬ sein, u, s. w. fühlj man sich zum ersten Mal wieder als Mensch, als selbständiges Wesen, das nicht in allen seinen Beziehungen unmittelbar von einem Elemente abhängig ist, über welches es nicht.die leiseste Controle besitzt. Die Sonne lacht uns an, wie ein alter lieber Freund, die Woge, welche uns bisher erbarmungslos umhergeworfen, trägt uns wieder und scheint die harmlosen Schwankungen nur noch zu unserem besonderen Vergnügen auszuführen; kurz, mir fühlen uns wieder als Herren der Schöpfung und sind als solche geneigt, alle Thorheiten zu begehen, welche wir unter diesem Prädicat im gewöhnlichen Leben auszuüben Pflegen. Ja noch mehr; wir suchen in Ermangelung der vielfachen Gelegenheiten, welche das Leben an Nord dazu bietet, Alles auf, was uns zu einem derartigen Exercitium der wiedergewonnenen Kräfte förderlich und dienlich scheint. So auch am Bord der Matanzas. Vorn sammelten sich die Soldaten in Gruppen, sangen und zechten und schwärmten von den Thaten, welche die Annalen des Krieges auf ihren Namen schreiben sollten, oder suchten sich einen stillen Winkel aus, um sich 0011 »more in dem geliebten Euere oder Bluff das wenige Geld abzunehmen, was die Verführungen New-Aorks ihnen noch übrig gelassen hatten. Am Vordermast erzählte ein alter Sergeant vom 79. Hoch¬ länder Regiment, der bei Bull Nun gefangen genommen worden war und jetzt zu seinem Regiment zurückkehrte, in echtem Schottisch seine Abenteuer in den Tabakshäuscrn von Richmond, wobei die Rührung über seine eigenen Leiden ihn häufig so übermannte, daß er sich durch einen tüchtigen Schluck Whiskey stärken mußte. — Auf dem Quarterdeck wurde es ebenfalls wieder lebendig. Unsere Helden hatten nach ihrem fruchtlosen Kampfe mit den Wirkungen des nassen Elementes die eines ebenso nassen, aber stärkeren als Gegengift benutzt und befanden sich in der heitersten Stimmung, welche sich leider hier und da in echt angelsächsischer Weise etwas zur Rohheit hinneigte und die Damen, welche sich, noch stille Wehmuth im Gesicht, auf das Deck gewagt hatten und vielleicht durch die romantische Blässe Eroberungen zu machen gedachten, wieder ins Gynäceum trieb. Diesmal wurde die Stunde der Tafel mit freudigem Jubel begrüßt, und der Steward, welcher mit Kennerauge die verschiedenen Phasen des Seelebcns beobachtet und seine Maßregeln in Küche und Keller darnach trifft, hatte reichlich dafür gesorgt, allen Anforderungen der Wiedererstandenen zu genügen. Freilich konnten die Kellner, welche die meisten Mitglieder de,r fröhlichen Gesellschaft noch am Tage znvm- „in ihrem Schmerz" gesehn hatten, sich eines ironischen Lächelns nicht erwehren, wenn das eben erst wiedergewonnene Selbstvertrauen sich in,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114855/149>, abgerufen am 28.05.2024.