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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. IV. Band.

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Einrichtungen festhält, daß sie in der Landtagsversammlung Anträge, welche
die Reform der Landesverfassung zum Gegenstand haben, nicht einmal zur Ver¬
handlung glaubt zulassen zu dürfen.

Es soll hier nicht die staatsrechtliche Frage, ob das Staatsgrundgesetz in
rechtsgültiger Weise beseitigt sei und die factisch wieder eingeführte alte Landes¬
verfassung zu Recht bestehe, einer neuen Erörterung unterzogen werden. In
dieser Beziehung genügt ein Hinweis auf die Schrift: "Das Verfassungsrecht
im Großherzogthum Mecklenburg-Schwerin" von Julius Wiggers (Berlin, 1860)
und auf das im mecklenburgischen Volke lebende, in den evidentesten Zeugnissen
vorliegende Rechtsbewußtsein. Es soll hier nur auf die Frage etwas näher
eingegangen werden, welches denn die Verdienste sind, die der Adel sich um
das Land erworben, und welche Leistungen er aufzuweisen hat, um darauf die
Behauptung zu stützen, daß unter der Landesverfassung, welche ihm einen so
entscheidenden Einfluß auf die öffentlichen Angelegenheiten gewährt, Mecklen¬
burg stets ein glückliches und zufriedenes Land gewesen sei und base^r eine
bessere Verfassung als die jetzige gar nicht wünschen könne. Es handelt sich
darum, durch einen Rückblick auf die Geschichte festzustellen, ob der Adel seine
politische Macht benutzt hat, um den Interessen des Landes zu dienen, oder
ob er dieselbe nicht vielmehr ausschließlich im Dienste seiner eigenen Interessen
ausgebeutet hat.

Was über das Treiben der im, Lande mit Gütern angesessenen Geschlechter
während des Mittelalters berichtet wird, mag gerade nicht übler lauten als
die Berichte aus anderen Ländern, gereicht denselben aber jedenfalls nicht zur
Empfehlung. Fehden der Ritter mit den Bürgern, Raub und Plünderung, von
ritterlichen Wegelagerern verübt, füllen auch in Mecklenburg jedes Blatt der Ge¬
schichte jenes Zeitraums. Nur mühsam vermochten, im Bunde mit den Städten,
die Landesherren diesem Unwesen einige Schranken zu setzen. Einer der lente-
ren, welcher mit besonderem Eifer der Ausrottung des adeligen Straßenraubs
oblag und nicht blos jeden Gewaltthätigen ohne Ausnahme und Gnade denken
ließ, sondern auch in vielen Fällen mit eigner Hand diese Execution vollzog,
ist dafür von den Geschichtschreibern durch den Beinamen der Henker (Hsniieus
suspensoi-, t 1383) ausgezeichnet worden. Im Jahre 1385 vereinigten sich
die Seestädte mit dem Landesfürsten, um die gefährlichsten Ritterburgen zu zer¬
stören, bei welcher Gelegenheit von den Malchiner Bürgern ein Maltzan auf
der Burg Schorssow erschlagen ward. Die Sorge um die Sicherheit der Land¬
straßen ward aber von den Fürsten nicht umsonst gewährt. Der Reisende
mußte für sicheres Geleit einen Zoll entrichten, und dieser sogenannte Landzoll,
von dessen Entrichtung jedoch der Ritter sich frei zu erhalten wußte, hat sich
an mehr als 50 Stellen im Lande bis auf den heutigen Tag erhalten und
bildet eine der Hauptplagen des Verkehrs und ein trauriges Denkmal der


Einrichtungen festhält, daß sie in der Landtagsversammlung Anträge, welche
die Reform der Landesverfassung zum Gegenstand haben, nicht einmal zur Ver¬
handlung glaubt zulassen zu dürfen.

Es soll hier nicht die staatsrechtliche Frage, ob das Staatsgrundgesetz in
rechtsgültiger Weise beseitigt sei und die factisch wieder eingeführte alte Landes¬
verfassung zu Recht bestehe, einer neuen Erörterung unterzogen werden. In
dieser Beziehung genügt ein Hinweis auf die Schrift: „Das Verfassungsrecht
im Großherzogthum Mecklenburg-Schwerin" von Julius Wiggers (Berlin, 1860)
und auf das im mecklenburgischen Volke lebende, in den evidentesten Zeugnissen
vorliegende Rechtsbewußtsein. Es soll hier nur auf die Frage etwas näher
eingegangen werden, welches denn die Verdienste sind, die der Adel sich um
das Land erworben, und welche Leistungen er aufzuweisen hat, um darauf die
Behauptung zu stützen, daß unter der Landesverfassung, welche ihm einen so
entscheidenden Einfluß auf die öffentlichen Angelegenheiten gewährt, Mecklen¬
burg stets ein glückliches und zufriedenes Land gewesen sei und base^r eine
bessere Verfassung als die jetzige gar nicht wünschen könne. Es handelt sich
darum, durch einen Rückblick auf die Geschichte festzustellen, ob der Adel seine
politische Macht benutzt hat, um den Interessen des Landes zu dienen, oder
ob er dieselbe nicht vielmehr ausschließlich im Dienste seiner eigenen Interessen
ausgebeutet hat.

Was über das Treiben der im, Lande mit Gütern angesessenen Geschlechter
während des Mittelalters berichtet wird, mag gerade nicht übler lauten als
die Berichte aus anderen Ländern, gereicht denselben aber jedenfalls nicht zur
Empfehlung. Fehden der Ritter mit den Bürgern, Raub und Plünderung, von
ritterlichen Wegelagerern verübt, füllen auch in Mecklenburg jedes Blatt der Ge¬
schichte jenes Zeitraums. Nur mühsam vermochten, im Bunde mit den Städten,
die Landesherren diesem Unwesen einige Schranken zu setzen. Einer der lente-
ren, welcher mit besonderem Eifer der Ausrottung des adeligen Straßenraubs
oblag und nicht blos jeden Gewaltthätigen ohne Ausnahme und Gnade denken
ließ, sondern auch in vielen Fällen mit eigner Hand diese Execution vollzog,
ist dafür von den Geschichtschreibern durch den Beinamen der Henker (Hsniieus
suspensoi-, t 1383) ausgezeichnet worden. Im Jahre 1385 vereinigten sich
die Seestädte mit dem Landesfürsten, um die gefährlichsten Ritterburgen zu zer¬
stören, bei welcher Gelegenheit von den Malchiner Bürgern ein Maltzan auf
der Burg Schorssow erschlagen ward. Die Sorge um die Sicherheit der Land¬
straßen ward aber von den Fürsten nicht umsonst gewährt. Der Reisende
mußte für sicheres Geleit einen Zoll entrichten, und dieser sogenannte Landzoll,
von dessen Entrichtung jedoch der Ritter sich frei zu erhalten wußte, hat sich
an mehr als 50 Stellen im Lande bis auf den heutigen Tag erhalten und
bildet eine der Hauptplagen des Verkehrs und ein trauriges Denkmal der


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114855/300>, abgerufen am 15.05.2024.