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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. IV. Band.

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tete Handelstag überhaupt gehabt hat, und welches mit dem Gewicht einer ob¬
jectiven Thatsache auf die Behandlung der Frage in den einzelnen Ländern
wieder zurückwirken muß. Unbefangene Betrachtung wird ihm in doppelter
Beziehung ein wesentliches Verdienst nicht absprechen können. Einmal hat er
gezeigt, wie richtig die Voraussicht derer war, welche seiner Zeit Bedenken ge¬
tragen hatten, den Handelstag des Zollvereins zu einem Handelstag des
bundestaglichen Deutschlands auszudehnen. Getrennte Zoll- und Handels¬
gebiete haben andere Interessen, ihre Vertreter stehen nicht auf einem gemein¬
samen Boden, und die Gefahr liegt nahe, daß gemeinsame Berathung eher
verwirrend als klärend wirke. Mit den Hansestädten ist es doch insofern ein
anderer Fall, als sie als "die Freihafen des Zollvereins" nicht ein selbständiges
großes Handelsgebiet hinter sich haben, wie dies mit Oestreich der Fall ist.
Es machte einen eigenen Eindruck, bei der Discussion über einen auswärtigen
Vertrag des Zollvereins, über sein künftiges Verhältniß zu Oestreich, über seine
innere Organisation, also lauter Fragen, die der Zollverein unter sich selbst
auszumachen hat, eine große Anzahl Nichtvereinsmitglieder mitberathen und
stimmen zu sehen. Es ist schwerlich der richtige Weg zur Einheit, die schon
vorhandenen Ansätze zur Einigung zu ignoriren oder zu neutralisiren zu Gun¬
sten einer idealen, erst zu schaffenden, bis jetzt noch aller und jeder thatsächlichen
Grundlagen entbehrenden Einheit.

Das andere Ergebniß ist das, daß der Handels- und der höhere Gewerbestand
des Zollvereins mit sehr überwiegender Mehrheit sich für den Vertrag mit Frank¬
reich, für bloße Zollerweiterung mit Oestreich, für Centralisation der Zollvereins¬
verfassung ausgesprochen hat. Nur bei der auf unbedingtes Zustandekommen
des Handelsvertrags gerichteten Resolution waren die Stimmen nahezu gleich
getheilt. Bei den anderen Anträgen waren es viel geringere Minoritäten, von
welchen man noch überdies die Vertreter der Nichtzollvereinsländer abziehen
muß, um zu einem Resultat zu gelangen. ^

Die preußische Regierung hat also -- dies ist der wichtigste Punkt -- für
die Durchführung ihrer Handelspolitik nicht blos die einstimmige Unterstützung
ihres Parlaments, sie hat auch die überwiegende Mehrheit der zvllvereinslän-
dischen Bevölkerung für sich. Die Ehre Preußens ist engagirt, dies Wort
wurde, oft genug in München gesprochen. -- Hoffentlich bleibt es kein leeres
Wort. Ist aber die preußische Negierung ernstlich zur Behauptung ihres Stand¬
punktes entschlossen, so wird sie bald die Erfahrung machen, daß die Grund¬
bedingung hierfür eine Reform der Zollvereinsverfassung im Sinn eines ein¬
heitlichen parlamentarischen Organismus ist. Es wird sich weiter zeigen, daß
diese Grundbedingung sich nicht durchführen läßt, so lange die Regierung
Preußens mit ihrer Volksvertretung und mit der öffentlichen Meinung Deutsch¬
lands im Kampfe liegt.


tete Handelstag überhaupt gehabt hat, und welches mit dem Gewicht einer ob¬
jectiven Thatsache auf die Behandlung der Frage in den einzelnen Ländern
wieder zurückwirken muß. Unbefangene Betrachtung wird ihm in doppelter
Beziehung ein wesentliches Verdienst nicht absprechen können. Einmal hat er
gezeigt, wie richtig die Voraussicht derer war, welche seiner Zeit Bedenken ge¬
tragen hatten, den Handelstag des Zollvereins zu einem Handelstag des
bundestaglichen Deutschlands auszudehnen. Getrennte Zoll- und Handels¬
gebiete haben andere Interessen, ihre Vertreter stehen nicht auf einem gemein¬
samen Boden, und die Gefahr liegt nahe, daß gemeinsame Berathung eher
verwirrend als klärend wirke. Mit den Hansestädten ist es doch insofern ein
anderer Fall, als sie als „die Freihafen des Zollvereins" nicht ein selbständiges
großes Handelsgebiet hinter sich haben, wie dies mit Oestreich der Fall ist.
Es machte einen eigenen Eindruck, bei der Discussion über einen auswärtigen
Vertrag des Zollvereins, über sein künftiges Verhältniß zu Oestreich, über seine
innere Organisation, also lauter Fragen, die der Zollverein unter sich selbst
auszumachen hat, eine große Anzahl Nichtvereinsmitglieder mitberathen und
stimmen zu sehen. Es ist schwerlich der richtige Weg zur Einheit, die schon
vorhandenen Ansätze zur Einigung zu ignoriren oder zu neutralisiren zu Gun¬
sten einer idealen, erst zu schaffenden, bis jetzt noch aller und jeder thatsächlichen
Grundlagen entbehrenden Einheit.

Das andere Ergebniß ist das, daß der Handels- und der höhere Gewerbestand
des Zollvereins mit sehr überwiegender Mehrheit sich für den Vertrag mit Frank¬
reich, für bloße Zollerweiterung mit Oestreich, für Centralisation der Zollvereins¬
verfassung ausgesprochen hat. Nur bei der auf unbedingtes Zustandekommen
des Handelsvertrags gerichteten Resolution waren die Stimmen nahezu gleich
getheilt. Bei den anderen Anträgen waren es viel geringere Minoritäten, von
welchen man noch überdies die Vertreter der Nichtzollvereinsländer abziehen
muß, um zu einem Resultat zu gelangen. ^

Die preußische Regierung hat also — dies ist der wichtigste Punkt — für
die Durchführung ihrer Handelspolitik nicht blos die einstimmige Unterstützung
ihres Parlaments, sie hat auch die überwiegende Mehrheit der zvllvereinslän-
dischen Bevölkerung für sich. Die Ehre Preußens ist engagirt, dies Wort
wurde, oft genug in München gesprochen. — Hoffentlich bleibt es kein leeres
Wort. Ist aber die preußische Negierung ernstlich zur Behauptung ihres Stand¬
punktes entschlossen, so wird sie bald die Erfahrung machen, daß die Grund¬
bedingung hierfür eine Reform der Zollvereinsverfassung im Sinn eines ein¬
heitlichen parlamentarischen Organismus ist. Es wird sich weiter zeigen, daß
diese Grundbedingung sich nicht durchführen läßt, so lange die Regierung
Preußens mit ihrer Volksvertretung und mit der öffentlichen Meinung Deutsch¬
lands im Kampfe liegt.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114855/216>, abgerufen am 14.05.2024.