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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. IV. Band.

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kommt dazu die abgeschlossene binnenländische Lage des Landes, die Entfernung
vom großen Welthandel, welche den Sinn für weitere Verhältnisse nicht auf¬
kommen läßt, ja ein natürliches Mißtrauen gegen alles Niederreißen von
Schranken erzeugt, hinter welchen man sich am liebsten recht behaglich unter
sich abschließen möchte. -- Ist es doch die Ansicht eines bekannten, als volks-
wirthschaftliche Autorität geschätzten Mannes, daß die Tarifsätze noch viel zu
niedrig seien, desselben, der mit dem Namen Verräther sogar diejenigen bezeich¬
nen soll, welche selbst nach dem Abschluß der Zolleinigung mit Oestreich über¬
haupt an Handelsverträge mit dem Ausland denken! Steht auch ein solches
Extrem ziemlich vereinzelt, so zeigt doch die ganze Geschichte des Zollvereins,
wie festgewurzelt die schutzzöllnerischen Tendenzen nicht blos in den süddeutschen
Regierungen, sondern auch in den süddeutschen Bevölkerungen stecken. Es ist
noch in Aller Gedächtniß, welcher Widerstand in Würtemberg schon dem Abschluß
des Zollvereins -- allerdings aus verschiedenen Gründen -- gerade von Seiten
der liberalen Partei entgegengesetzt wurde. Nicht Alle mögen wohl heute an die
Abstimmung vom 18. Nov. 1833 erinnert werden!

Doch die schutzzöllnerischen Motive waren nicht die einzigen, nicht einmal
die hauptsächlichsten, mit welchen die Gegner des Vertrags operirten, indem sie
die einzelnen Punkte desselben bekämpften. Fehlte es doch nicht an solchen,
welche abwechselnd sich aufs hohe Roß der Wissenschaft setzten und vom Stand¬
punkte des Freihandels, zu dem sie sich im Princip bekannten, die Mängel des
Vertrags ins Licht setzten. Aber alles das waren keine Punkte, mit denen
man eine populäre Agitation machen oder vielmehr die große Menge der Be¬
völkerung in den Schlummer einer octroyirten Meinung wiegen konnte. Hierzu
bedürfte es einfacherer und verständlicherer Mittel, und diese waren schon damit
gegeben, daß es ein Vertrag war, den Preußen mit Frankreich abgeschlossen
hatte.

Man durfte nur die Nachwirkungen des Jahres 1859 benutzen, die Phra¬
seologie aus jener Zeit wieder auffrischen und auf das handelspolitische Gebiet
übertragen, und die projectirte Tarifreform war zu einem Verrath an den
deutschen Interessen, zu einer Preisgebung der vaterländischen Industrie an die
Ausbeutung durch das hungrige Welschland geworden. Noch weiter gingen
bekanntlich unsre biedern Nachbarn an den kunstgeschmückten Ufern der Jsar, welche
sogar den Untergang deutscher Kunst und Wissenschaft durch die herandrängende
französische Cultur als unmittelbare Folge des Handelsvertrags in sichere Aus¬
sicht stellten. Die Selbständigkeit Deutschlands dem Erbfeind gegenüber stand
auf dem Spiel, -- dies war die Parole; es galt ein nationales Interesse, für
das man mit allen Kräften einstehen mußte. Daß Preußen den Vertrag ab¬
geschlossen hatte, war nur um so schlimmer. Denn nun konnte man überdies
die herrschende Abneigung gegen diesen Staat benutzen, und man nahm keinen


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kommt dazu die abgeschlossene binnenländische Lage des Landes, die Entfernung
vom großen Welthandel, welche den Sinn für weitere Verhältnisse nicht auf¬
kommen läßt, ja ein natürliches Mißtrauen gegen alles Niederreißen von
Schranken erzeugt, hinter welchen man sich am liebsten recht behaglich unter
sich abschließen möchte. — Ist es doch die Ansicht eines bekannten, als volks-
wirthschaftliche Autorität geschätzten Mannes, daß die Tarifsätze noch viel zu
niedrig seien, desselben, der mit dem Namen Verräther sogar diejenigen bezeich¬
nen soll, welche selbst nach dem Abschluß der Zolleinigung mit Oestreich über¬
haupt an Handelsverträge mit dem Ausland denken! Steht auch ein solches
Extrem ziemlich vereinzelt, so zeigt doch die ganze Geschichte des Zollvereins,
wie festgewurzelt die schutzzöllnerischen Tendenzen nicht blos in den süddeutschen
Regierungen, sondern auch in den süddeutschen Bevölkerungen stecken. Es ist
noch in Aller Gedächtniß, welcher Widerstand in Würtemberg schon dem Abschluß
des Zollvereins — allerdings aus verschiedenen Gründen — gerade von Seiten
der liberalen Partei entgegengesetzt wurde. Nicht Alle mögen wohl heute an die
Abstimmung vom 18. Nov. 1833 erinnert werden!

Doch die schutzzöllnerischen Motive waren nicht die einzigen, nicht einmal
die hauptsächlichsten, mit welchen die Gegner des Vertrags operirten, indem sie
die einzelnen Punkte desselben bekämpften. Fehlte es doch nicht an solchen,
welche abwechselnd sich aufs hohe Roß der Wissenschaft setzten und vom Stand¬
punkte des Freihandels, zu dem sie sich im Princip bekannten, die Mängel des
Vertrags ins Licht setzten. Aber alles das waren keine Punkte, mit denen
man eine populäre Agitation machen oder vielmehr die große Menge der Be¬
völkerung in den Schlummer einer octroyirten Meinung wiegen konnte. Hierzu
bedürfte es einfacherer und verständlicherer Mittel, und diese waren schon damit
gegeben, daß es ein Vertrag war, den Preußen mit Frankreich abgeschlossen
hatte.

Man durfte nur die Nachwirkungen des Jahres 1859 benutzen, die Phra¬
seologie aus jener Zeit wieder auffrischen und auf das handelspolitische Gebiet
übertragen, und die projectirte Tarifreform war zu einem Verrath an den
deutschen Interessen, zu einer Preisgebung der vaterländischen Industrie an die
Ausbeutung durch das hungrige Welschland geworden. Noch weiter gingen
bekanntlich unsre biedern Nachbarn an den kunstgeschmückten Ufern der Jsar, welche
sogar den Untergang deutscher Kunst und Wissenschaft durch die herandrängende
französische Cultur als unmittelbare Folge des Handelsvertrags in sichere Aus¬
sicht stellten. Die Selbständigkeit Deutschlands dem Erbfeind gegenüber stand
auf dem Spiel, — dies war die Parole; es galt ein nationales Interesse, für
das man mit allen Kräften einstehen mußte. Daß Preußen den Vertrag ab¬
geschlossen hatte, war nur um so schlimmer. Denn nun konnte man überdies
die herrschende Abneigung gegen diesen Staat benutzen, und man nahm keinen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114855/211>, abgerufen am 31.05.2024.