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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. IV. Band.

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Die Idee, die der Agitation gegen den Handelsvertrag zu Grunde liegt,
ist die alte, die bei den verschiedensten Gelegenheiten und in den verschiedensten
Gestalten immer wieder zu Tage tritt: aus politischem und wirthschaftlichen Ge¬
biete keine Gestaltung sich vollziehen zu lassen, die Deutschland unabhängig auf
sich selbst stellt und frei von der Unterordnung unter ein specifisch-östreichisches
Interesse, und ganz besonders jeden Gedanken zu negiren und' unausführbar
zu machen, der in dieser Richtung von Preußen ausgeht. Eine Verjüngung
des Zollvereins auf der Grundlage einer Tarisermäßigung und einer größern
Freiheit des Verkehrs würde Deutschland wirthschaftlich und somit auch poli¬
tisch erstarken machen, und darum muß sie verhindert werden. Außerdem ist
es Oestreich unbequem, weil dasselbe mit seiner weniger entwickelten Industrie
und seinen Schutz- und Prohibitivzöllen nur langsam'nachhinken kann, und
darum muß unser Fortschreiten auch gehemmt werden, "damit die östreichische
Landwehr nachkommen kann!" Und darum wirft sich Alles, was mit klarem
Bewußtsein oder instinktmäßig das östreichische. Interesse vertritt und dieser Lei¬
tung folgt, als da sind Junkerthum und Reaction, demokratisches Großdeutschthum
und dynastischer Particularismus, mit allem Eifer gegen den Handelsvertrag, ver¬
wirrt die an sich rein wirthschaftliche Frage und organisirt einen politischen Partei-
haß, dessen Endzweck vollständig erreicht ist, wenn die unentbehrliche und durch
den Handelsvertrag angebahnte Reform des Zollvereins verhindert ist; erreicht
man mehr, um so besser. Jeder unbefangene Sachkundige weiß, daß der ent¬
setzliche Lärm, den man macht über angebliches Einspruchsrecht Oestreichs gegen
, den Vertrag auf Grund seines Bundesrechtes und auf Grund seines Vertrags
von 1853 nichts als hohle Phrase ist, wofür nicht der Schein eines Bewei¬
ses hat beigebracht werden können, und durch die sächsische Regierung wie durch
die sächsischen Kammern ist der völlige Ungrund gerade dieses Einwandes auf
das schlagendste nachgewiesen worden. Aber es paßt in den Plan, die Frage
auf diese Weise zu verwirren und zu einer politischen zu machen. Jeder Un¬
befangene weiß auch, daß das Erbieten Oestreichs zum Eintritt in den Zoll¬
verein mit seinem ganzen Ländergebiet in dieselbe Kategorie gehört. Abge¬
sehen davon, daß eine wirkliche Zolleinigung zwischen zwei Großmächten
schon an sich ein völliges Unding ist, würde das, was Oestreich verlangt,
nicht sein Eintritt in den deutschen Zollverein, sondern Deutschlands Eintritt
in das östreichische Zollsystem heißen müssen. Für Oestreich ist der jetzige Zoll¬
vereinstarif schon ein Hinderniß des Eintritts, uns drängt unser Interesse aus
größere Verkehrsfreiheit, auf niedrigern Tarif, und Oestreichs Eintritt würde
somit für uns nichts sein als ein uns angehangnes Bleigewicht, das uns zum
Stillstand nöthigte. Im Ernste handelt es sich aber gar nicht um diesen Ein¬
tritt, sondern nur um Vereitelung des Handelsvertrages, der ein erster Schritt
sein würde, um wirthschaftlich und,politisch unsre Position zu festigen. Um so


Die Idee, die der Agitation gegen den Handelsvertrag zu Grunde liegt,
ist die alte, die bei den verschiedensten Gelegenheiten und in den verschiedensten
Gestalten immer wieder zu Tage tritt: aus politischem und wirthschaftlichen Ge¬
biete keine Gestaltung sich vollziehen zu lassen, die Deutschland unabhängig auf
sich selbst stellt und frei von der Unterordnung unter ein specifisch-östreichisches
Interesse, und ganz besonders jeden Gedanken zu negiren und' unausführbar
zu machen, der in dieser Richtung von Preußen ausgeht. Eine Verjüngung
des Zollvereins auf der Grundlage einer Tarisermäßigung und einer größern
Freiheit des Verkehrs würde Deutschland wirthschaftlich und somit auch poli¬
tisch erstarken machen, und darum muß sie verhindert werden. Außerdem ist
es Oestreich unbequem, weil dasselbe mit seiner weniger entwickelten Industrie
und seinen Schutz- und Prohibitivzöllen nur langsam'nachhinken kann, und
darum muß unser Fortschreiten auch gehemmt werden, „damit die östreichische
Landwehr nachkommen kann!" Und darum wirft sich Alles, was mit klarem
Bewußtsein oder instinktmäßig das östreichische. Interesse vertritt und dieser Lei¬
tung folgt, als da sind Junkerthum und Reaction, demokratisches Großdeutschthum
und dynastischer Particularismus, mit allem Eifer gegen den Handelsvertrag, ver¬
wirrt die an sich rein wirthschaftliche Frage und organisirt einen politischen Partei-
haß, dessen Endzweck vollständig erreicht ist, wenn die unentbehrliche und durch
den Handelsvertrag angebahnte Reform des Zollvereins verhindert ist; erreicht
man mehr, um so besser. Jeder unbefangene Sachkundige weiß, daß der ent¬
setzliche Lärm, den man macht über angebliches Einspruchsrecht Oestreichs gegen
, den Vertrag auf Grund seines Bundesrechtes und auf Grund seines Vertrags
von 1853 nichts als hohle Phrase ist, wofür nicht der Schein eines Bewei¬
ses hat beigebracht werden können, und durch die sächsische Regierung wie durch
die sächsischen Kammern ist der völlige Ungrund gerade dieses Einwandes auf
das schlagendste nachgewiesen worden. Aber es paßt in den Plan, die Frage
auf diese Weise zu verwirren und zu einer politischen zu machen. Jeder Un¬
befangene weiß auch, daß das Erbieten Oestreichs zum Eintritt in den Zoll¬
verein mit seinem ganzen Ländergebiet in dieselbe Kategorie gehört. Abge¬
sehen davon, daß eine wirkliche Zolleinigung zwischen zwei Großmächten
schon an sich ein völliges Unding ist, würde das, was Oestreich verlangt,
nicht sein Eintritt in den deutschen Zollverein, sondern Deutschlands Eintritt
in das östreichische Zollsystem heißen müssen. Für Oestreich ist der jetzige Zoll¬
vereinstarif schon ein Hinderniß des Eintritts, uns drängt unser Interesse aus
größere Verkehrsfreiheit, auf niedrigern Tarif, und Oestreichs Eintritt würde
somit für uns nichts sein als ein uns angehangnes Bleigewicht, das uns zum
Stillstand nöthigte. Im Ernste handelt es sich aber gar nicht um diesen Ein¬
tritt, sondern nur um Vereitelung des Handelsvertrages, der ein erster Schritt
sein würde, um wirthschaftlich und,politisch unsre Position zu festigen. Um so


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[0295] Die Idee, die der Agitation gegen den Handelsvertrag zu Grunde liegt, ist die alte, die bei den verschiedensten Gelegenheiten und in den verschiedensten Gestalten immer wieder zu Tage tritt: aus politischem und wirthschaftlichen Ge¬ biete keine Gestaltung sich vollziehen zu lassen, die Deutschland unabhängig auf sich selbst stellt und frei von der Unterordnung unter ein specifisch-östreichisches Interesse, und ganz besonders jeden Gedanken zu negiren und' unausführbar zu machen, der in dieser Richtung von Preußen ausgeht. Eine Verjüngung des Zollvereins auf der Grundlage einer Tarisermäßigung und einer größern Freiheit des Verkehrs würde Deutschland wirthschaftlich und somit auch poli¬ tisch erstarken machen, und darum muß sie verhindert werden. Außerdem ist es Oestreich unbequem, weil dasselbe mit seiner weniger entwickelten Industrie und seinen Schutz- und Prohibitivzöllen nur langsam'nachhinken kann, und darum muß unser Fortschreiten auch gehemmt werden, „damit die östreichische Landwehr nachkommen kann!" Und darum wirft sich Alles, was mit klarem Bewußtsein oder instinktmäßig das östreichische. Interesse vertritt und dieser Lei¬ tung folgt, als da sind Junkerthum und Reaction, demokratisches Großdeutschthum und dynastischer Particularismus, mit allem Eifer gegen den Handelsvertrag, ver¬ wirrt die an sich rein wirthschaftliche Frage und organisirt einen politischen Partei- haß, dessen Endzweck vollständig erreicht ist, wenn die unentbehrliche und durch den Handelsvertrag angebahnte Reform des Zollvereins verhindert ist; erreicht man mehr, um so besser. Jeder unbefangene Sachkundige weiß, daß der ent¬ setzliche Lärm, den man macht über angebliches Einspruchsrecht Oestreichs gegen , den Vertrag auf Grund seines Bundesrechtes und auf Grund seines Vertrags von 1853 nichts als hohle Phrase ist, wofür nicht der Schein eines Bewei¬ ses hat beigebracht werden können, und durch die sächsische Regierung wie durch die sächsischen Kammern ist der völlige Ungrund gerade dieses Einwandes auf das schlagendste nachgewiesen worden. Aber es paßt in den Plan, die Frage auf diese Weise zu verwirren und zu einer politischen zu machen. Jeder Un¬ befangene weiß auch, daß das Erbieten Oestreichs zum Eintritt in den Zoll¬ verein mit seinem ganzen Ländergebiet in dieselbe Kategorie gehört. Abge¬ sehen davon, daß eine wirkliche Zolleinigung zwischen zwei Großmächten schon an sich ein völliges Unding ist, würde das, was Oestreich verlangt, nicht sein Eintritt in den deutschen Zollverein, sondern Deutschlands Eintritt in das östreichische Zollsystem heißen müssen. Für Oestreich ist der jetzige Zoll¬ vereinstarif schon ein Hinderniß des Eintritts, uns drängt unser Interesse aus größere Verkehrsfreiheit, auf niedrigern Tarif, und Oestreichs Eintritt würde somit für uns nichts sein als ein uns angehangnes Bleigewicht, das uns zum Stillstand nöthigte. Im Ernste handelt es sich aber gar nicht um diesen Ein¬ tritt, sondern nur um Vereitelung des Handelsvertrages, der ein erster Schritt sein würde, um wirthschaftlich und,politisch unsre Position zu festigen. Um so

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114855/295>, abgerufen am 14.05.2024.