Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. IV. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

girrt das Verständniß des Werthes, welchen die Verfassung für Fürsten und
Volk hat, beiden Zucht, Gesetzlichkeit, Dauer zu geben. Für den Verfassungs¬
staat Preußen repräsentirt Graf Schwerin mit seinen Freunden das conserva-
tive, die nationale Partei das fortschreitende Element; was weiter rechts liegt,
ist persönliche Stimmung, Willkür. Vorurtheil, persönlicher Egoismus.

' Daß die nationale Partei in der letzten Sitzung die Fassung des Protestes,
welchen Geist für sie ausgearbeitet hatte, fallen ließ und den Entwurf Simsons und
der Altliberalen annahm, daß sie als Majorität der Minorität mit freund¬
licher Courtoisie nachgab, um Einstimmigkeit zu erreichen, das hat eine
Bedeutung, die über den Act des Protestes hinausgeht. Denn dieser
letzte Schritt beweist, daß die großen Fractionen der nationalen Partei
sich klar darüber sind, worin ihre Stärke liegt. Sie enthalten Entschieden¬
heit und Festigkeit des Entschlusses in hinreichendem Maße, sie haben durch¬
aus nicht zu befürchten, daß die eifrigen und erzürnten Wähler sich nach
rechts drängen werden. Wohl aber müssen sie gerade jetzt vermeiden, zu
weit auf die linke Seite getrieben zu werden, sie haben sich vorsorglich zu
hüten, daß die Sympathie der bedächtigen Intelligenz dös Landes ihnen nicht
beeinträchtigt werde. Gerade in den ihnen zugeneigten Elementen, welche mehr
auf der rechten Seite stehen, liegt in der gegenwärtigen Situation ihre
Stärke. Es wird für sie durchaus kein Verlust sein, wenn sich bei einer nächsten
Wahl eine radikale Minorität auf ihrer linken Seite selbständig etablirt,
aber es würde nicht nur für sie, sondern für Preußen ein großes Unglück wer¬
den, wenn sie in eine ähnliche Stellung kämen, wie die preußische Demokratie
des Jahres 1848. Die nationale Partei hat jetzt nicht die Aufgabe, eine vor¬
geschrittene Fraction des Liberalismus darzustellen, sondern zu beweisen, daß
die Ueberzeugungen, welche von ihr im Hause vertreten wurden, die Ueber¬
zeugung einer ungeheuren Majorität des preußischen Volkes sind. Das Be¬
wußtsein dieser großen Aufgabe hat offenbar die letzte Nachgiebigkeit verursacht;
wir finden darin eine frohe Bürgschaft, daß die Partei durch dieselben Er¬
wägungen bei den wichtigen Schritten geleitet werden wird, welche ihr diesem
Ministerium gegenüber jetzt obliegen.

Die letzte Woche einer anstrengenden Session brachte noch den Entscheid
über die außerordentlichen Creditforderungen der Regierung für Entwickelung
der preußischen Marine. Die Forderungen wurden abgelehnt bis auf 220,000
Thaler für drei angekaufte Kriegsfahrzeuge, eine Summe, für welche der Marine¬
minister die verfassungsmäßige Indemnität in Anspruch nahm. Die Verhand¬
lungen des Hauses bewährten nicht ganz die Klarheit und den Takt, mit
welchen die Majorität andere Fragen behandelt hatte. Denn es war gerade
für die Majorität diese Forderung eine ausgezeichnete Gelegenheit, zu erweisen,
daß sie nicht nur im Widerstand gegen gesetzlich unbegründete Forderungen


girrt das Verständniß des Werthes, welchen die Verfassung für Fürsten und
Volk hat, beiden Zucht, Gesetzlichkeit, Dauer zu geben. Für den Verfassungs¬
staat Preußen repräsentirt Graf Schwerin mit seinen Freunden das conserva-
tive, die nationale Partei das fortschreitende Element; was weiter rechts liegt,
ist persönliche Stimmung, Willkür. Vorurtheil, persönlicher Egoismus.

' Daß die nationale Partei in der letzten Sitzung die Fassung des Protestes,
welchen Geist für sie ausgearbeitet hatte, fallen ließ und den Entwurf Simsons und
der Altliberalen annahm, daß sie als Majorität der Minorität mit freund¬
licher Courtoisie nachgab, um Einstimmigkeit zu erreichen, das hat eine
Bedeutung, die über den Act des Protestes hinausgeht. Denn dieser
letzte Schritt beweist, daß die großen Fractionen der nationalen Partei
sich klar darüber sind, worin ihre Stärke liegt. Sie enthalten Entschieden¬
heit und Festigkeit des Entschlusses in hinreichendem Maße, sie haben durch¬
aus nicht zu befürchten, daß die eifrigen und erzürnten Wähler sich nach
rechts drängen werden. Wohl aber müssen sie gerade jetzt vermeiden, zu
weit auf die linke Seite getrieben zu werden, sie haben sich vorsorglich zu
hüten, daß die Sympathie der bedächtigen Intelligenz dös Landes ihnen nicht
beeinträchtigt werde. Gerade in den ihnen zugeneigten Elementen, welche mehr
auf der rechten Seite stehen, liegt in der gegenwärtigen Situation ihre
Stärke. Es wird für sie durchaus kein Verlust sein, wenn sich bei einer nächsten
Wahl eine radikale Minorität auf ihrer linken Seite selbständig etablirt,
aber es würde nicht nur für sie, sondern für Preußen ein großes Unglück wer¬
den, wenn sie in eine ähnliche Stellung kämen, wie die preußische Demokratie
des Jahres 1848. Die nationale Partei hat jetzt nicht die Aufgabe, eine vor¬
geschrittene Fraction des Liberalismus darzustellen, sondern zu beweisen, daß
die Ueberzeugungen, welche von ihr im Hause vertreten wurden, die Ueber¬
zeugung einer ungeheuren Majorität des preußischen Volkes sind. Das Be¬
wußtsein dieser großen Aufgabe hat offenbar die letzte Nachgiebigkeit verursacht;
wir finden darin eine frohe Bürgschaft, daß die Partei durch dieselben Er¬
wägungen bei den wichtigen Schritten geleitet werden wird, welche ihr diesem
Ministerium gegenüber jetzt obliegen.

Die letzte Woche einer anstrengenden Session brachte noch den Entscheid
über die außerordentlichen Creditforderungen der Regierung für Entwickelung
der preußischen Marine. Die Forderungen wurden abgelehnt bis auf 220,000
Thaler für drei angekaufte Kriegsfahrzeuge, eine Summe, für welche der Marine¬
minister die verfassungsmäßige Indemnität in Anspruch nahm. Die Verhand¬
lungen des Hauses bewährten nicht ganz die Klarheit und den Takt, mit
welchen die Majorität andere Fragen behandelt hatte. Denn es war gerade
für die Majorität diese Forderung eine ausgezeichnete Gelegenheit, zu erweisen,
daß sie nicht nur im Widerstand gegen gesetzlich unbegründete Forderungen


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0162" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/115018"/>
          <p xml:id="ID_510" prev="#ID_509"> girrt das Verständniß des Werthes, welchen die Verfassung für Fürsten und<lb/>
Volk hat, beiden Zucht, Gesetzlichkeit, Dauer zu geben. Für den Verfassungs¬<lb/>
staat Preußen repräsentirt Graf Schwerin mit seinen Freunden das conserva-<lb/>
tive, die nationale Partei das fortschreitende Element; was weiter rechts liegt,<lb/>
ist persönliche Stimmung, Willkür. Vorurtheil, persönlicher Egoismus.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_511"> ' Daß die nationale Partei in der letzten Sitzung die Fassung des Protestes,<lb/>
welchen Geist für sie ausgearbeitet hatte, fallen ließ und den Entwurf Simsons und<lb/>
der Altliberalen annahm, daß sie als Majorität der Minorität mit freund¬<lb/>
licher Courtoisie nachgab, um Einstimmigkeit zu erreichen, das hat eine<lb/>
Bedeutung, die über den Act des Protestes hinausgeht.  Denn dieser<lb/>
letzte Schritt beweist, daß die großen Fractionen der nationalen Partei<lb/>
sich klar darüber sind, worin ihre Stärke liegt. Sie enthalten Entschieden¬<lb/>
heit und Festigkeit des Entschlusses in hinreichendem Maße, sie haben durch¬<lb/>
aus nicht zu befürchten, daß die eifrigen und erzürnten Wähler sich nach<lb/>
rechts drängen werden.  Wohl aber müssen sie gerade jetzt vermeiden, zu<lb/>
weit auf die linke Seite getrieben zu werden, sie haben sich vorsorglich zu<lb/>
hüten, daß die Sympathie der bedächtigen Intelligenz dös Landes ihnen nicht<lb/>
beeinträchtigt werde. Gerade in den ihnen zugeneigten Elementen, welche mehr<lb/>
auf der rechten Seite stehen, liegt in der gegenwärtigen Situation ihre<lb/>
Stärke. Es wird für sie durchaus kein Verlust sein, wenn sich bei einer nächsten<lb/>
Wahl eine radikale Minorität auf ihrer linken Seite selbständig etablirt,<lb/>
aber es würde nicht nur für sie, sondern für Preußen ein großes Unglück wer¬<lb/>
den, wenn sie in eine ähnliche Stellung kämen, wie die preußische Demokratie<lb/>
des Jahres 1848.  Die nationale Partei hat jetzt nicht die Aufgabe, eine vor¬<lb/>
geschrittene Fraction des Liberalismus darzustellen, sondern zu beweisen, daß<lb/>
die Ueberzeugungen, welche von ihr im Hause vertreten wurden, die Ueber¬<lb/>
zeugung einer ungeheuren Majorität des preußischen Volkes sind.  Das Be¬<lb/>
wußtsein dieser großen Aufgabe hat offenbar die letzte Nachgiebigkeit verursacht;<lb/>
wir finden darin eine frohe Bürgschaft, daß die Partei durch dieselben Er¬<lb/>
wägungen bei den wichtigen Schritten geleitet werden wird, welche ihr diesem<lb/>
Ministerium gegenüber jetzt obliegen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_512" next="#ID_513"> Die letzte Woche einer anstrengenden Session brachte noch den Entscheid<lb/>
über die außerordentlichen Creditforderungen der Regierung für Entwickelung<lb/>
der preußischen Marine. Die Forderungen wurden abgelehnt bis auf 220,000<lb/>
Thaler für drei angekaufte Kriegsfahrzeuge, eine Summe, für welche der Marine¬<lb/>
minister die verfassungsmäßige Indemnität in Anspruch nahm. Die Verhand¬<lb/>
lungen des Hauses bewährten nicht ganz die Klarheit und den Takt, mit<lb/>
welchen die Majorität andere Fragen behandelt hatte. Denn es war gerade<lb/>
für die Majorität diese Forderung eine ausgezeichnete Gelegenheit, zu erweisen,<lb/>
daß sie nicht nur im Widerstand gegen gesetzlich unbegründete Forderungen</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0162] girrt das Verständniß des Werthes, welchen die Verfassung für Fürsten und Volk hat, beiden Zucht, Gesetzlichkeit, Dauer zu geben. Für den Verfassungs¬ staat Preußen repräsentirt Graf Schwerin mit seinen Freunden das conserva- tive, die nationale Partei das fortschreitende Element; was weiter rechts liegt, ist persönliche Stimmung, Willkür. Vorurtheil, persönlicher Egoismus. ' Daß die nationale Partei in der letzten Sitzung die Fassung des Protestes, welchen Geist für sie ausgearbeitet hatte, fallen ließ und den Entwurf Simsons und der Altliberalen annahm, daß sie als Majorität der Minorität mit freund¬ licher Courtoisie nachgab, um Einstimmigkeit zu erreichen, das hat eine Bedeutung, die über den Act des Protestes hinausgeht. Denn dieser letzte Schritt beweist, daß die großen Fractionen der nationalen Partei sich klar darüber sind, worin ihre Stärke liegt. Sie enthalten Entschieden¬ heit und Festigkeit des Entschlusses in hinreichendem Maße, sie haben durch¬ aus nicht zu befürchten, daß die eifrigen und erzürnten Wähler sich nach rechts drängen werden. Wohl aber müssen sie gerade jetzt vermeiden, zu weit auf die linke Seite getrieben zu werden, sie haben sich vorsorglich zu hüten, daß die Sympathie der bedächtigen Intelligenz dös Landes ihnen nicht beeinträchtigt werde. Gerade in den ihnen zugeneigten Elementen, welche mehr auf der rechten Seite stehen, liegt in der gegenwärtigen Situation ihre Stärke. Es wird für sie durchaus kein Verlust sein, wenn sich bei einer nächsten Wahl eine radikale Minorität auf ihrer linken Seite selbständig etablirt, aber es würde nicht nur für sie, sondern für Preußen ein großes Unglück wer¬ den, wenn sie in eine ähnliche Stellung kämen, wie die preußische Demokratie des Jahres 1848. Die nationale Partei hat jetzt nicht die Aufgabe, eine vor¬ geschrittene Fraction des Liberalismus darzustellen, sondern zu beweisen, daß die Ueberzeugungen, welche von ihr im Hause vertreten wurden, die Ueber¬ zeugung einer ungeheuren Majorität des preußischen Volkes sind. Das Be¬ wußtsein dieser großen Aufgabe hat offenbar die letzte Nachgiebigkeit verursacht; wir finden darin eine frohe Bürgschaft, daß die Partei durch dieselben Er¬ wägungen bei den wichtigen Schritten geleitet werden wird, welche ihr diesem Ministerium gegenüber jetzt obliegen. Die letzte Woche einer anstrengenden Session brachte noch den Entscheid über die außerordentlichen Creditforderungen der Regierung für Entwickelung der preußischen Marine. Die Forderungen wurden abgelehnt bis auf 220,000 Thaler für drei angekaufte Kriegsfahrzeuge, eine Summe, für welche der Marine¬ minister die verfassungsmäßige Indemnität in Anspruch nahm. Die Verhand¬ lungen des Hauses bewährten nicht ganz die Klarheit und den Takt, mit welchen die Majorität andere Fragen behandelt hatte. Denn es war gerade für die Majorität diese Forderung eine ausgezeichnete Gelegenheit, zu erweisen, daß sie nicht nur im Widerstand gegen gesetzlich unbegründete Forderungen

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114855
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114855/162
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114855/162>, abgerufen am 14.05.2024.