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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. IV. Band.

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wen auch außerhalb der Grenzen ihrer Wirksamkeit erworben, in der deutschen
Frage aber zu immer einseitigeren Verfechtern des Particularismus sich ausgebildet,
der Politik der Würzburger Regierungen sich angeschlossen haben und ihren letzten
Rückhalt in Oestreich suchen. Daß sie diesen nur im östreichischen Cabinet.
nicht aber im östreichischen Volke finden, beweist eben die Geschichte dieser Ver¬
sammlung zur Evidenz. Denn obwohl eben diese Versammlung wesentlich dem
deutschen Bruderstämme galt, welchen "eine gewisse Partei" so schändlicher Weise
vom Leib des deutschen Reichs abreißen will, so zeigte doch das östreichische
Volk keine sonderliche Lust, diese Vertheidiger seiner Interessen anzuerkennen.
Waren die Oestreicher in Weimar gar nicht erschienen, so erschien auch in Frank¬
furt nur eine verhältnißmäßig geringe Anzahl dem jetzigen Ministerium Erge¬
bener. Die Unabhängigen und mit ihnen die gewichtigsten Namen hielten sich
fern. Sie hatten freilich den triftigsten Grund und machten daraus kein Hehl.
Es war derselbe Grund, aus dem sie auch in Weimar nicht erschienen waren,
weil nämlich der durch die Februarverfassung geschaffene Einheitsstaat jede po¬
sitive Theilnahme Oestreichs an der deutschen Reform von selbst ausschließt.

Wären diese unabhängigen Oestreicher gekommen und mit ihnen die demo¬
kratischen Zuzüge, welche eine Zeit lang zu erwarten schienen, so hätte leicht
die Versammlung einen wesentlich anderen Charakter angenommen. So aber
hielt sich auch die Demokratie fern. Aus Würtemberg stellte sich, als es zur
Abreise ging, nur ein kleines Häuflein unter die Fahne Moritz Mohls. --
lauter Katholiken. Die Sachsen begnügten sich weise mit einem Gruß nebst
Zuschrift aus der Ferne. Was dann sonst noch sich zusammenfand, war ein
bunter Haufe vorwiegend katholischer, dann auch adliger und bureaukratischer
Elemente, zumeist aus den Mittelstaaten, aus welchem kaum da und dort ein
bekannter, in die nationalen vaterländischen Bestrebungen verflochtener Name
emportauchte. Unter diesen Umständen war die Führung der Bayern un¬
bestritten, und Herr Weis konnte, als er den Präsidentenstuhl betrat, mit
Recht die ihm zu Theil gewordene Ehre dem Stamm, den er vertrat, zuweisen.
Daß eine allgemeine Vertretung der deutschen Nation erreicht war. werden
selbst die enthusiastischen Lobredner nicht behaupten. Das Plattdeutsch, welches
der hannoversche Junker beim Nachtisch zum Besten gab oder die Kapuzinade
des Pfarrers Michelis aus Münster konnten doch schwerlich als eine vollwich¬
tige Vertretung Norddeutschlands erscheinen. So lag auf der Versammlung ein
wesentlich provincielles Gepräge; hatte sie überhaupt ein allgemeines, so lag
es mehr in der bestimmten Konfession, die in allen Nuancen vertreten war.

Auch so noch aber war die Gesellschaft gemischt genug. Der fanatische
Demokrat und der heißspornige Junker, der hochstehende Bureaukrat und der
schlichte Landmann, der ultramontane Kaplan und der hochkirchliche Consistorial-
rath -- wahrlich es gehörte eine geschickte Disciplin dazu, um diese frein-


wen auch außerhalb der Grenzen ihrer Wirksamkeit erworben, in der deutschen
Frage aber zu immer einseitigeren Verfechtern des Particularismus sich ausgebildet,
der Politik der Würzburger Regierungen sich angeschlossen haben und ihren letzten
Rückhalt in Oestreich suchen. Daß sie diesen nur im östreichischen Cabinet.
nicht aber im östreichischen Volke finden, beweist eben die Geschichte dieser Ver¬
sammlung zur Evidenz. Denn obwohl eben diese Versammlung wesentlich dem
deutschen Bruderstämme galt, welchen „eine gewisse Partei" so schändlicher Weise
vom Leib des deutschen Reichs abreißen will, so zeigte doch das östreichische
Volk keine sonderliche Lust, diese Vertheidiger seiner Interessen anzuerkennen.
Waren die Oestreicher in Weimar gar nicht erschienen, so erschien auch in Frank¬
furt nur eine verhältnißmäßig geringe Anzahl dem jetzigen Ministerium Erge¬
bener. Die Unabhängigen und mit ihnen die gewichtigsten Namen hielten sich
fern. Sie hatten freilich den triftigsten Grund und machten daraus kein Hehl.
Es war derselbe Grund, aus dem sie auch in Weimar nicht erschienen waren,
weil nämlich der durch die Februarverfassung geschaffene Einheitsstaat jede po¬
sitive Theilnahme Oestreichs an der deutschen Reform von selbst ausschließt.

Wären diese unabhängigen Oestreicher gekommen und mit ihnen die demo¬
kratischen Zuzüge, welche eine Zeit lang zu erwarten schienen, so hätte leicht
die Versammlung einen wesentlich anderen Charakter angenommen. So aber
hielt sich auch die Demokratie fern. Aus Würtemberg stellte sich, als es zur
Abreise ging, nur ein kleines Häuflein unter die Fahne Moritz Mohls. —
lauter Katholiken. Die Sachsen begnügten sich weise mit einem Gruß nebst
Zuschrift aus der Ferne. Was dann sonst noch sich zusammenfand, war ein
bunter Haufe vorwiegend katholischer, dann auch adliger und bureaukratischer
Elemente, zumeist aus den Mittelstaaten, aus welchem kaum da und dort ein
bekannter, in die nationalen vaterländischen Bestrebungen verflochtener Name
emportauchte. Unter diesen Umständen war die Führung der Bayern un¬
bestritten, und Herr Weis konnte, als er den Präsidentenstuhl betrat, mit
Recht die ihm zu Theil gewordene Ehre dem Stamm, den er vertrat, zuweisen.
Daß eine allgemeine Vertretung der deutschen Nation erreicht war. werden
selbst die enthusiastischen Lobredner nicht behaupten. Das Plattdeutsch, welches
der hannoversche Junker beim Nachtisch zum Besten gab oder die Kapuzinade
des Pfarrers Michelis aus Münster konnten doch schwerlich als eine vollwich¬
tige Vertretung Norddeutschlands erscheinen. So lag auf der Versammlung ein
wesentlich provincielles Gepräge; hatte sie überhaupt ein allgemeines, so lag
es mehr in der bestimmten Konfession, die in allen Nuancen vertreten war.

Auch so noch aber war die Gesellschaft gemischt genug. Der fanatische
Demokrat und der heißspornige Junker, der hochstehende Bureaukrat und der
schlichte Landmann, der ultramontane Kaplan und der hochkirchliche Consistorial-
rath — wahrlich es gehörte eine geschickte Disciplin dazu, um diese frein-


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[0308] wen auch außerhalb der Grenzen ihrer Wirksamkeit erworben, in der deutschen Frage aber zu immer einseitigeren Verfechtern des Particularismus sich ausgebildet, der Politik der Würzburger Regierungen sich angeschlossen haben und ihren letzten Rückhalt in Oestreich suchen. Daß sie diesen nur im östreichischen Cabinet. nicht aber im östreichischen Volke finden, beweist eben die Geschichte dieser Ver¬ sammlung zur Evidenz. Denn obwohl eben diese Versammlung wesentlich dem deutschen Bruderstämme galt, welchen „eine gewisse Partei" so schändlicher Weise vom Leib des deutschen Reichs abreißen will, so zeigte doch das östreichische Volk keine sonderliche Lust, diese Vertheidiger seiner Interessen anzuerkennen. Waren die Oestreicher in Weimar gar nicht erschienen, so erschien auch in Frank¬ furt nur eine verhältnißmäßig geringe Anzahl dem jetzigen Ministerium Erge¬ bener. Die Unabhängigen und mit ihnen die gewichtigsten Namen hielten sich fern. Sie hatten freilich den triftigsten Grund und machten daraus kein Hehl. Es war derselbe Grund, aus dem sie auch in Weimar nicht erschienen waren, weil nämlich der durch die Februarverfassung geschaffene Einheitsstaat jede po¬ sitive Theilnahme Oestreichs an der deutschen Reform von selbst ausschließt. Wären diese unabhängigen Oestreicher gekommen und mit ihnen die demo¬ kratischen Zuzüge, welche eine Zeit lang zu erwarten schienen, so hätte leicht die Versammlung einen wesentlich anderen Charakter angenommen. So aber hielt sich auch die Demokratie fern. Aus Würtemberg stellte sich, als es zur Abreise ging, nur ein kleines Häuflein unter die Fahne Moritz Mohls. — lauter Katholiken. Die Sachsen begnügten sich weise mit einem Gruß nebst Zuschrift aus der Ferne. Was dann sonst noch sich zusammenfand, war ein bunter Haufe vorwiegend katholischer, dann auch adliger und bureaukratischer Elemente, zumeist aus den Mittelstaaten, aus welchem kaum da und dort ein bekannter, in die nationalen vaterländischen Bestrebungen verflochtener Name emportauchte. Unter diesen Umständen war die Führung der Bayern un¬ bestritten, und Herr Weis konnte, als er den Präsidentenstuhl betrat, mit Recht die ihm zu Theil gewordene Ehre dem Stamm, den er vertrat, zuweisen. Daß eine allgemeine Vertretung der deutschen Nation erreicht war. werden selbst die enthusiastischen Lobredner nicht behaupten. Das Plattdeutsch, welches der hannoversche Junker beim Nachtisch zum Besten gab oder die Kapuzinade des Pfarrers Michelis aus Münster konnten doch schwerlich als eine vollwich¬ tige Vertretung Norddeutschlands erscheinen. So lag auf der Versammlung ein wesentlich provincielles Gepräge; hatte sie überhaupt ein allgemeines, so lag es mehr in der bestimmten Konfession, die in allen Nuancen vertreten war. Auch so noch aber war die Gesellschaft gemischt genug. Der fanatische Demokrat und der heißspornige Junker, der hochstehende Bureaukrat und der schlichte Landmann, der ultramontane Kaplan und der hochkirchliche Consistorial- rath — wahrlich es gehörte eine geschickte Disciplin dazu, um diese frein-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114855/308>, abgerufen am 15.05.2024.