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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. IV. Band.

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er erklärt, daß die Krisis herannahe, hebt die Wichtigkeit einer Entscheidung
hervor. Es erscheint uns unzweifelhaft, daß Guizot für ein Eingehen auf die
Vorschläge der Gesandten war. Warum aber machte er diese Meinung nicht
mit aller Entschiedenheit geltend? Thiers erklärt, in seiner abwartenden Hal¬
tung verharren zu wollen, gewiß der größte Dienst, den er seinen Gegnern
leisten konnte. Denn Palmerston, für den jetzt der Augenblick des Handels
herannahte, konnte, wenn Frankreich im Moment der Krisis sich schmollend
mit der Rolle des mißvergnügten Zuschauers begnügte, sicher sein, sowohl im
englischen Cabinet, wie in der Diplomatie seiner Anschauung den unbedingte¬
sten Sieg zu verschaffen. Wohl hatte Guizot alle Ursache, ein nahes Abkommen
unter Vieren zu befürchten.

Ein Ereigniß in Konstantinopel, welches Thiers ebenso in seiner Sicher¬
heit bestärkte, wie es Pa'lmerstons Eifer verdoppelte, trug wesentlich dazu bei,
die Krisis zu beschleunigen. Es war dies die plötzliche Absetzung des Gro߬
wesirs Khosrew Pascha, der für den erbittertsten Feind Mehemed Ali's galt.
Der Vicekönig war außer sich vor Entzücken, als er vom französischen General-
consul Cochelet die Nachricht vom Falle seines alten Widersachers empfing.
Er sprang von seinem Divan auf, weinte vor Freude und sah, von seiner
feurigen Phantasie fortgerissen, seinen Zwist mit dem Sultan als bereits ge¬
löst an. Cochelet mahnte zur Mäßigung, Thiers ging so weit, ihm den Rath
zukommen zu lassen, sich mit der Forderung des lebenslänglichen Besitzes von
Syrien zu begnügen. Auf derartige Concessionen ging der sanguinische Greis
jedoch nicht ein. er glaubte sich seiner Sache so sicher, daß er sofort beschloß,
dem Sultan seine Flotte auszuliefern, an einem directen Arrangement mit der
Pforte zweifelte er keinen Augenblick länger.

Gerade ein solches wollte aber Palmerston um jeden Preis verhüten. Auch
ihm lag weniger an dem Detail der Friedensbedingungen, als daran, daß der
Friede durch die Mächte vermittelt werde, weil jedes directe Abkommen ein Triumph
Frankreichs gewesen wäre. Die Gefahr eines directen Abkommens lag aber
um so näher, da Frankreich im Sinne eines solchen sowohl in Konstantinopel
wie in Alexandria thätig war. Zwar bemühte sich Thiers, um dem Verdachte
doppelten Spiels zu entgehen, diese Versuche als ganz unverfänglich und durch¬
aus nicht den Charakter einer förmlichen Vermittelung an sich tragend
darzustellen. Wo sollte man aber die Grenze zeichnen zwischen der Rolle eines
Rathgebers und eines Vermittlers? Jedenfalls gab man Palmerston durch je¬
den Schritt in dieser Richtung eine Waffe in die Hand, die dieser nickt
säumte, zu benutzen. Er erklärte im Cabinet unter Hinweisung auf die diplo¬
matischen Bemühungen der französischen Agenten in Konstantinopel und Ale¬
xandria, da Frankreich sich von den vier Mächten getrennt habe, sei von Sei¬
ten dieser auch auf Frankreich keine Rücksicht mehr zu nehmen. Auch ein


er erklärt, daß die Krisis herannahe, hebt die Wichtigkeit einer Entscheidung
hervor. Es erscheint uns unzweifelhaft, daß Guizot für ein Eingehen auf die
Vorschläge der Gesandten war. Warum aber machte er diese Meinung nicht
mit aller Entschiedenheit geltend? Thiers erklärt, in seiner abwartenden Hal¬
tung verharren zu wollen, gewiß der größte Dienst, den er seinen Gegnern
leisten konnte. Denn Palmerston, für den jetzt der Augenblick des Handels
herannahte, konnte, wenn Frankreich im Moment der Krisis sich schmollend
mit der Rolle des mißvergnügten Zuschauers begnügte, sicher sein, sowohl im
englischen Cabinet, wie in der Diplomatie seiner Anschauung den unbedingte¬
sten Sieg zu verschaffen. Wohl hatte Guizot alle Ursache, ein nahes Abkommen
unter Vieren zu befürchten.

Ein Ereigniß in Konstantinopel, welches Thiers ebenso in seiner Sicher¬
heit bestärkte, wie es Pa'lmerstons Eifer verdoppelte, trug wesentlich dazu bei,
die Krisis zu beschleunigen. Es war dies die plötzliche Absetzung des Gro߬
wesirs Khosrew Pascha, der für den erbittertsten Feind Mehemed Ali's galt.
Der Vicekönig war außer sich vor Entzücken, als er vom französischen General-
consul Cochelet die Nachricht vom Falle seines alten Widersachers empfing.
Er sprang von seinem Divan auf, weinte vor Freude und sah, von seiner
feurigen Phantasie fortgerissen, seinen Zwist mit dem Sultan als bereits ge¬
löst an. Cochelet mahnte zur Mäßigung, Thiers ging so weit, ihm den Rath
zukommen zu lassen, sich mit der Forderung des lebenslänglichen Besitzes von
Syrien zu begnügen. Auf derartige Concessionen ging der sanguinische Greis
jedoch nicht ein. er glaubte sich seiner Sache so sicher, daß er sofort beschloß,
dem Sultan seine Flotte auszuliefern, an einem directen Arrangement mit der
Pforte zweifelte er keinen Augenblick länger.

Gerade ein solches wollte aber Palmerston um jeden Preis verhüten. Auch
ihm lag weniger an dem Detail der Friedensbedingungen, als daran, daß der
Friede durch die Mächte vermittelt werde, weil jedes directe Abkommen ein Triumph
Frankreichs gewesen wäre. Die Gefahr eines directen Abkommens lag aber
um so näher, da Frankreich im Sinne eines solchen sowohl in Konstantinopel
wie in Alexandria thätig war. Zwar bemühte sich Thiers, um dem Verdachte
doppelten Spiels zu entgehen, diese Versuche als ganz unverfänglich und durch¬
aus nicht den Charakter einer förmlichen Vermittelung an sich tragend
darzustellen. Wo sollte man aber die Grenze zeichnen zwischen der Rolle eines
Rathgebers und eines Vermittlers? Jedenfalls gab man Palmerston durch je¬
den Schritt in dieser Richtung eine Waffe in die Hand, die dieser nickt
säumte, zu benutzen. Er erklärte im Cabinet unter Hinweisung auf die diplo¬
matischen Bemühungen der französischen Agenten in Konstantinopel und Ale¬
xandria, da Frankreich sich von den vier Mächten getrennt habe, sei von Sei¬
ten dieser auch auf Frankreich keine Rücksicht mehr zu nehmen. Auch ein


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114855/15>, abgerufen am 14.05.2024.