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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. IV. Band.

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Ältere Partei beneiden sonnte. Sie hat zunächst ihre eigene Berechtigungh'fest-
gestellt, sie hat die Namen ihrer Führer dem Volke in das Herz gedrückt, sie
hat für Preußen die Unzulänglichkeit eines dilettantenhaften Regiments erwiesen,
und die Schwäche und Haltlosigkeit jeder Regierung, welche nicht Intelligenz
und Gewissen des Volkes für sich hat.

Nicht mit dem Gefühl des Sieges kehren die Abgeordneten in ihre Wahl¬
kreise zurück, eine finstere Wolke schwebt über dem nächsten Jahre des preußi¬
schen Staats, das Land ist vor kurhessischen Zuständen angelangt. Diese
werden nicht von Dauer sein, sie werden nicht zu einer chronischen Krankheit
des Staates werden. Aber sie werden noch größeren Zorn und hohes Wogen
der Volkskraft aufregen. Denn wie kurz der Kampf sein mag, welcher jetzt
beginnt, er wird wenigstens von der Opposition mit dem Gefühl ausgenommen,
daß für Preußen Alles auf dem Spiele steht.

Die Regierung sieht jetzt nur eine Lücke der Verfassung, weiche die Majestät
der Krone ergänzen soll, die große Majorität des Volkes sieht in dem, was ge¬
schehen, den Anfang eines Versassungsbruches. So lange bis dieser Schaden geheilt
ist, gründlich, vollständig; so lange bis das verletzte Recht wieder hergestellt wird, ist
der Staat von Innen und Außen gelähmt. Die Regierung kann wirthschaften,
so lange der Mechanismus ihr gehorcht, aber sie kann kein neues Gesetz machen,
sie kann auch nicht einen Thaler Anleihen contrahiren, ihre Bedeutung im
Rath der europäischen Großmächte ist nicht größer als der des kleinsten Herzog-
thums in Deutschland. Was die Vertreter des preußischen Volkes, welche
durch den ungesetzlichen Uebergriff des Herrenhauses und das Verhalten der
Regierung das Verfassungsrecht Preußens zerschlagen sehen, fortan thun werden,
um dies Recht wieder herzustellen, das ist mit Sicherheit nicht vorauszusagen.
Aber was wahrscheinlich ist, das darf schon jetzt der geistreiche Ministerpräsident
ahnen, der den bestehenden Conflict für gar nicht so wichtig hält. Das Haus der
Abgeordneten wird, im nächsten Winter eingerufen, zusammentreten, um gegen
die Verletzung der Verfassung zu protestiren. Es wird jede Berathung von
Regierungsvorlagen verweigern. Wird es aufgelöst, so werden dieselben
Männer und neben ihnen eine heraufwachsende republikanisch e Partei in eine
neue Kammer nach Berlin geschickt werden, sie werden wieder jede gemeinsame
Arbeit mit dieser Regierung und mit diesem Herrenhaus verweigern. Unterdeß
wird ein passiver gesetzlicher Widerstand in jedem Wahlkreise organisirt werden.
Es werden sich stille Comites bilden, welche jeden Uebergriff eines allzueifrigen
Beamten beobachten und verfolgen, welche jeden, der durch die alten Dis-
ciplinar- und Coercitivmaßrcgcln aus der Zeit Manteuffels beschädigt wird, ver¬
treten und schützen. Der Parteihaß zwischen einer großen Majorität der Oppo¬
sition und einer kleinen Minorität der Regierung wird sich in allen Kreisen
des Landes tief einfressen, er wird in den Communen, in der Gesellschaft, in


Ältere Partei beneiden sonnte. Sie hat zunächst ihre eigene Berechtigungh'fest-
gestellt, sie hat die Namen ihrer Führer dem Volke in das Herz gedrückt, sie
hat für Preußen die Unzulänglichkeit eines dilettantenhaften Regiments erwiesen,
und die Schwäche und Haltlosigkeit jeder Regierung, welche nicht Intelligenz
und Gewissen des Volkes für sich hat.

Nicht mit dem Gefühl des Sieges kehren die Abgeordneten in ihre Wahl¬
kreise zurück, eine finstere Wolke schwebt über dem nächsten Jahre des preußi¬
schen Staats, das Land ist vor kurhessischen Zuständen angelangt. Diese
werden nicht von Dauer sein, sie werden nicht zu einer chronischen Krankheit
des Staates werden. Aber sie werden noch größeren Zorn und hohes Wogen
der Volkskraft aufregen. Denn wie kurz der Kampf sein mag, welcher jetzt
beginnt, er wird wenigstens von der Opposition mit dem Gefühl ausgenommen,
daß für Preußen Alles auf dem Spiele steht.

Die Regierung sieht jetzt nur eine Lücke der Verfassung, weiche die Majestät
der Krone ergänzen soll, die große Majorität des Volkes sieht in dem, was ge¬
schehen, den Anfang eines Versassungsbruches. So lange bis dieser Schaden geheilt
ist, gründlich, vollständig; so lange bis das verletzte Recht wieder hergestellt wird, ist
der Staat von Innen und Außen gelähmt. Die Regierung kann wirthschaften,
so lange der Mechanismus ihr gehorcht, aber sie kann kein neues Gesetz machen,
sie kann auch nicht einen Thaler Anleihen contrahiren, ihre Bedeutung im
Rath der europäischen Großmächte ist nicht größer als der des kleinsten Herzog-
thums in Deutschland. Was die Vertreter des preußischen Volkes, welche
durch den ungesetzlichen Uebergriff des Herrenhauses und das Verhalten der
Regierung das Verfassungsrecht Preußens zerschlagen sehen, fortan thun werden,
um dies Recht wieder herzustellen, das ist mit Sicherheit nicht vorauszusagen.
Aber was wahrscheinlich ist, das darf schon jetzt der geistreiche Ministerpräsident
ahnen, der den bestehenden Conflict für gar nicht so wichtig hält. Das Haus der
Abgeordneten wird, im nächsten Winter eingerufen, zusammentreten, um gegen
die Verletzung der Verfassung zu protestiren. Es wird jede Berathung von
Regierungsvorlagen verweigern. Wird es aufgelöst, so werden dieselben
Männer und neben ihnen eine heraufwachsende republikanisch e Partei in eine
neue Kammer nach Berlin geschickt werden, sie werden wieder jede gemeinsame
Arbeit mit dieser Regierung und mit diesem Herrenhaus verweigern. Unterdeß
wird ein passiver gesetzlicher Widerstand in jedem Wahlkreise organisirt werden.
Es werden sich stille Comites bilden, welche jeden Uebergriff eines allzueifrigen
Beamten beobachten und verfolgen, welche jeden, der durch die alten Dis-
ciplinar- und Coercitivmaßrcgcln aus der Zeit Manteuffels beschädigt wird, ver¬
treten und schützen. Der Parteihaß zwischen einer großen Majorität der Oppo¬
sition und einer kleinen Minorität der Regierung wird sich in allen Kreisen
des Landes tief einfressen, er wird in den Communen, in der Gesellschaft, in


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[0164] Ältere Partei beneiden sonnte. Sie hat zunächst ihre eigene Berechtigungh'fest- gestellt, sie hat die Namen ihrer Führer dem Volke in das Herz gedrückt, sie hat für Preußen die Unzulänglichkeit eines dilettantenhaften Regiments erwiesen, und die Schwäche und Haltlosigkeit jeder Regierung, welche nicht Intelligenz und Gewissen des Volkes für sich hat. Nicht mit dem Gefühl des Sieges kehren die Abgeordneten in ihre Wahl¬ kreise zurück, eine finstere Wolke schwebt über dem nächsten Jahre des preußi¬ schen Staats, das Land ist vor kurhessischen Zuständen angelangt. Diese werden nicht von Dauer sein, sie werden nicht zu einer chronischen Krankheit des Staates werden. Aber sie werden noch größeren Zorn und hohes Wogen der Volkskraft aufregen. Denn wie kurz der Kampf sein mag, welcher jetzt beginnt, er wird wenigstens von der Opposition mit dem Gefühl ausgenommen, daß für Preußen Alles auf dem Spiele steht. Die Regierung sieht jetzt nur eine Lücke der Verfassung, weiche die Majestät der Krone ergänzen soll, die große Majorität des Volkes sieht in dem, was ge¬ schehen, den Anfang eines Versassungsbruches. So lange bis dieser Schaden geheilt ist, gründlich, vollständig; so lange bis das verletzte Recht wieder hergestellt wird, ist der Staat von Innen und Außen gelähmt. Die Regierung kann wirthschaften, so lange der Mechanismus ihr gehorcht, aber sie kann kein neues Gesetz machen, sie kann auch nicht einen Thaler Anleihen contrahiren, ihre Bedeutung im Rath der europäischen Großmächte ist nicht größer als der des kleinsten Herzog- thums in Deutschland. Was die Vertreter des preußischen Volkes, welche durch den ungesetzlichen Uebergriff des Herrenhauses und das Verhalten der Regierung das Verfassungsrecht Preußens zerschlagen sehen, fortan thun werden, um dies Recht wieder herzustellen, das ist mit Sicherheit nicht vorauszusagen. Aber was wahrscheinlich ist, das darf schon jetzt der geistreiche Ministerpräsident ahnen, der den bestehenden Conflict für gar nicht so wichtig hält. Das Haus der Abgeordneten wird, im nächsten Winter eingerufen, zusammentreten, um gegen die Verletzung der Verfassung zu protestiren. Es wird jede Berathung von Regierungsvorlagen verweigern. Wird es aufgelöst, so werden dieselben Männer und neben ihnen eine heraufwachsende republikanisch e Partei in eine neue Kammer nach Berlin geschickt werden, sie werden wieder jede gemeinsame Arbeit mit dieser Regierung und mit diesem Herrenhaus verweigern. Unterdeß wird ein passiver gesetzlicher Widerstand in jedem Wahlkreise organisirt werden. Es werden sich stille Comites bilden, welche jeden Uebergriff eines allzueifrigen Beamten beobachten und verfolgen, welche jeden, der durch die alten Dis- ciplinar- und Coercitivmaßrcgcln aus der Zeit Manteuffels beschädigt wird, ver¬ treten und schützen. Der Parteihaß zwischen einer großen Majorität der Oppo¬ sition und einer kleinen Minorität der Regierung wird sich in allen Kreisen des Landes tief einfressen, er wird in den Communen, in der Gesellschaft, in

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114855/164>, abgerufen am 13.05.2024.