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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. IV. Band.

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seine Ansichten geändert hatte, war seit längerer Zeit kein Geheimniß, im
Jahre 1859 war es bereits in die Oeffentlichkeit gedrungen. Gleichwohl mußte
es Bedauern erwecken, als er in Weimar offen seinen Abfall von der
einst von ihm so warm vertretenen Sache erklärte, das Bedauern mußte sich
steigern, als derselbe Mann nun im anderen Lager erschien und das Beifalls¬
geschrei seiner einstigen Gegner über sich ergehen lassen mußte. Wir wissen
nicht, ob der Jubel, mit dem er in Frankfurt überschüttet wurde, ihn tröstete für
die einsame Stellung, in der er sich zu Weimar befand, ob er ihn erinnerte an
die Tage, da er in derselben Stadt der hochgefeierte Führer derjenigen Partei war,
der er sich nun entgegenstellt. Vielleicht hat er doch selber gefühlt, daß er
hier nicht weniger einsam stand als er in Weimar gewesen. In der That bil¬
deten Gagerns wohldurchdachte Einwendungen einen bemerkenswerthen Gegensatz
gegen die Eile, mit der die Versammlung über alles Principielle hinwegglitt.
schlagend wies er nach, wie ungenügend eine Delegirtenversammlung sei, und
wie diese Stelle nur eine wirkliche Nationalvertretung einnehmen könne. Nicht
minder zutreffend war die Bemerkung, daß ohne die Entscheidung der Frage der
Executive das Debattiren über die Volksvertretung völlig in der Luft schwebe und
demgemäß auch ein Urtheil' über die Delegirtenversammlung zu suspendiren sei.
Er endlich prcicisirte auch das Verhältniß zu Oestreich wenigstens insofern als
er eine Bundesreform mit Einschluß Oestreichs nur mit der Aushebung des
östreichischen Einheitsstaats für möglich erklärte.

In dieser Beziehung fiel nur Eines auf. Auch in Weimar hatte er dieses
Verhältniß erörtert und umständlich entwickelt, daß die Aufhebung der Februar-
vcrfassung die Grundbedingung einer Bundesreform mit Einschluß Oestreichs
sei. In Frankfurt faßte er sich hierüber weit kürzer und betonte, daß jene Be¬
dingung bereits erfüllt, daß die Auflösung des östreichischen Einheitsstaats schon
erreicht oder doch wenigstens zugesagt sei, indem Oestreich nach dem Project
des Grafen Rechberg nur mit den deutschen Provinzen die Delegirtenversamm¬
lung beschicken wolle. In Weimar, wo ohnedies Jedermann von der Unerlä߬
lichkeit jener Bedingung überzeugt war, verbreitete er sich in längerer Rede dar¬
über, in Frankfurt, wo gerade in dieser Beziehung eine Schärfung der Gewis¬
sen Noth that, wo es ganz am Platze war, das Unsinnige der großdeutschen
Theorie aufzudecken, die zugleich den Schmerlingschen Einheitsstaat und die
deutsche Bundesreform mit Einschluß Oestreichs will, schläferte er die Gewissen
ein durch die Behauptung, daß Oestreich jene Bedingung erfüllt habe, und das
in einem Augenblick, wo Schmerling soeben wiederholt versichert hatte, daß
an der Februarversassung unverbrüchlich werde festgehalten werden! Hier liegt
ein Räthsel vor. das wir nicht zu lösen vermögen.

Die neuere Geschichte Italiens erzählt von einem edlen Patrioten, der
durch grausame Strafe, mit der ihn der Feind seines Vaterlandes belegt, aus


seine Ansichten geändert hatte, war seit längerer Zeit kein Geheimniß, im
Jahre 1859 war es bereits in die Oeffentlichkeit gedrungen. Gleichwohl mußte
es Bedauern erwecken, als er in Weimar offen seinen Abfall von der
einst von ihm so warm vertretenen Sache erklärte, das Bedauern mußte sich
steigern, als derselbe Mann nun im anderen Lager erschien und das Beifalls¬
geschrei seiner einstigen Gegner über sich ergehen lassen mußte. Wir wissen
nicht, ob der Jubel, mit dem er in Frankfurt überschüttet wurde, ihn tröstete für
die einsame Stellung, in der er sich zu Weimar befand, ob er ihn erinnerte an
die Tage, da er in derselben Stadt der hochgefeierte Führer derjenigen Partei war,
der er sich nun entgegenstellt. Vielleicht hat er doch selber gefühlt, daß er
hier nicht weniger einsam stand als er in Weimar gewesen. In der That bil¬
deten Gagerns wohldurchdachte Einwendungen einen bemerkenswerthen Gegensatz
gegen die Eile, mit der die Versammlung über alles Principielle hinwegglitt.
schlagend wies er nach, wie ungenügend eine Delegirtenversammlung sei, und
wie diese Stelle nur eine wirkliche Nationalvertretung einnehmen könne. Nicht
minder zutreffend war die Bemerkung, daß ohne die Entscheidung der Frage der
Executive das Debattiren über die Volksvertretung völlig in der Luft schwebe und
demgemäß auch ein Urtheil' über die Delegirtenversammlung zu suspendiren sei.
Er endlich prcicisirte auch das Verhältniß zu Oestreich wenigstens insofern als
er eine Bundesreform mit Einschluß Oestreichs nur mit der Aushebung des
östreichischen Einheitsstaats für möglich erklärte.

In dieser Beziehung fiel nur Eines auf. Auch in Weimar hatte er dieses
Verhältniß erörtert und umständlich entwickelt, daß die Aufhebung der Februar-
vcrfassung die Grundbedingung einer Bundesreform mit Einschluß Oestreichs
sei. In Frankfurt faßte er sich hierüber weit kürzer und betonte, daß jene Be¬
dingung bereits erfüllt, daß die Auflösung des östreichischen Einheitsstaats schon
erreicht oder doch wenigstens zugesagt sei, indem Oestreich nach dem Project
des Grafen Rechberg nur mit den deutschen Provinzen die Delegirtenversamm¬
lung beschicken wolle. In Weimar, wo ohnedies Jedermann von der Unerlä߬
lichkeit jener Bedingung überzeugt war, verbreitete er sich in längerer Rede dar¬
über, in Frankfurt, wo gerade in dieser Beziehung eine Schärfung der Gewis¬
sen Noth that, wo es ganz am Platze war, das Unsinnige der großdeutschen
Theorie aufzudecken, die zugleich den Schmerlingschen Einheitsstaat und die
deutsche Bundesreform mit Einschluß Oestreichs will, schläferte er die Gewissen
ein durch die Behauptung, daß Oestreich jene Bedingung erfüllt habe, und das
in einem Augenblick, wo Schmerling soeben wiederholt versichert hatte, daß
an der Februarversassung unverbrüchlich werde festgehalten werden! Hier liegt
ein Räthsel vor. das wir nicht zu lösen vermögen.

Die neuere Geschichte Italiens erzählt von einem edlen Patrioten, der
durch grausame Strafe, mit der ihn der Feind seines Vaterlandes belegt, aus


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114855/312>, abgerufen am 15.05.2024.