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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. IV. Band.

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analoger Uebung Ehrengerichte bilden. Dergleichen kann aber auch unmöglich
von freier Vereinbarung unter ihnen selbst erwartet werden, so lange Parteien
existiren, die ein Interesse haben, es nicht dazu kommen zu lassen. In dem
weltbürgerlichen Anlaufe.des Jahres 1848 gelang dies hier und da. In Mar¬
burg z. B. war damals das Duell factisch durch ein Ehrengericht beseitigt.
Soll aber dergleichen dauernd Bestand gewinnen, so muß eine zwingende
Initiative alle Parteien dazu vereinigen, so muß für schwerere Falle eine ach¬
tungswerthe höhere Instanz gegeben sein und muß dann der einfach straf¬
rechtlich unstatthafte Gebrauch der Waffen, insbesondere die offene Vereinigung
von Korporationen zu seiner Pflege, ein für alle Mal nicht mehr geduldet wer¬
den, was, wenn man will, sehr einfach ist. Wenn, wie die Sachen stehen,
ein Prorector seinen Polizeiosficianten verbietet, die Duelle abzufassen, so mag
er Recht daven. Er spart sich das undankbare Geschäft, etwas im einzelnen
Falle zu verurtheilen, was er im Princip zu unterdrücken keine Macht und Be¬
rechtigung fühlt; er spart in dem gewöhnlichen Falle der bloßen Störung den
Studenten den doppelten Zeitverlust. Wenn aber ein anderer geradezu in
officieller Ermahnung den Studenten, welche auf den Weg eines bürgerlichen
Rechtszustandes einzulenken Miene machen, erklärt, es zieme sich nicht, daß sie
vor seinem Forum klagend erschienen, so spricht sich darin eine Schamlosigkeit
der Selbstverachtung aus. welche die akademischen Standesgerichte und was
damit zusammenhängt als zur Auflösung überreif kennzeichnet.

Das Duell ist die handgreiflichste Manifestation des unnatürlichen Aus¬
nahmezustandes, in dem die akademische Jugend der übrigen Welt gegenüber
fort und fort künstlich erhalten wird. Es hat seinen Boden in dem eximirten
Gerichtsstand und äußert seine Wirkung in dem verrotteten Zustande des
studentischen Gemeinlebens. Alle drei müssen gemeinsam angegriffen werden;
mit der schlechten Justiz muß zugleich dem Duett ein Ende gemacht werden,
und ein frischeres Leben wird sich statt in privilegirter Rohheit bald in freieren
geistigen Regungen der Genossenschaften bemächtigen. Diese Reform in An¬
griff zu nehmen, ist eine dringende politische Pflicht der Gegenwart, die so
wenig wie andere wichtige innere Fragen auf ruhigere Zeiten vertagt werden
darf. Von den Regierungen wird, wenn sie auch nicht mehr so entschieden
wie zu Metternichs Zeit das Gegentheil erstreben, doch keine Initiative zu
erwarten sein. Noch weniger von den Universitäten selbst im Dünkel ihrer
Selbstgenügsamkeit. Es ist die Aufgabe der Presse und vor Allem auch des
Nationalvereins, die Bedeutung der Sache zur Geltung zu bringen, damit sich
dann die Ständeversammlungen daran machen. Der Staat würde sich ein
großes Verdienst um ganz Deutschland erwerben, der hierin voranginge.
Hoffen und erwarten dürfen wir es wohl von dem, der zu allen wirksamen
Erneuerungen unseres nationalen Lebens den vorzüglichen Einfluß und Beruf


Grenzboten IV. 1862. 24

analoger Uebung Ehrengerichte bilden. Dergleichen kann aber auch unmöglich
von freier Vereinbarung unter ihnen selbst erwartet werden, so lange Parteien
existiren, die ein Interesse haben, es nicht dazu kommen zu lassen. In dem
weltbürgerlichen Anlaufe.des Jahres 1848 gelang dies hier und da. In Mar¬
burg z. B. war damals das Duell factisch durch ein Ehrengericht beseitigt.
Soll aber dergleichen dauernd Bestand gewinnen, so muß eine zwingende
Initiative alle Parteien dazu vereinigen, so muß für schwerere Falle eine ach¬
tungswerthe höhere Instanz gegeben sein und muß dann der einfach straf¬
rechtlich unstatthafte Gebrauch der Waffen, insbesondere die offene Vereinigung
von Korporationen zu seiner Pflege, ein für alle Mal nicht mehr geduldet wer¬
den, was, wenn man will, sehr einfach ist. Wenn, wie die Sachen stehen,
ein Prorector seinen Polizeiosficianten verbietet, die Duelle abzufassen, so mag
er Recht daven. Er spart sich das undankbare Geschäft, etwas im einzelnen
Falle zu verurtheilen, was er im Princip zu unterdrücken keine Macht und Be¬
rechtigung fühlt; er spart in dem gewöhnlichen Falle der bloßen Störung den
Studenten den doppelten Zeitverlust. Wenn aber ein anderer geradezu in
officieller Ermahnung den Studenten, welche auf den Weg eines bürgerlichen
Rechtszustandes einzulenken Miene machen, erklärt, es zieme sich nicht, daß sie
vor seinem Forum klagend erschienen, so spricht sich darin eine Schamlosigkeit
der Selbstverachtung aus. welche die akademischen Standesgerichte und was
damit zusammenhängt als zur Auflösung überreif kennzeichnet.

Das Duell ist die handgreiflichste Manifestation des unnatürlichen Aus¬
nahmezustandes, in dem die akademische Jugend der übrigen Welt gegenüber
fort und fort künstlich erhalten wird. Es hat seinen Boden in dem eximirten
Gerichtsstand und äußert seine Wirkung in dem verrotteten Zustande des
studentischen Gemeinlebens. Alle drei müssen gemeinsam angegriffen werden;
mit der schlechten Justiz muß zugleich dem Duett ein Ende gemacht werden,
und ein frischeres Leben wird sich statt in privilegirter Rohheit bald in freieren
geistigen Regungen der Genossenschaften bemächtigen. Diese Reform in An¬
griff zu nehmen, ist eine dringende politische Pflicht der Gegenwart, die so
wenig wie andere wichtige innere Fragen auf ruhigere Zeiten vertagt werden
darf. Von den Regierungen wird, wenn sie auch nicht mehr so entschieden
wie zu Metternichs Zeit das Gegentheil erstreben, doch keine Initiative zu
erwarten sein. Noch weniger von den Universitäten selbst im Dünkel ihrer
Selbstgenügsamkeit. Es ist die Aufgabe der Presse und vor Allem auch des
Nationalvereins, die Bedeutung der Sache zur Geltung zu bringen, damit sich
dann die Ständeversammlungen daran machen. Der Staat würde sich ein
großes Verdienst um ganz Deutschland erwerben, der hierin voranginge.
Hoffen und erwarten dürfen wir es wohl von dem, der zu allen wirksamen
Erneuerungen unseres nationalen Lebens den vorzüglichen Einfluß und Beruf


Grenzboten IV. 1862. 24
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114855/193>, abgerufen am 15.05.2024.