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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. IV. Band.

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rein geistiger Mächte als letzte Instanz die Appellation an die öffentliche
Meinung durch freie Rede und Presse ergänzend eintritt, indem sie in ähnlicher
Weise endgültig abschließt. Daneben bleibt für das Duell kein Bedürfniß
mehr*). Es lebt nur noch im Bewußtsein einzelner Kreise, in welchen der Ge¬
danke der Unterordnung persönlicher Willkür unter die feste Norm des Rechts
noch nicht in Fleisch und Blut übergegangen ist, die also jener mysteriösen
Idee noch als Auskunft in kritischen Fällen bedürfen.

Das Fortbestehen des Duells unter den Studenten beruht zum Theil auf
dieser Erhaltung des Gefühls seiner Bedeutung. Denn, wie wir bisher ge¬
sehen haben, gehören die akademischen Verhältnisse zu denen, welche sich noch
nicht mit dem Geiste der zur Regelung aller socialen Conflicte genügenden
Macht des Rechts und der öffentlichen Meinung erfüllt haben. Die sehr.ver¬
diente Mißachtung des Gerichtsstandes, der ihnen als hohes Vorrecht geblieben
ist, macht es der Ehre des Einzelnen unmöglich, im Rechtswege Befriedigung zu.
finden, und der Geist der ebenso vom gemeinen bürgerlichen Begriffe eximirten
Freiheit nährt die Vorstellung, daß der Einzelne nur sich selbst und dem blin¬
den Schicksal die Wahrung seiner persönlichen Würde anvertrauen kann. ' Die
ganze eingebildete Größe der Freiheit und Ehre der noch nicht ausgebildeten
Persönlichkeit, die doch schon für voll gelten zu wollen gewohnt ist. bringt es
auch mit sich, daß oft ganz bedeutungslose Conflicte mit hohem Ernst be¬
handelt werden müssen. Sie würden sich alsbald in ihrer ganzen Nichtigkeit
offenbaren, wenn eine einfache bürgerlich rechtliche Losung versucht würde.
Das soll nicht sein. Der Student soll in seiner unreifen Weltbildung sich
doch schon männlich groß fühlen dürfen. Deshalb ist ihm das Vorrecht ge¬
lassen, sich außer der einfach klaren Ordnung des Gesetzes zu stellen, weil diese
das Mißverhältniß zwischen dem Gehalt und den Prätensionen seiner Teilung
zu einfach klar darstellen würde. So wird in seiner Lebenspraxis ein Zustand
der Rechtlosigkeit als noch zu Recht bestehend erhalten, den man sonst als längst
überwunden betrachtet und dessen Reste er im spätern Leben als Diener des
Staats im Frieden soll brechen helfen.

Das Duell verkörpert die ihm freigegebene unbedingte Geltendmachung
der willkürlichen Ansprüche des Individuums, welche die Möglichkeit einer
rechtlichen Entscheidung jedes Streites, wie sie alle anderen Staatsbürger
anzuerkennen gehalten sind, ausschließt. Zum größeren Theile freilich hat
das Duell der Studenten diese Bedeutung gar nicht mehr; sondern ist



") Es gibt unserm Gefühl nach Ausnahmsfälle, die allerdings nichts mit einem Gottes¬
gericht gemein haben. Wir erinnern nur daran, daß ein Mann von Zartgefühl es nicht über
sich gewinnen wird, bei gewissen thätlichen oder mündliche" Angriffen auf die Ehre seiner
weiblichen Verwandten vor Gericht Genugthung zu suchen. Auch die verschiedene Stellung
von Civil und Militär kann unter Umstände" das Einlassen auf ein Duell noch geboten er¬
D. Red. scheinen lassen.

rein geistiger Mächte als letzte Instanz die Appellation an die öffentliche
Meinung durch freie Rede und Presse ergänzend eintritt, indem sie in ähnlicher
Weise endgültig abschließt. Daneben bleibt für das Duell kein Bedürfniß
mehr*). Es lebt nur noch im Bewußtsein einzelner Kreise, in welchen der Ge¬
danke der Unterordnung persönlicher Willkür unter die feste Norm des Rechts
noch nicht in Fleisch und Blut übergegangen ist, die also jener mysteriösen
Idee noch als Auskunft in kritischen Fällen bedürfen.

Das Fortbestehen des Duells unter den Studenten beruht zum Theil auf
dieser Erhaltung des Gefühls seiner Bedeutung. Denn, wie wir bisher ge¬
sehen haben, gehören die akademischen Verhältnisse zu denen, welche sich noch
nicht mit dem Geiste der zur Regelung aller socialen Conflicte genügenden
Macht des Rechts und der öffentlichen Meinung erfüllt haben. Die sehr.ver¬
diente Mißachtung des Gerichtsstandes, der ihnen als hohes Vorrecht geblieben
ist, macht es der Ehre des Einzelnen unmöglich, im Rechtswege Befriedigung zu.
finden, und der Geist der ebenso vom gemeinen bürgerlichen Begriffe eximirten
Freiheit nährt die Vorstellung, daß der Einzelne nur sich selbst und dem blin¬
den Schicksal die Wahrung seiner persönlichen Würde anvertrauen kann. ' Die
ganze eingebildete Größe der Freiheit und Ehre der noch nicht ausgebildeten
Persönlichkeit, die doch schon für voll gelten zu wollen gewohnt ist. bringt es
auch mit sich, daß oft ganz bedeutungslose Conflicte mit hohem Ernst be¬
handelt werden müssen. Sie würden sich alsbald in ihrer ganzen Nichtigkeit
offenbaren, wenn eine einfache bürgerlich rechtliche Losung versucht würde.
Das soll nicht sein. Der Student soll in seiner unreifen Weltbildung sich
doch schon männlich groß fühlen dürfen. Deshalb ist ihm das Vorrecht ge¬
lassen, sich außer der einfach klaren Ordnung des Gesetzes zu stellen, weil diese
das Mißverhältniß zwischen dem Gehalt und den Prätensionen seiner Teilung
zu einfach klar darstellen würde. So wird in seiner Lebenspraxis ein Zustand
der Rechtlosigkeit als noch zu Recht bestehend erhalten, den man sonst als längst
überwunden betrachtet und dessen Reste er im spätern Leben als Diener des
Staats im Frieden soll brechen helfen.

Das Duell verkörpert die ihm freigegebene unbedingte Geltendmachung
der willkürlichen Ansprüche des Individuums, welche die Möglichkeit einer
rechtlichen Entscheidung jedes Streites, wie sie alle anderen Staatsbürger
anzuerkennen gehalten sind, ausschließt. Zum größeren Theile freilich hat
das Duell der Studenten diese Bedeutung gar nicht mehr; sondern ist



") Es gibt unserm Gefühl nach Ausnahmsfälle, die allerdings nichts mit einem Gottes¬
gericht gemein haben. Wir erinnern nur daran, daß ein Mann von Zartgefühl es nicht über
sich gewinnen wird, bei gewissen thätlichen oder mündliche» Angriffen auf die Ehre seiner
weiblichen Verwandten vor Gericht Genugthung zu suchen. Auch die verschiedene Stellung
von Civil und Militär kann unter Umstände» das Einlassen auf ein Duell noch geboten er¬
D. Red. scheinen lassen.
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[0189] rein geistiger Mächte als letzte Instanz die Appellation an die öffentliche Meinung durch freie Rede und Presse ergänzend eintritt, indem sie in ähnlicher Weise endgültig abschließt. Daneben bleibt für das Duell kein Bedürfniß mehr*). Es lebt nur noch im Bewußtsein einzelner Kreise, in welchen der Ge¬ danke der Unterordnung persönlicher Willkür unter die feste Norm des Rechts noch nicht in Fleisch und Blut übergegangen ist, die also jener mysteriösen Idee noch als Auskunft in kritischen Fällen bedürfen. Das Fortbestehen des Duells unter den Studenten beruht zum Theil auf dieser Erhaltung des Gefühls seiner Bedeutung. Denn, wie wir bisher ge¬ sehen haben, gehören die akademischen Verhältnisse zu denen, welche sich noch nicht mit dem Geiste der zur Regelung aller socialen Conflicte genügenden Macht des Rechts und der öffentlichen Meinung erfüllt haben. Die sehr.ver¬ diente Mißachtung des Gerichtsstandes, der ihnen als hohes Vorrecht geblieben ist, macht es der Ehre des Einzelnen unmöglich, im Rechtswege Befriedigung zu. finden, und der Geist der ebenso vom gemeinen bürgerlichen Begriffe eximirten Freiheit nährt die Vorstellung, daß der Einzelne nur sich selbst und dem blin¬ den Schicksal die Wahrung seiner persönlichen Würde anvertrauen kann. ' Die ganze eingebildete Größe der Freiheit und Ehre der noch nicht ausgebildeten Persönlichkeit, die doch schon für voll gelten zu wollen gewohnt ist. bringt es auch mit sich, daß oft ganz bedeutungslose Conflicte mit hohem Ernst be¬ handelt werden müssen. Sie würden sich alsbald in ihrer ganzen Nichtigkeit offenbaren, wenn eine einfache bürgerlich rechtliche Losung versucht würde. Das soll nicht sein. Der Student soll in seiner unreifen Weltbildung sich doch schon männlich groß fühlen dürfen. Deshalb ist ihm das Vorrecht ge¬ lassen, sich außer der einfach klaren Ordnung des Gesetzes zu stellen, weil diese das Mißverhältniß zwischen dem Gehalt und den Prätensionen seiner Teilung zu einfach klar darstellen würde. So wird in seiner Lebenspraxis ein Zustand der Rechtlosigkeit als noch zu Recht bestehend erhalten, den man sonst als längst überwunden betrachtet und dessen Reste er im spätern Leben als Diener des Staats im Frieden soll brechen helfen. Das Duell verkörpert die ihm freigegebene unbedingte Geltendmachung der willkürlichen Ansprüche des Individuums, welche die Möglichkeit einer rechtlichen Entscheidung jedes Streites, wie sie alle anderen Staatsbürger anzuerkennen gehalten sind, ausschließt. Zum größeren Theile freilich hat das Duell der Studenten diese Bedeutung gar nicht mehr; sondern ist ") Es gibt unserm Gefühl nach Ausnahmsfälle, die allerdings nichts mit einem Gottes¬ gericht gemein haben. Wir erinnern nur daran, daß ein Mann von Zartgefühl es nicht über sich gewinnen wird, bei gewissen thätlichen oder mündliche» Angriffen auf die Ehre seiner weiblichen Verwandten vor Gericht Genugthung zu suchen. Auch die verschiedene Stellung von Civil und Militär kann unter Umstände» das Einlassen auf ein Duell noch geboten er¬ D. Red. scheinen lassen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114855/189>, abgerufen am 14.05.2024.