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Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. IV. Band.

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Militär-Oberprediger Bork aus Posen der Versammlung die evangelischen
Gemeinden in Preußisch-Polen empfahl, eine Ansprache, die wir den
Lesern um so dringender zur Beherzigung empfehlen, als die diesjährige Haupt-
gobe des Gustav-Adolph-Vereins nicht dorthin gegangen ist.

"Es ist nicht gut gethan, wenn man heutzutage von unsern Polen öfters
noch ebenso redet, wie vor Alters von der Türkei. Wir wohnen keineswegs
so sehr dahinten, liegen nicht so weit ab von Ihnen. Wir gehen Sie alle
sehr nahe an. Wir sind Ihre Glaubensgenossen, Ihre Blutsverwandten, fast
eine halbe Million evangelischer Christen in dem alten Großpolen. Wir leben
dazu in einer preußischen Provinz. Wir haben alle Ursache uns festzustellen
und den Boden, auf dem unsre evangelische Kirche einst sestgegrü'ndet war, uns
wieder zu sichern."

Der Redner gab dann einen kurzen Ueberblick über die Geschichte der
Protestanten in Polen und über Verfolgungen, welche der Jesuitenzögling
Sigismund der Dritte über dieselben verhängte, worauf er polnische Schrift¬
steller sprechen ließ, welche den Untergang Polens von diesem Auftreten gegen
die evangelische Lehre herleiten. Hier einige Proben: "Mit der Reformation
mußte Polen eine Wiedergeburt erfahren, eine Geistestaufe empfangen und
vorwärts kommen. Indeß, es geschah das Gegentheil. Die Nation schritt
nicht vorwärts, sondern zurück, erniedrigte sich und stürzte in den Abgrund,
welchen ihr alle die bereitet haben, welche den Fortschritt der Reformation auf¬
hielten." -- "Die Jesuiten haben ihren Schülern, anstatt dieselben zu nützlichen
Bürgern zu erziehen, den Geist der Unruhstiftung, des blinden Eifers und der
Unordnung eingeflößt." -- "Der Verfall der Nation ist durch die Schuld der
Magnaten und Jesuiten erfolgt."

Ferner wies der Redner auf die großen Wohlthaten hin. welche das Groß-
herzogthum der preußischen Regierung dankt, namentlich aber auch auf die Förde¬
rung, welche diese der evangelischen Kirche in dieser Provinz angedeihen ließ.
"1815 waren 101 evangelische Kirchspiele vorhanden; seitdem sind 63 hinzu¬
gekommen, d. h. zwei weniger als von 1650 bis 1750 allein im Posener Depar¬
tement in der guten alten polnischen Zeit zerschlagen wurden.

Die Ansprache schloß mit dem Hinweis, wie viel hier noch zu bessern und
zu schaffen gegenüber der Propaganda der katholischen Kirche und der Gefahr,
die von dieser und der mit ihr verbundenen polnischen Verschwörung nicht
nur der Kirche, sondern auch der deutschen Nationalität in Posen droht*).



") Vgl. darüber auch "Evangelisches Jahrbuch für die Provinz Posen aus da" Jahr 1SK3.
Posen. W. Decker, welches eine sehr dankenswerthe, in die Einzelheiten eingehende Uebersicht
über die Lage der Protestanten im Großherzogthum enthält.

Militär-Oberprediger Bork aus Posen der Versammlung die evangelischen
Gemeinden in Preußisch-Polen empfahl, eine Ansprache, die wir den
Lesern um so dringender zur Beherzigung empfehlen, als die diesjährige Haupt-
gobe des Gustav-Adolph-Vereins nicht dorthin gegangen ist.

„Es ist nicht gut gethan, wenn man heutzutage von unsern Polen öfters
noch ebenso redet, wie vor Alters von der Türkei. Wir wohnen keineswegs
so sehr dahinten, liegen nicht so weit ab von Ihnen. Wir gehen Sie alle
sehr nahe an. Wir sind Ihre Glaubensgenossen, Ihre Blutsverwandten, fast
eine halbe Million evangelischer Christen in dem alten Großpolen. Wir leben
dazu in einer preußischen Provinz. Wir haben alle Ursache uns festzustellen
und den Boden, auf dem unsre evangelische Kirche einst sestgegrü'ndet war, uns
wieder zu sichern."

Der Redner gab dann einen kurzen Ueberblick über die Geschichte der
Protestanten in Polen und über Verfolgungen, welche der Jesuitenzögling
Sigismund der Dritte über dieselben verhängte, worauf er polnische Schrift¬
steller sprechen ließ, welche den Untergang Polens von diesem Auftreten gegen
die evangelische Lehre herleiten. Hier einige Proben: „Mit der Reformation
mußte Polen eine Wiedergeburt erfahren, eine Geistestaufe empfangen und
vorwärts kommen. Indeß, es geschah das Gegentheil. Die Nation schritt
nicht vorwärts, sondern zurück, erniedrigte sich und stürzte in den Abgrund,
welchen ihr alle die bereitet haben, welche den Fortschritt der Reformation auf¬
hielten." — „Die Jesuiten haben ihren Schülern, anstatt dieselben zu nützlichen
Bürgern zu erziehen, den Geist der Unruhstiftung, des blinden Eifers und der
Unordnung eingeflößt." — „Der Verfall der Nation ist durch die Schuld der
Magnaten und Jesuiten erfolgt."

Ferner wies der Redner auf die großen Wohlthaten hin. welche das Groß-
herzogthum der preußischen Regierung dankt, namentlich aber auch auf die Förde¬
rung, welche diese der evangelischen Kirche in dieser Provinz angedeihen ließ.
„1815 waren 101 evangelische Kirchspiele vorhanden; seitdem sind 63 hinzu¬
gekommen, d. h. zwei weniger als von 1650 bis 1750 allein im Posener Depar¬
tement in der guten alten polnischen Zeit zerschlagen wurden.

Die Ansprache schloß mit dem Hinweis, wie viel hier noch zu bessern und
zu schaffen gegenüber der Propaganda der katholischen Kirche und der Gefahr,
die von dieser und der mit ihr verbundenen polnischen Verschwörung nicht
nur der Kirche, sondern auch der deutschen Nationalität in Posen droht*).



") Vgl. darüber auch „Evangelisches Jahrbuch für die Provinz Posen aus da« Jahr 1SK3.
Posen. W. Decker, welches eine sehr dankenswerthe, in die Einzelheiten eingehende Uebersicht
über die Lage der Protestanten im Großherzogthum enthält.
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[0322] Militär-Oberprediger Bork aus Posen der Versammlung die evangelischen Gemeinden in Preußisch-Polen empfahl, eine Ansprache, die wir den Lesern um so dringender zur Beherzigung empfehlen, als die diesjährige Haupt- gobe des Gustav-Adolph-Vereins nicht dorthin gegangen ist. „Es ist nicht gut gethan, wenn man heutzutage von unsern Polen öfters noch ebenso redet, wie vor Alters von der Türkei. Wir wohnen keineswegs so sehr dahinten, liegen nicht so weit ab von Ihnen. Wir gehen Sie alle sehr nahe an. Wir sind Ihre Glaubensgenossen, Ihre Blutsverwandten, fast eine halbe Million evangelischer Christen in dem alten Großpolen. Wir leben dazu in einer preußischen Provinz. Wir haben alle Ursache uns festzustellen und den Boden, auf dem unsre evangelische Kirche einst sestgegrü'ndet war, uns wieder zu sichern." Der Redner gab dann einen kurzen Ueberblick über die Geschichte der Protestanten in Polen und über Verfolgungen, welche der Jesuitenzögling Sigismund der Dritte über dieselben verhängte, worauf er polnische Schrift¬ steller sprechen ließ, welche den Untergang Polens von diesem Auftreten gegen die evangelische Lehre herleiten. Hier einige Proben: „Mit der Reformation mußte Polen eine Wiedergeburt erfahren, eine Geistestaufe empfangen und vorwärts kommen. Indeß, es geschah das Gegentheil. Die Nation schritt nicht vorwärts, sondern zurück, erniedrigte sich und stürzte in den Abgrund, welchen ihr alle die bereitet haben, welche den Fortschritt der Reformation auf¬ hielten." — „Die Jesuiten haben ihren Schülern, anstatt dieselben zu nützlichen Bürgern zu erziehen, den Geist der Unruhstiftung, des blinden Eifers und der Unordnung eingeflößt." — „Der Verfall der Nation ist durch die Schuld der Magnaten und Jesuiten erfolgt." Ferner wies der Redner auf die großen Wohlthaten hin. welche das Groß- herzogthum der preußischen Regierung dankt, namentlich aber auch auf die Förde¬ rung, welche diese der evangelischen Kirche in dieser Provinz angedeihen ließ. „1815 waren 101 evangelische Kirchspiele vorhanden; seitdem sind 63 hinzu¬ gekommen, d. h. zwei weniger als von 1650 bis 1750 allein im Posener Depar¬ tement in der guten alten polnischen Zeit zerschlagen wurden. Die Ansprache schloß mit dem Hinweis, wie viel hier noch zu bessern und zu schaffen gegenüber der Propaganda der katholischen Kirche und der Gefahr, die von dieser und der mit ihr verbundenen polnischen Verschwörung nicht nur der Kirche, sondern auch der deutschen Nationalität in Posen droht*). ") Vgl. darüber auch „Evangelisches Jahrbuch für die Provinz Posen aus da« Jahr 1SK3. Posen. W. Decker, welches eine sehr dankenswerthe, in die Einzelheiten eingehende Uebersicht über die Lage der Protestanten im Großherzogthum enthält.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 21, 1862, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341795_114855/322>, abgerufen am 14.05.2024.