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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. IV. Band.

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fanden ihn weder beredt noch geistreich. Die kleine Schnur von Gedanken,
die er abwickelte, kannte man schon zum Ueberdruß aus der Allgemeinen Zeitung
und dem Nürnberger Korrespondenten. Er scheint nicht berufen, der Bennigsen
des "deutschen Reformvereins" zu werden. Die nöthige Gewandtheit und
äußerliche Stattlichkeit hätte Herr v. Varnbüler; aber es scheint, er ist gleich
dem ehemaligen weimarischen Minister v. Wydenbrugk, der jetzt in München
lebt, allzu geschmeidig. Euren Mann, der Charakter und Würde mit hinläng¬
lichem Talent verbände, scheint man in "Großdeutschland" noch nicht aufge¬
trieben zu haben.

Zum eigentlichen Redner der Gesellschaft hat sich der großdeutsche Held
des Schützenfestes, Professor Wildauer aus Innsbruck emporgeschwungen. An
Anlagen fehlt es ihm nicht; aber sie sind im Treibhause gereift. Die tendenziösen
Ovationen und Decorationen, denen er zum passiven Object zu dienen hatte,
haben dieses noch junge Gesäß bis an den Rand mit Eitelkeit und Selbst¬
bewunderung erfüllt. Er hielt natürlich, statt sich gleich Hinz oder Kunz in die
Debatte zu mischen, eine "große Rede", und zwar vorsorglich erst am zweiten
Tage, wo er und die Hörer wärmer geworden waren. Wie man ihn dann
mit dem schon obligat gewordenen Beifall empfing, ließ er sich verleiten, die
Gründe des Bravoruscns selbstgefällig zu seciren. Dann kamen die studirten
Phrasen -- so sehr studirt, daß er die letzte pathetische Variation ganz mechanisch
mit klanglos gesunkener Stimme vortrug. Das machte selbst diese willigen
Bewunderer stutzig. Sie begleiteten ihn nicht länger mit ihrer lauten Zu¬
stimmung, als er. sich nun so weit vergaß, die Redner des ersten Tags der
Reihe nach in stinkende Weihrauchwolken zu hüllen -- in lauter eitlen Ge¬
meinplätzen zu versichern, daß er und seine Freunde das wahre Salz der Erde
seien. Die Versammlung fand ihren Enthusiasmus erst wieder bei den Anzüg¬
lichkeiten, welche etwas später auf den Nationalverein geschleudert wurden, der
die in allen Herzen lebende großdeutsche Idee aus vielen herausgeredet, ja
hinausgelogen und hinausgeschwindelt habe! Stürmischer Beifall folgte diesem
Kraftspruch, während die Stimme des Erlanger Professor v. schnürt, derben
Gegnern gleiche Vaterlands- und Freiheitsliebe vindicirte, in Schlußrufen er¬
stickt ward. Ueberhaupt konnte man sehen, daß, wenn Geheimräthe, Ritter¬
gutsbesitzer und Geistliche in Masse zusammenkommen, es eben auch eine Masse
ist. Die Frankfurter Versammlung benahm sich in ihren unwillkürlichen Aeuße¬
rungen nicht vernünftiger, als ein Haufe demokratischer Handwerker oder
Bauern auch.

Das reaktionäre geistliche Element, katholisches wie protestantisches, hatte
natürlich nicht formell ausgeschlossen werden können. Aber man hielt es vor¬
sichtig im Hintergrunde. Auf der Einladung figurirte weder Hofrath Buß,
noch Herr v. Andlaw, die doch beide nur Laienbrüder des Ultramontanismus


fanden ihn weder beredt noch geistreich. Die kleine Schnur von Gedanken,
die er abwickelte, kannte man schon zum Ueberdruß aus der Allgemeinen Zeitung
und dem Nürnberger Korrespondenten. Er scheint nicht berufen, der Bennigsen
des „deutschen Reformvereins" zu werden. Die nöthige Gewandtheit und
äußerliche Stattlichkeit hätte Herr v. Varnbüler; aber es scheint, er ist gleich
dem ehemaligen weimarischen Minister v. Wydenbrugk, der jetzt in München
lebt, allzu geschmeidig. Euren Mann, der Charakter und Würde mit hinläng¬
lichem Talent verbände, scheint man in „Großdeutschland" noch nicht aufge¬
trieben zu haben.

Zum eigentlichen Redner der Gesellschaft hat sich der großdeutsche Held
des Schützenfestes, Professor Wildauer aus Innsbruck emporgeschwungen. An
Anlagen fehlt es ihm nicht; aber sie sind im Treibhause gereift. Die tendenziösen
Ovationen und Decorationen, denen er zum passiven Object zu dienen hatte,
haben dieses noch junge Gesäß bis an den Rand mit Eitelkeit und Selbst¬
bewunderung erfüllt. Er hielt natürlich, statt sich gleich Hinz oder Kunz in die
Debatte zu mischen, eine „große Rede", und zwar vorsorglich erst am zweiten
Tage, wo er und die Hörer wärmer geworden waren. Wie man ihn dann
mit dem schon obligat gewordenen Beifall empfing, ließ er sich verleiten, die
Gründe des Bravoruscns selbstgefällig zu seciren. Dann kamen die studirten
Phrasen — so sehr studirt, daß er die letzte pathetische Variation ganz mechanisch
mit klanglos gesunkener Stimme vortrug. Das machte selbst diese willigen
Bewunderer stutzig. Sie begleiteten ihn nicht länger mit ihrer lauten Zu¬
stimmung, als er. sich nun so weit vergaß, die Redner des ersten Tags der
Reihe nach in stinkende Weihrauchwolken zu hüllen — in lauter eitlen Ge¬
meinplätzen zu versichern, daß er und seine Freunde das wahre Salz der Erde
seien. Die Versammlung fand ihren Enthusiasmus erst wieder bei den Anzüg¬
lichkeiten, welche etwas später auf den Nationalverein geschleudert wurden, der
die in allen Herzen lebende großdeutsche Idee aus vielen herausgeredet, ja
hinausgelogen und hinausgeschwindelt habe! Stürmischer Beifall folgte diesem
Kraftspruch, während die Stimme des Erlanger Professor v. schnürt, derben
Gegnern gleiche Vaterlands- und Freiheitsliebe vindicirte, in Schlußrufen er¬
stickt ward. Ueberhaupt konnte man sehen, daß, wenn Geheimräthe, Ritter¬
gutsbesitzer und Geistliche in Masse zusammenkommen, es eben auch eine Masse
ist. Die Frankfurter Versammlung benahm sich in ihren unwillkürlichen Aeuße¬
rungen nicht vernünftiger, als ein Haufe demokratischer Handwerker oder
Bauern auch.

Das reaktionäre geistliche Element, katholisches wie protestantisches, hatte
natürlich nicht formell ausgeschlossen werden können. Aber man hielt es vor¬
sichtig im Hintergrunde. Auf der Einladung figurirte weder Hofrath Buß,
noch Herr v. Andlaw, die doch beide nur Laienbrüder des Ultramontanismus


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114855/255>, abgerufen am 14.05.2024.